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“Ausser Zeit noch nichts gewonnen” in Griechenland

Auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlamentsgebäude in Athen entlädt sich die Wut der Bevölkerung. Keystone

Mit dem Ja des Parlaments in Athen zum 78-Mrd.-Euro-Sparprogramm hätten sich Griechenland und die Euroländer lediglich Zeit erkauft, die Probleme bestünden weiter. Dies das Urteil der Schweizer Presse zur dramatischen Lage des Landes am Abgrund.

“Mehr als ein bisschen Zeit ist nicht gewonnen”, schreibt die Aargauer Zeitung, “das Sparprogramm treibt Griechenland in die Abwärtsspirale.” Das Rezept, mit Sparen die Erträge zu kompensieren, die wegen des Sparens ausgeblieben seien, habe schon in der Krise der 1930er-Jahre nicht funktioniert.

Den Lösungsansatz findet die Aargauer Zeitung zwei Dekaden später: “Europa muss seiner Peripherie eine Perspektive geben. Wie hiess der Mann damals mit seinem Plan? Richtig, George C. Marshall.”

“Griechen fehlt die Perspektive”, diagnostiziert die Neue Luzerner Zeitung. Im einseitig auf Steuererhöhungen fokussierten Konsolidierungs-Programm fehlten Wachstumsimpulse. “Was nützen sanierte Staatsfinanzen, wenn die Realwirtschaft dabei pleitegeht?”

Experiment geht weiter 

Der Tages-Anzeiger vermisst noch etwas anderes: “Was immer noch fehlt, ist das Vertrauen, dass die Korrekturen in der Eurozone radikal genug sind und dass vor allem die Medizin in Griechenland auch wirkt.” Die Hilfsaktion für das Land und die Rettungsbemühungen für die Eurozone wirkten wie ein riesiges Experiment. “Es ist gestern noch einmal gut gegangen – Grund zur Entwarnung gibt es indes nicht”, so der Tages-Anzeiger.

“Wieso schickt man Griechenland nicht einfach in den Konkurs?”, fragt die Basler Zeitung. Damit wären die Schulden von einem Tag auf den anderen getilgt. Die Antwort heisse Europa, so die BaZ. “Ein Konkurs in Griechenland würde Banken in Deutschland und Frankreich zu grossen Wertberichtigungen zwingen.”

Festhalten an Pfründen 

Auch die Freiburger Zeitung La Liberté sieht keine Alternative zum harten Sparprogramm. “Keine Rettung bedeutet das Ende der Kreditrückzahlungen und somit das Katastrophenszenario eines Staatsbankrotts, der seine Wirkung über ganz Europa ausbreitet.”

“Der härteste Teil kommt noch”, ist auch die Genfer Zeitung Le Temps überzeugt. Jetzt müsse das griechische Volk die bittere Pille der Einschränkung schlucken, danach wieder auf den Pfad zum Wachstum finden.

Die Regierung werde es aber schwer haben: Wegen der starken Gewerkschaften, aber auch wegen der Angestellten in den öffentlichen Diensten, “die alles unternehmen werden, um ihre Pfründen zu behalten”. Athen und die anderen griechischen Städte stünden deshalb vor heissen Monaten.

“Mehr Schlendrian in der Schweiz” 

Unorthodox ist der Ansatz des Blick. Die Boulevardzeitung plädiert für “(…) mehr Schlendrian in den Gläubigerländern Deutschland, Holland oder Schweiz.” Die Arbeitslosen in Athen, Dublin und Barcelona warteten nur darauf, “denn der Schlendrian der einen ist der Job der anderen”.

Gemäss der chinesischen Weisheit sieht die Neue Zürcher Zeitung die Krise Griechenlands auch als Chance. Der Staat als Selbstbedienungsladen, Versorgung von Günstlingen mit Posten im öffentlichen Dienst, Korruption: Damit sei es nun vorbei. “Voraussetzung für einen Neuanfang ist eine Änderung der politischen Kultur und der Mentalität”, analysiert die NZZ.

Das griechische Parlament hat am Mittwoch mit 155:138 Stimmen einem weiteren unpopulären Sparpaket der Regierung zugestimmt und damit den Weg für neue Finanzhilfen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds (IWF) freigemacht.

Heute Donnerstag steht im Parlament eine weitere wichtige Abstimmung an: Es geht um Einzelgesetze, die zur Umsetzung des 28 Milliarden Euro schweren Sparpakets nötig sind.

Der Protest in der griechischen Bevölkerung gegen die erneuten Sparmassnahmen sind massiv. Tausende demonstrierten auf Athens Strassen gegen den Sparkurs der Regierung.

Es kam auch zu schweren Krawallen, die in der Nacht auf Donnerstag weitergingen. Hunderte Beamte lieferten sich nahe des Parlamentsgebäudes Strassenschlachten mit Autonomen. Die Polizei setzte auch erneut Tränengas ein.

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