
Tschader beginnen, ihre Rechte einzufordern

Die Öleinnahmen im Tschad sollten gerechter verteilt und für den Kampf gegen die Armut eingesetzt werden. Dies fordern Swissaid und eine Gruppe von Schweizer Parlamentariern, die kürzlich an einer Reise in den Tschad teilnahmen.
Trotz den grossen Erdöleinnahmen hätten sich die Lebensbedingungen seit Beginn der Bohrungen 2003 verschlechtert, wie die Parlamentariergruppe, die kürzlich an einer Reise in den Tschad teilnahm, an einer Pressekonferenz sagte.
Es sei schockierend zu sehen, in welchem Mass sich die Situation für die Menschen im Tschad seit ihrem ersten Besuch 2004 und heute verschlechtert hätten, sagt Swissaid-Geschäftsleiterin Caroline Morel.
Das Land sei reich an natürlichen Ressourcen, doch diese würden nicht für die Eindämmung der Armut eingesetzt. «Wir müssen von der Regierung Transparenz und gute Regierungsführung fordern.»
Laut Schätzungen leben im Tschad rund 80 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze, wobei die Mehrheit der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt.
Auf dem Wohlstandsindikator der UNO (Human Development Index) steht Tschad auf einer Rangliste von insgesamt 177 Ländern auf dem 170. Rang. Laut der UNO sterben 8 Prozent der Säuglinge vor dem ersten Lebensjahr und 20 Prozent der Kleinkinder vor dem 5. Lebensjahr.
Schockierende Verschlechterung
Der Erdölabbau begann 2003 im Tschad mit einem Abkommen, das in Zusammenarbeit mit der Weltbank zu Stande kam, das der Tschader Regierung 14 Prozent der gesamten Erdöleinnahmen zusprach.
Im Tschad werden täglich rund 160’000 Barrel Erdöl abgebaut. Esso, eine der ersten Erdölkonzerne, die sich im Tschad niederliessen, schätzt die Öleinnahmen 2008 auf 4,3 Mrd. Dollar.
Die tschadische Regierung hielt gesetzlich fest, dass 5 Prozent der Erdöleinkommen für Entwicklungsprogramme in der Erdölregion Doba im Süden des Landes eingesetzt werden. Weitere 20 Prozent sollen für Entwicklungsprogramme in anderen Teilen Tschads und 10 Prozent für zukünftige Generation vorgesehen werden.
Wegen der korrupten Regierung würde die Bevölkerung indes kaum etwas von diesem Geld sehen, sagt Swissaid-Projektkoordinator Olivier Ngardouel. Die Regierung lasse das Geld ins Militär oder andere nicht näher spezifierte Ausgaben fliessen.
«Der Erdölabbau sollte starkes Wirtschaftswachstum mit sich bringen», sagt Ngardouel. «Doch es ist offensichtlich, dass sich diese Hoffnung angesichts der fehlenden guten Regierungsführung zerschlagen hat.»
Laut Ngardouel brachte die Erdölproduktion höhere Lebenskosten, Umweltprobleme und einen Zusammenbruch der traditionellen Gesellschaftsstruktur mit sich. Die Mehrheit der Bevölkerung habe keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, und das Gesundheits- und das Bildungssystem seien schlecht.
Anstatt lokale Arbeitskräfte einzustellen, würden die Ölgesellschaften ihre eigenen Leute mitbringen, sagt SP-Nationalrat Carlo Sommaruga. Umschulungsprogramme für Einheimische gebe es nicht. Bauern, die ihr Land an die Raffinerien verloren, hätten kaum eine Möglichkeit, ein neues Einkommen zu finden.
Lokalbevölkerung mobilisiert sich
Die Tschader würden beginnen, bei der Regierung und den Ölkonzernen ihre Rechte einzufordern, sagt Morel.
«Es ist eine wachsende Unterstützung der Kleinbauern zu beobachten», so Morel. «Sie verlangen Kompensationszahlungen für Landentnahmen. Dabei sind einige Erfolge zu verzeichnen.»
Laut Ngardoule sind auch auf politischer Ebene Fortschritte auszumachen. So habe etwa die tschadische Regierung letztes Jahr die Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft unterschrieben, welche die Zahlungsströme aus dem Öl-, Gas- und Minengeschäft und deren Verwendung transparent machen soll.
Seiner Ansicht nach war dieser Schritt sehr wichtig, da Bestrebungen zum Abbau von Gold-, Uran- und Kalziumvorkommen im Gange sind.
«Wie können wir garantieren, dass die tschadische Bevölkerung wirklich von den Einnahmen aus diesem Abbau profitiert?», fragt Ngardoule.
Schweizer Entwicklungshilfe
Nationalrätin Doris Fiala von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen) beschrieb ihren Besuch in Tschad als streng und bedrückend. Sie erklärte, sie würde sich in der Frühjahrssession von Anfang März im Nationalrat dafür einsetzen, das Schweizer Budget für Entwicklungshilfe von 0,47 auf 0,5% des Bruttoinland-Produkts (BIP) zu erhöhen.
Fiala zeigte sich «absolut überzeugt», die beste Art, sich gegen einen wachsenden Flüchtlingsstrom in die benachbarten Schengen-Länder zu wehren, sei eine Erhöhung der Entwicklungsbeiträge an jene Länder, aus denen diese Menschen kämen.
Im letzten Dezember hatte sich der Nationalrat ganz knapp für eine Beibehaltung der Entwicklungshilfe in der Höhe von 640 Mio. Franken ausgesprochen, nachdem einige Nationalräte eine Senkung um 20% verlangt hatten.
«Ich habe den Eindruck, es fehlt oft an Kenntnissen der Faktenlage», erklärte Fiala. Sie ergänzte, viele Menschen seien fälschlicherweise der Meinung, «dass wir zu viel Geld an korrupte Länder zahlen, das dann verschwindet».
Carlo Sommaruga betonte, verschiedene mit der Schweiz vergleichbare Länder wie Dänemark, Schweden und Holland hätten sich bereit erklärt, ihr Budget für Entwicklungshilfe auf 0,7% des BIP zu erhöhen. «Das ist etwas, worauf wir in der Schweiz auch zielen sollten», sagte er.
Bevölkerung (2009, Schätzung): 11,2 Millionen
Kindersterblichkeits-Rate: 124 Tote auf 1000 Lebendbegurten
Lebenserwartung: 48 Jahre
Alphabetisierungsrate: 37,2%
BIP: 6,8 Mrd. $
Der Tschad ist eines der Schwerpunktländer der Schweizer Entwicklungs-Zusammenarbeit
(Quelle: Weltbank)
Swissaid wurde 1948 gegründet und betreibt Entwicklungsprojekte in neun Ländern.
2010 investierte Swissaid gut 11 Millionen Franken in 169 Projekte in Ländern wie Tschad, Indien, Myanmar, Guinea-Bissau, Nigeria, Tansania, Ecuador, Kolumbien und Nicaragua.
Die Organisation arbeitet am liebsten zusammen mit lokalen Gemeinschaften und Organisationen, um so eine nachhaltige Entwicklung in Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Umwelt zu erreichen.
(Übertragung aus dem Englischen: Corinne Buchser)

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