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Syrokratische Visumsverlängerung

Franziska Sigrist

Syrienreisende erhalten generell ein Zweiwochenvisum und können dieses bei Bedarf auf dem Immigrationsbüro verlängern lassen. Nun, um Damaskus gerecht zu werden und meinen Arbeitsvertrag zu erfüllen, stellte ich mich dieser Herausforderung.

Die syrische Bürokratie hat einen schlechten Ruf, nicht zu Unrecht, aber dies ist nur die halbe Wahrheit. Die Beamten bemühen sich nämlich wirklich, den Leuten zu helfen.

Sie geben sich aber nicht nur Mühe, sondern haben dabei zugegebenermassen auch einige Mühe.

In vollständiger Abwesenheit jeglicher ordnender Elemente wie Warteschlangen, Abschrankungen oder Wartenummern kämpfen sie weitgehend chancenlos gegen ein konstantes Chaos, das sich überaus deutlich von unseren zuweilen überorganisierten bürokratischen Prozessen abhebt.

Die Akteure im Immigrationsbüro bestehen einerseits aus einer Vielzahl von uniformierten Beamten jeglicher Dienstgrade, von denen jeweils die eine Hälfte teetrinkend “kontrolliert”, wie die andere Hälfte mit viel Einsatz, gutem Willen und fuchtelnden Armen stempelt, schreibt, überträgt, tippt, organisiert und erklärt.

Buhlen um Aufmerksamkeit

Allerdings muss präzisiert werden, dass eigentlich nur einer tippt – und zwar auf dem einzigen, fast schon antiken Computer mit grüner Schrift auf schwarzem
Hintergrund.

Diesen Beamten gegenüber stehen die Antragsteller, die mit Pässen, Fotos und diversen Dokumenten in der Hand von einem Zimmer ins nächste geschickt werden und entschlossen um die Aufmerksamkeit der oben beschriebenen “anderen” Hälfte der Beamten buhlen.

Diese sitzen nicht etwa feinsäuberlich an einem Schalter hinter Glasscheiben, sondern an einfachen Holztischen, die von Antragstellern von mindestens drei Seiten umlagert werden. Bedient wird, wer entweder durch gut platzierte Zwischenrufe oder herzhaften Körpereinsatz am besten auf sich aufmerksam macht.

Warten bringt nichts

Bemerkt zu werden hat zur Folge, dass der entsprechende Beamte sich seinem Anliegen etwa fünf Sekunden widmet, bevor er unweigerlich von der nächsten Person abgelenkt wird. So behandelt jeder Beamte gleichzeitig ungefähr sechs Fälle in alternierender Reihenfolge. Ihre Geduld und Übersicht ist geradezu bewundernswert, für ihr Gehalt jedoch sind sie zu bedauern.

Wer gut schweizerisch zurückhaltend wartet, bis sie oder er an der Reihe ist, der wartet und wartet und wartet bis gegen 15.00 Uhr Feierabend ist. Und die Beamten, die von ihrem kleinen Monatslohn (220 Franken) nicht leben können, treten dann zum Zweitjob an, die anderen zur Teerunde.

Der konkrete Prozess in 8 einfachen Schritten

1. Mit wackerem Ellenbogen und Schultereinsatz drücke ich mich im Zimmer Nr. 1 zum Schreibtisch vor und werde, als klar wird, dass meine Arabischkenntnisse
minimal sind, von Beamte Nr. 1 ins Zimmer Nr. 2 geschickt.

2. Leider ist dieser des Englischen ebenfalls nicht mächtig und schickt mich weiter zu Beamte Nr. 3, der über begrenzte Englischkenntnisse verfügt.

3. Dieser füllt nun ein zuvor erstandenes Papier mit Familien-, sprich Clanname, Name des Vaters, Name der Mutter, aus, zentrale Angaben in einer Kultur, in der die Sippenzugehörigkeit nach wie vor entscheidend ist. Dann schickt er mich zu Beamte Nr. 4 im Zimmer Nr. 3, Herrscher über den einzigen Computer der Lokalität.

4. Hier werden meine Angaben in den Computer getippt. Anschliessend erhalte ich zwei Stempel und eine Unterschrift zum Beweis, dass ich ordnungsgemäss elektronisch erfasst worden bin, und werde zu Beamte Nr. 5 weitergeschickt.

5. Dieser überträgt meine Personalien sowie das Gesuch um eine Visumsverlängerung auf ein weiteres Formular und unterschreibt seinerseits. Weiter zu Beamte Nr. 6 in Zimmer Nr. 4.

6. Hier, anscheinend beim Chef, erhalte ich, für einmal ohne Ellenbogen und Schultereinsatz, ein aufmunterndes Lächeln und eine Unterschrift, die beglaubigt, dass das Geschriebene in Ordnung sei. Zurück zu Beamte Nr. 3 in Zimmer Nr. 2.

7. Nach dem Ok des Chefs gibt es nun Stempel und Unterschrift in meinen Pass. Aber ohne Bestätigung von “oben” geht nichts: Zurück also zu Chefbeamte Nr. 6 in Zimmer Nr. 4.

8. Nach einer weiteren Signatur in den Pass ist es geschafft. Na bitte, das Ganze dauerte kaum länger als eine halbe Stunde.

Wer sagt denn, die syrische Bürokratie sei nicht effizient?

Franziska Sigrist, Damaskus, swissinfo.ch

Immer häufiger reisen auch junge Leute für längere Zeit ins Ausland, sei das zum Studieren, Forschen oder für ein Stage.

Zu ihnen gehört auch Franziska Sigrist, die ab September bis Ende Jahr ein Praktikum an der Schweizer Botschaft in Damaskus macht.

Von dort berichtet sie für swissinfo.ch über ihre Erlebnisse. Sie vertritt in der Postkarte ihre persönlichen Ansichten.

Franziska Sigrist ist 27 Jahre alt. Sie hat an den Universitäten Bern und Bordeaux Politikwissenschaften und internationales Recht studiert und im Frühsommer 2008 abgeschlossen.

Anschliessend bereiste sie mit ihrem Freund in einem Camper während einem Jahr den Nahen und Mittleren Osten (Türkei, Syrien, Jordanien, Iran).

Ab September bis Dezember 09 absolviert sie bei der Schweizer Botschaft in Damaskus ein Praktikum.

Auch in früheren Jahren verbrachte sie längere Zeit im Ausland: 2006 für sechs Monate in Äthiopien, wo sie für ihre Lizentiatsarbeit zum Thema “Nachhaltige Wasserpolitik” forschte und zwei Praktika (UNICEF, NGO WaterAid) machte.

2005 war Franziska Sigrist zu einem Menschenrechtseinsatz in Mexiko und 2004 für ein Praktikum im Bereich der Internationalen Entwicklungs-Zusammenarbeit in Bonn.

Nebst ihrer Muttersprache Deutsch spricht Franziska Sigrist Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und lernt nun Arabisch. Sie fotografiert auch gerne und spielt Klavier.

E-Mail-Adresse: franziska.sigrist@sunrise.ch

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