
«Immer ist irgendwo Krieg»

Die Jugendlichen gehen auf die Strasse, um ihren Unwillen gegen das Kriegstreiben am Golf zu manifestieren.
Doch auch Kinder werden durch die Medien mit dem Krieg konfrontiert – und müssen diese Bilder von Zerstörung und Leid irgendwie verarbeiten.
«Wann kommen die zu uns?» fragt die 5-jährige Michelle aus Kirchberg ihre Mutter. Das kleine Mädchen sieht die Bilder von Panzern und Bomben am Fernsehen. Sie weiss zwar, dass sich das anderswo abspielt, Angst vor Krieg hat sie trotzdem.
Der knapp 12-jährige Sergej und sein um zwei Jahre jüngerer Nachbar Ruben haben keine Angst. Sie finden es doof, «dass Bush sich einmischt.» Saddam müsse zwar weg, betonen die zwei, «aber nicht mit Gewalt und Krieg».
Bush mache den guten Ruf der USA kaputt, findet Sergej. «Die würden das Geld besser in die Schulen stecken, dann wären nicht 70% für diesen Krieg.»
Die Faszination des Bildes
Beide Knaben sassen zu Beginn des Krieges stundenlang vor dem Fernseh-Apparat. «Ich war schockiert. Der Grund für den Krieg ist das Öl», weiss Ruben. «Ich bin entsetzt, dass auch Zivilisten getötet werden.»
Für Heinrich Nufer, Leiter des Marie Meierhofer-Instituts für das Kind in Zürich, ist das Medienspektakel, das im Gang ist, «für die meisten Kinder eine Zapfsäule für Angstzustände».
Da die Kinder diesen Bildern nicht ausweichen könnten, so Nufer gegenüber swissinfo, müssten sie begleitet und gestützt werden. Finde keine offene Gesprächskultur statt, entwickelten die Kinder ihre eigene Fantasie.
Fachleute raten generell davon ab, dass vor allem jüngere Kinder wahllos und unkontrolliert am TV Kriegsbilder konsumieren. «Kriegsbilder können Kinder überfordern und Ängste auslösen», heisst es etwa in einem Merkblatt der Kantonalen Erziehungsberatung Bern.
Der Krieg in der Schule
«Wir haben vor allem vor Kriegsbeginn in der Schule viel diskutiert», so Sergej. Auch in Rubens Klasse wurde über den Krieg geredet. «Wir Kinder wollten das so, und die Lehrerin ist auf unsere Fragen eingegangen.»
Gudrun Glaus, die in der Stadt Bern Erst- und Zweiklässler unterrichtet, hat den Krieg bisher nicht thematisiert, da die Kinder diesbezüglich keine Fragen gestellt hätten. Die Befindlichkeit der Schülerinnen und Schüler sei wie immer, weder seien sie aggressiver noch ruhiger.
«Sie sind noch zu klein. Ich denke, sie werden von den Eltern geschützt und hören weder Nachrichten noch schauen sie die Tagesschau.» Sollten jedoch Fragen auftauchen, will die Lehrerin darauf eingehen, ihnen zuhören und dem Thema nicht ausweichen.
Hilfe für Eltern und Lehrer
Der Kanton Bern hat Eltern und Lehrpersonen in einem Merkblatt aufgerufen, das gewaltsame Geschehen zu thematisieren, aber auch über Frieden zu sprechen.
Auch in den Westschweizer Kantonen Genf und Waadt werden die Lehrkräfte von den Schuldirektoren ermuntert, das Thema so objektiv wie möglich und ohne Propaganda anzugehen.
Laut Martin Stauffer von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren gibt es bis jetzt keine gesamtschweizerische Koordination in Sachen Irak-Krieg.
Auch das Nationale Netzwerk Psychologische Nothilfe (NNPN) des Bundes gibt an die Bevölkerung Empfehlungen ab, wie mit traumatisierenden Bildern umgegangen werden kann, um Ängste zu vermeiden oder abzubauen.
Realität und Fiktion
Barbara Breitenstein, die Mutter des 12-jährigen Sergejs fragt sich, was und wieviel die Kinder verarbeiten können. «Was ist zumutbar? Können sie wirklich verstehen, dass dies hier bitterer Ernst ist und nicht Fiktion?»
Für die Kinder des Computer- und TV-Zeitalters scheint eine Unterscheidung zwischen Fiktion und Wirklichkeit nicht immer einfach zu sein. Kein Wunder, ist doch die Kriegsbild-Ästhetik jener aus Actionfilmen und Computergames verblüffend ähnlich.
Heinrich Nufer vom Marie Meierhofer-Institut findet strategische Computerspiele problematisch: «Das Mitgehen und Identifizieren mit den Helden und Akteuren prägt das Unterbewusstsein.»
Wenn Kinder im Freien Krieg spielten, sei das kein Problem. «Das ist ihre Form, das überhaupt nachzuvollziehen.»
Wir wollen etwas bewirken
Die Viertklässlerinnen Vera und Anna haben für ihre Klasse ein Antikriegs-Fest organisiert, ohne Mithilfe Erwachsener. Höhepunkt war eine Schatzsuche. Der Schatz bestand aus Zeitungsbildern des amerikanischen Präsidenten. Jedes Kind durfte ein Bush-Foto zerreissen.
«Wir wollten mit diesem Fest etwas bewirken. Wir wollten zeigen, dass wir Krieg nicht gut finden. Angst habe ich aber nicht», sagt Vera.
Wenn der Krieg zum Alltag wird
Der Krieg ist mittlerweile seit über zwei Wochen im Gang. Die Berichterstattung geht langsam zurück, der Krieg wird alltäglich.
Ruben schaut nicht mehr so viel Fernsehen wie am Anfang des Krieges. Es interessiere ihn nicht mehr so sehr. «Der Spassfaktor hat abgenommen. Es ist nicht mehr so wild.»
Auch Sergej sitzt nicht mehr so häufig vor der Glotze: «Es wird mit der Zeit zuviel. Es nervt. Immer ist irgendwo Krieg.»
swissinfo, Gaby Ochsenbein
Das Nationale Netzwerk Psychologische Nothilfe (NNPN) ist im Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) angesiedelt.
Es bietet Nothilfe im Falle von Katastrophen, Unfällen und Terroranschlägen an.
Die Kantonale Erziehungsberatung Bern hat für Eltern und Lehrpersonen ein Merkblatt zum Irak-Krieg verfasst.
Es zeigt auf, wie der Krieg gegen Irak zu Hause und in der Schule thematisiert werden kann.
In Wien hat ein internationaler Kongress von Jugendpsychiatern aus der Schweiz, Österreich und Deutschland zum Irak-Krieg stattgefunden.
Laut Fachpersonen sollten Kinder nicht unkontrolliert und allein am TV Kriegsbilder anschauen.
Wichtig seien eine offene Gesprächskultur, sowie Geborgenheit und Sicherheit.
Wird das Thema tabuisiert, entwickeln Kinder eigene Fantasien.
Dadurch können unnötig Ängste entstehen.

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