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Deutsches Nein bescherte Österreich Kollateral-Ärger

Deutschland kann der austro-helvetischen Steueridylle nur wenig Positives abgewinnen. Keystone

Ein Nein Deutschlands zum Doppelbesteuerungs-Abkommen mit der Schweiz könnte auch das Schicksal des Abkommens mit Österreich besiegeln. Österreich könnte kollateralen Ärger mit Deutschland bekommen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der deutsche Bundesrat (Länderkammer) das deutsch-schweizerische Doppelbesteuerungs-Abkommen (DBA) im November ablehnt, wird in Politikerkreisen als grösser eingeschätzt als die Wahrscheinlichkeit, dass das Schweizer Stimmvolk am 25. November an der Urne die Abkommen mit Deutschland, Grossbritannien und Österreich ablehnt.

Am 27. September wird sich nämlich zeigen, ob das Referendum gegen die Doppelbesteuerungs-Abkommen zustande kommt.

Im Unterschied zu früheren direktdemokratischen Volksentscheiden in aussenpolitischen Sachfragen, die vor allem die Schweiz und das betreffende Partnerland oder die betreffende Internationale Organisation betrafen, würde der Volksentscheid um die DBA auch Auswirkungen auf die Beziehungen von Drittländern untereinander haben.

“Ein Scheitern des schweizerisch-deutschen Abkommens wäre ein Schaden für den Rechtsfrieden im deutschsprachigen Europa, weil dann der Konflikt Deutschland-Schweiz weiter vertieft und auch auf Österreich abfärben würde, woraus auch eine Konfliktsituation Deutschland-Österreich entstehen könnte”, sagt Roman Leitner gegenüber swissinfo.ch.

Leitner ist Honorarprofessor, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in der österreichischen Stadt Linz, berät aber Kunden in halb Europa. Im Gegensatz zum Steuerstreit der Schweiz mit Deutschland gibt es mit Österreich keinen Streit.

Drei Länder – ähnliche Fronten

In Österreich verlaufen ähnlich wie in Deutschland und der Schweiz die Fronten für oder gegen ein DBA durch die selbe Parteienlandschaft: Regierungen dafür, Links-Grün dagegen. Österreichs Regierungskoalition hat eine ganze Euro-Steuermilliarde an Einnahmen aus dem austro-helvetischen DBA für 2013 bereits im Budget eingeplant.

Falls das Abkommen bachab ginge, würde diese Milliarde ausfallen, befürchtete die österreichische Kronen-Zeitung im August 2012. Was einen Teil der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) weniger stören würde.

“Um den Verlust aus der Schweiz auszugleichen, brauchen wir eben die Vermögenssteuer”, sei aus der SPÖ-Führung zu hören gewesen. “Der Linksaussen-Flügel der Partei hatte schon immer das ‘Freikaufs-Angebot an Steuerflüchtlinge’ kritisiert”, so die Zeitung.

“Österreich näher bei der Schweiz”

Laut Leitner entspricht das DBA mit Österreich weitgehend jenem mit Deutschland. Wesentliche Unterschiede seien niedrigere Steuersätze im österreichischen Abkommen, keine unmittelbare Kontrollmöglichkeit durch österreichische Behörden, keine Möglichkeit von Einzelauskünften und kein pauschales Abführen von 50% Erbschaftssteuer, da Österreich keine Erbschaftssteuern mehr erhebe.

“Was die Rechtskultur, sprich Steuern, Steuerstrafrecht und Bankgeheimnis betrifft, stehen sich Österreich und die Schweiz ungleich näher als die Schweiz und Deutschland”, sagt Leitner. Ausserdem sei auch Österreich ein Steuerfluchtland, das von deutschen Anlegern “nicht unerheblich” in Anspruch genommen werde. Nur kenne Österreich beide Seiten der Medaille, brächten doch Österreicher ihrerseits auch Geld in die Schweiz.

Vor diesem Hintergrund sei verständlich, dass Österreich “hier weniger Wellen schlagen will, weil es insbesondere in der EU und OECD kritisiert wird”. Fiskalkriminalität wurde bisher, so Leitner weiter, in Österreich ähnlich wie in der Schweiz weniger gravierend geahndet – nicht nur bei den Behörden, sondern auch in der Einschätzung der Bevölkerung. “Hier sind jedoch wesentliche gesetzliche Änderungen im Gang.”

Auch sei in Österreich das Bankgeheimnis ähnlich gut abgesichert wie in der Schweiz. Doch könne es neu durch Steuerauskünfte (Amtshilfe an Steuerbehörden anderer Länder) durchbrochen werden, allerdings nicht bei blinden Suchaktionen ausländischer Steuerfahnder (Fishing Expeditions).

Österreich habe aber, so Leitner, nie “derart schwerwiegende ‘Erpressungssituationen’ wie die Schweiz erleiden müssen”, und sei deshalb auch nicht gezwungen gewesen, derartige Zugeständnisse wie die Schweiz machen zu müssen.

Austro-helvetische Unaufgeregtheit

Dass es um das DBA mit Österreich so ruhig ist, hat damit zu tun, dass sich Österreich wie die Schweiz (und wie Luxemburg) nicht für den von Brüssel gewünschten automatischen Informationsaustausch erwärmen können.

Österreich, das sein Bankgeheimnis behalten möchte, wäre eine abgeltende Quellensteuer lieber, wie sie das austro-schweizerische DBA vorsieht. Aber in Brüssel wartet die EU-Steuerkommission seit langer Zeit auf eine Gelegenheit, Österreich und Luxemburg dazu zu bringen, ihr endlich das Mandat für Verhandlungen mit der Schweiz zu geben, das ihr einzig diese beiden EU-Länder noch verweigern.

“Die europäische Kommission erwägt, gegen diese Art von Abgeltungssteuer-Abkommen vorzugehen, da nach ihrer Meinung diese beiden Mitgliedsstaaten ihre Kompetenzen überschritten haben”, schreibt Michael Petritz von der Wirtschaftsprüfung- und Steuerberatungsgesellschaft KPMG Austria AG.

“Abschleicher”: Hochgespielt oder längst weg?

Auch das zeitlich beschränkte, im deutsch-schweizerischen DBA vorgesehene Schlupfloch, durch das “Abschleicher” in Drittdestinationen ausweichen können, ist Brüssel, der deutschen Sozialdemokratie und Schweizer Bankgeheimnisgegnern ein Dorn im Auge. Leitner sieht hier einen Ansatzpunkt zum Einwand, wonach das DBA nicht regelkonform sei.

Nur, so Leitner, treffe dieser Vorwurf schon deshalb nicht zu, weil das DBA die Schweiz verpflichte, sowohl Fluchtdestination als auch Anzahl der Steuer-Flüchtlinge mitzuteilen, was Gruppenanfragen seitens der Steuerfahnder zur Folge hätte.

“Damit kann ein wesentlicher Einwand der DBA-Kritiker entkräftet werden, was zu den Chancen des Deutsch-schweizerischen Abkommens beiträgt”, sagt Leitner. Auch er nimmt an, dass ein Teil der “Abschleicher” längst über alle Steuerberge ist.

Die Schweiz setzt mit ihren Doppelbesteuerungs-Abkommen auf das Instrument der Abgeltungssteuer, während OECD und EU auf den automatischen Informationsaustausch setzen.

Die Abgeltungssteuer ist eine Einkommenssteuer an der Quelle, das heisst sie wird auf Kapitalerträge (Dividenden, Zinsen, etc.) erhoben. Nur Deutschland besteuert zusätzlich noch Wertsteigerungen (Kursgewinne) von Wertpapieren.

Österreich kennt seit 1993 eine Abgeltungssteuer.

In der Schweiz setzen sich vor allem zahlreiche Politiker und die Bankiervereinigung dafür ein. In Analogie zur Schweizerischen Verrechnungssteuer soll die Abgeltungssteuer für Ausländer die Steuerhinterziehung eindämmen.

Der Bezug zum Bankgeheimnis besteht darin, dass diese Quellensteuern anonym erhoben und abgeführt werden – auf Schweizer Bestreben nun auch über die Landesgrenzen hinaus. Damit werden unversteuerte Gelder von Ausländern (in der Schweiz) einer Besteuerung unterworfen und damit fiskalisch wieder legal (“Weissgeldstrategie”), wobei die Identität nicht preisgegeben wird.

Für Österreich, das ebenfalls das Bankgeheimnis kennt, ist diese Logik einfacher nachvollziehbar als für Länder ohne Bankgeheimnis.

Bei der Frage der Amtshilfe galt bisher in der Schweiz: Auskunftspflicht nur im Einzelfall (Steueramtshilfe-Gesetz).

Die OECD gibt jedoch seit Juni 2012 als ausgeweiteten Standard die Gruppenanfragen vor: Um Steuersünder besser identifizieren zu helfen, soll die Schweiz künftig diesen Auskunfts-Standard nachvollziehen (Zulassen von Auskunftspflicht auch für Gruppen von nicht einzeln identifizierten Personen, d.h. von Rasterfahndung ohne Namensnennung nur auf Grund von Verhaltensmustern).

Ein Verhaltensmuster könnte ein Geld- oder Kontentransfer nach Singapur sein.

Nach dem Ständerat hat nun Mitte September auch der Nationalrat zugestimmt, die Wendung “im Einzelfall” aus dem Steueramtshilfegesetz zu streichen.

Explizit sind Gruppenanfragen bisher nur im DBA mit den USA vorgesehen. Dieses ist aber noch nicht in Kraft. Es gibt aber noch DBA der Schweiz mit anderen Ländern ohne Gruppenanfragen.

Gemäss Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf liessen sie diese anpassen, da die meisten Abkommen offen formuliert seien.

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