
Die Schweizer Parteien im Formcheck – Teil 2

Es ist Mitte der Legislaturperiode. Die SVP strotzt vor Kraft. Andere Parteien suchen noch ihre Linie – oder beklagen bereits eine verlorene Legislatur. Zweiter Teil unserer Analyse mit Blick auf die Fünfte Schweiz.
Nach zwei Jahren Parlamentsarbeit, fünf Abstimmungswochenenden, zwei Bundesratswahlen und elf Wahlen in die Kantonsparlamente lässt sich analysieren: Was sind die Themen? Wer bringt sie durch? Und wie steht es um das Angebot für Schweizerinnen und Schweizer im Ausland?
In Teil 1 unseres Parteienchecks schauten wir auf den Formstand von SVP, SP und Mitte. Hier, in Teil 2, folgen nun die weiteren grösseren Parteien.
Die FDP – mitten im Umbruch

Die Zeiten, in denen die Gründerpartei der Eidgenossenschaft den Ton in der Schweizer Politik angab, sind vorbei. Nach ihrem schlechtesten Ergebnis aller Zeiten bei den Wahlen 2023 musste die wirtschaftsliberale FDP auch bei mehreren Kantonswahlen schwere Niederlagen hinnehmen und verlor weitere 13 Sitze.
Das Angebot für Schweizer:innen im Ausland
Bei der internationalen Sektion der FDP herrscht Stabililtät. Aktuell zählt sie rund 230 Mitglieder in über 40 Ländern, etwas mehr als noch vor zwei Jahren. «Wir werden uns auf das neue Abkommen mit Europa konzentrieren, das für die Auslandschweizer von grosser Bedeutung ist», sagt Helen Freiermuth, Präsidentin der FDP International. Mit diesem Anliegen weiss sie seit Mitte Oktober 2025 auch ihre Mutterpartei hinter sich.
Als wertvoll für viele Schweizerinnen und Schweizer im Ausland dürfte sich auch ein Vorstoss der FDP zur raschen Einführung einer digitalen UnterschriftensammlungExterner Link erweisen. Absender ist FDP Co-Präsident Benjamin Mühlemann. Damit erhält erstmals auch die Diaspora die Möglichkeit, an der Entstehung von Initiativen und Referenden mitzuwirken.
Lukas Golder beobachtet bei der FDP eine offensivere Kommunikationsstrategie: «Sie hat einen härteren und kritischeren Ton gegenüber dem Bundesrat angeschlagen. Allerdings sind ihre Positionen inhaltlich nicht immer klar.» Die Strategie ist seiner Meinung nach nicht aufgegangen und habe zu einer Entfremdung von der Parteibasis geführt.
Durch den US-Zollhammer und ein unpopuläres Sparpaket geschwächt ist auch die Position von Finanzministerin Karin Keller-Sutter, der aktuellen Bundespräsidentin, während die des anderen freisinnigen Ministers, Ignazio Cassis, aufgrund seiner Aussenpolitik umstritten ist. «Die beiden Mitglieder des Bundesrats sind keine Wahlkampf-Zugpferde für ihre Partei», sagt Golder.
Um das Ruder herumzureissen, setzt die FDP auf ihr Projekt der Individualbesteuerung, mit dem sie das Parlament überzeugen konnte. Die Partei rühmt sich, «die wichtigste Reform im Bereich der Gleichstellung seit Jahrzehnten durchgesetzt zu haben». Doch die Angelegenheit ist noch nicht abgeschlossen: Das letzte Wort wird wahrscheinlich das Volk haben.
Laut Golder könnte das Projekt unter der Ägide einer neuen Präsidentschaft Erfolg haben. Er sieht auch in der Wahl einer Doppelspitze aus Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher und Ständerat Benjamin Mühlemann eine Chance zur Stabilisierung der Partei.
«Wenn die Partei eine gemeinsame Position zum Thema Europa findet, dürfte das ebenfalls zur Beruhigung beitragen, da die FDP in dieser Frage lange Zeit gespalten war», fährt Lukas Golder fort. Laut dem Politologen lassen diese Faktoren einen Aufschwung der FDP im Jahr 2027 erwarten.
Die Partei räumt ein, dass bis zur nächsten Wahl noch viel zu tun bleibt. «Wir sind jedoch überzeugt, dass es sich an den Urnen auszahlen wird, wenn wir weiterhin das Portemonnaie der Mittelschicht schützen und eine Politik zugunsten all jener betreiben, die früh aufstehen», sagt FDP-Sprecher Christopher Ulmer.
Grüne in der Defensive – neue Realpolitik als Antwort

Zu Beginn dieser Legislatur mussten die ökologisch-sozial orientierten Grünen eine heftige Niederlage verdauen. Die grüne Welle, die sie 2019 ins Parlament gespült hatte, war verebbt. Nüchternheit machte sich breit.
«Es ist eine verlorene Legislatur», sagt Grünen-Vizepräsidentin Sibel Arslan heute – jedoch weniger für die Partei als für ihre Kernthemen: «In den Sorgenbarometern sehen wir, dass die Leute die Klima- und Umweltthemen nach wie vor ernst nehmen. Doch im Parlament dringt das nicht mehr durch.»
Das Angebot für Schweizer:innen im Ausland
In Bezug auf die Auslandschweizer-Politik will die Partei die Teilhabe der Fünften Schweiz an der Demokratie erleichtern. Die Digitalisierung der Schweizer Behörden mithilfe der E-ID war das Projekt von Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey. Er organisierte im Parlament die Mehrheit, die im September 2025 auch zum Sieg der elektronischen Identität an der Urne beitrug.
«Wir merken zudem, dass die für Auslandschweizer relevanten Medien angreifbar geworden sind», sagt Sibel Arslan, «dagegen wehren wir uns.» Schliesslich verteidigten die Grünen auch die Alterskinderrenten gegen deren beabsichtigte Abschaffung. Dies zwar nicht in erster Linie mit Blick auf die Auslandschweizer, die eine solche Rente erhalten. Diese nahmen den Support jedoch dankbar zur Kenntnis.
Arslan beklagt eine «rechtsbürgerliche Mehrheit in Bundesrat und Parlament, die an der Bevölkerung vorbei alles durchwinkt».
Sicherheits- und Sozialpolitik haben die Umweltfragen verdrängt. Der Einfluss der Partei, die 2023 noch auf einen Bundesratssitz gehofft hatte, ist geschwunden. «Im neuen Räderwerk des Parlaments war es für die Grünen besonders schwierig, eigene thematische Akzente zu setzen», sagt auch Politologe Lukas Golder.
Golder sieht aber einen neuen Realismus, der in der Niederlage wuchs. Er beschreibt ihn als eine «neue linke Realpolitik»: moderat, lösungsorientiert und wirtschaftsfreundlich. Prägende Figuren dieser Richtung sind Gerhard Andrey, der IT-Unternehmer, der im Nationalrat eine breite Allianz für die E-ID schmieden konnte.
Oder Matthias Zopfi, ein respektierter Kompromissarchitekt im Ständerat – und schliesslich auch Lisa Mazzone, die Parteipräsidentin, die ohne Parlamentsmandat aus dem Hintergrund agiert, stets mit Blick auf das Machbare.
Weg von den Klimaklebern, hin zu kühlen Argumenten. Diese neue Nüchternheit zeigt Wirkung. «Alle Referenden, die wir ergriffen oder unterstützten, haben wir gewonnen», sagt Sibel Arslan. Der grösste Erfolg war das Volks-Nein zum Autobahnausbau 2024. Gescheitert sind hingegen die Umweltverantwortungs– und die Biodiversitätsinitiative. Beide hatten laut Golder noch den «Geist der alten grünen Fundi-Welt».
Arslan verweist auch auf Erfolge im Parlament, oft in Allianzen erzielt: etwa das neue Sexualstrafrecht oder eben die E-ID. Und die Wahlen 2027? «Selbstverständlich legen wir zu», sagt sie. «Wir sind nahe an den Bewegungen – und das Pendel schlägt zurück.»
Grünliberale: Auf der Suche nach neuer Stärke

Die ökologisch-liberalen Grünliberalen (GLP) erlebten 2019 ihren politischen Höhepunkt – seither kämpfen sie mit stagnierendem Wachstum. Bei den eidgenössischen Wahlen 2023 verlor die Partei zwar wenig Wähleranteil, aber sechs Sitze. In kantonalen Parlamenten danach gar deren zehn.
Generalsekretär Pascal Tischhauser sieht indes positive Signale: «Wir wachsen inzwischen auch in ländlichen Gemeinden – das schafft eine breitere Basis für künftige Erfolge auf Bundesebene.»
Das Angebot für Schweizer:innen im Ausland
Zur Wahl 2023 gründete die Partei die Sektion GLP International für Auslandschweizer:innen. Von ursprünglich 80 Mitgliedern sind heute noch 40 aktiv, dazu kommen rund 50 Sympathisant:innen. Rückkehrer:innen und strengere Transparenzregeln haben die Mitgliederzahl gedrückt.
In der Sektion sehr präsent ist nach Angaben der Partei das Thema Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen der Auslandschweizer. «Darüber hinaus ist es für uns zentral, dass allen Kantonen das E-Voting für die Auslandschweizer zugänglich ist», sagt Generalsekretär Pascal Tischhauser.
Politologe Lukas Golder bleibt skeptisch. Die GLP setze in den kleineren Kantonen kaum Akzente. Als urbane, deutschschweizerisch geprägte Zentrumspartei falle es ihr schwer, sich zwischen der Mitte und den Polparteien zu behaupten.
Zudem sei das aktuelle Sicherheitsdenken im Land ein schwieriges Umfeld für eine Partei, die international ausgerichtet ist. Einen Kratzer am Image erlitt die Partei auch durch eine schlagzeilenträchtige Entgleisung ihres einstigen Zürcher Aushängeschilds Sanjia Ameti.
Mit ihrer klaren Haltung zu Europa hat die GLP in dieser Legislatur ein eigenständiges Profil entwickelt. Als erste Partei sprach sie sich früh für die Bilateralen III aus – eine deutliche Abgrenzung zur FDP.
Auch personell setzt sie Zeichen: Mit Tiana Moser zog ein aussenpolitisches Schwergewicht in den Ständerat ein. Beobachter wie Golder sehen mehrere «spannende Figuren», etwa den Zürcher Nationalrat Patrick Hässig, der sich als versierter Gesundheitspolitiker etabliert hat und im Streit um die 13. AHV dem Parlament eine mehrheitsfähige Lösung präsentierte.
Im Nationalrat spielt die GLP oft das Zünglein an der Waage. Ideologisch ist sie flexibler als die wertkonservative Mitte, aber ihre Durchschlagskraft bleibt mit elf Mitgliedern begrenzt. Tischhauser verweist auf das Stromgesetz und die Individualbesteuerung, bei denen die GLP entscheidend mitgewirkt habe.
Für die Wahlen 2027 setzt die GLP auf jene Wähler:innen, die in einer zunehmend polarisierten politischen Landschaft nach einem liberalen, pragmatisch orientierten Gegenentwurf suchen.
Editiert von Mark Livingston, Grafiken: Kai Reusser
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