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Im Röstigraben zeigt sich eine neue, tiefe Furche

Kaffee und Zeitung: In der Schweiz halten viele Menschen dem traditionellen Morgenritual die Treue. Doch die Medienlandschaft, getrieben von den digitalen, sozialen Medien verändert sich. Auch dadurch akzentuieren sich die Unterschiede in den Medienkulturen zwischen Deutschschweiz und den lateinischen Landesteilen. © Keystone / Christian Beutler

Das Nein zum Medienpaket bei der letzten Abstimmung lohnt eine Nachbetrachtung. Es verweist auf einen Wandel in der Schweizer Medienkultur: Laute Töne finden zunehmend Anklang. Das kann sich auch auf die SRG auswirken.

Die Schweiz hat Mitte Februar darüber abgestimmt, ob der Staat die Medien breiter und erstmals auch direkt subventionieren soll. Die Vorlage wurde abgelehnt. Was vor sich ging, bleibt aber interessant.

Insbesondere, wenn wir die Sache mit einem Modell des Schweizer Medienwissenschafters Roger Blum betrachten. Dieses besagt zunächst, dass es in verschiedenen Ländern und Sprachräumen unterschiedliche Medienkulturen gibt, welche Blum unterschiedlich charakterisiert. Die traditionelle Medienkultur der Schweiz ordnet der ehemalige Professor an der Universität Bern insgesamt dem Service Public zu.

Abschied vom “Schweizer Journalismus”

Das hat laut Blum vor allem mit der Schweizer Konsensdemokratie zu tun, die sich am politischen Ausgleich orientiert. Medien erfüllen in einem solchen System eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Sie wirken integrierend, erklären und vermitteln. Entsprechend kommen Medienbesitz und Medienfinanzierung in der Schweiz weder rein privat daher, noch sind sie staatlich. Wenn es einen Schweizer Journalismus gibt, so ist dieser laut Blum also eine Mischung aus Vermittlung und Recherche.

  1. Medienkulturen nach Medienwissenschafter Roger Blum

Der emeritierte Professor an der Universität Bern unterscheidet sechs MedienkulturenExterner Link. Es sind dies die

  • asiatisch-karibische Kommandokultur (wie in China)
  • asiatisch-arabische Partriotenkultur (Ägypten)
  • osteuropäische Schockkultur (Russland)
  • südeuropäische Klientelkultur (Italien, tendenziell auch italienischsprachige Schweiz)
  • nordeuropäische Service public Kultur (Norwegen, Deutschland, Frankreich, aber auch französischsprachige Schweiz)
  • liberale, atlantisch-pazifische Kultur (USA, tendenziell auch deutschsprachige Schweiz)

Allerdings weist Blum auch auf typische sprachregionale Unterschiede der Medienkulturen hin. In seiner Reinform findet sich das dominante Schweizer Muster nur in der französischsprachigen Westschweiz. In der italienischsprachigen Schweiz orientieren sich die Medien verstärkt am südeuropäischen System. Ganz anders sind die Entwicklungen in der deutschsprachigen Schweiz. Denn diese tendiert – immer mehr – Richtung liberaler Medienkultur, wie man sie vor allem in den USA kennt.

Konfrontativer, parteiischer

Im liberalen System koppeln sich Medien vom Politsystem ab. Dafür steigt deren kommerzielle Ausrichtung, speziell im Online-Bereich. In ihrem Stil werden sie dabei konfrontativ und damit auch parteiischer. Das zeigt sich in der Deutschschweiz namentlich bei der Wochenpresse, die heute stark an den Polen positioniert ist und entsprechend berichtet.  

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Man sah das gut am Abstimmungskampf der Gegnerschaft des Medienpakets. Der Angriff kam aus dem erweiterten Mediensystem, wo sich Journalismus, PR und Politik vermischten – und er kam von rechts. Die Kampagne der Gegner nutzte Elemente wie Skandalisierung, Personalisierung und Emotionalisierung zur Steigerung der Aufmerksamkeit, und sie war klar anti-etatistisch ausgerichtet.

Das wirkte! Noch im Dezember zeigte die erste SRG-Umfrage zu den Stimmabsichten mit 48:48 ein Patt. Von Anfang gab es sprachregionale Unterschiede. Hinzu kam ein parteipolitisch motiviertes Nein bei SVP und FDP. Doch stieg diese mit dem Abstimmungskampf entscheidend über die Parteigrenzen hinaus. Fast die Hälfe stimmte schliesslich der liberalen Aussage zu, es sei keine Aufgabe des Staates, einzelne Wirtschaftsbranchen vor Marktveränderungen zu schützen.

Was der Röstigraben heute ausdrückt

Das verweist somit auch auf einen Wandel in der Schweizer Medienkultur: Polarisierte, laute Töne in den Medien finden zunehmend Anklang. Man kann die Abstimmung insofern als ein Schritt von einer Service-Public-Medienkultur zu einer liberalen sehen. Deutlich ablesbar ist diese Entwicklung namentlich in der deutschsprachigen Schweiz. Der Druck kommt von rechts, insbesondere von SVP und FDP. Anders als in der Europafrage befinden sich diese beiden bei Medienthemen im gleichen Boot.

Vergleichbares dürfte sich bei der Volksabstimmung über die Filmförderung am 15. Mai wiederholen. Und es könnte eine weitere Abstimmung über die SRG prägen. Gegenwärtig werden Unterschriften für die Volksinitiative “No Billag 2” gesammelt, welche die Halbierung der jährlichen SRG-Gebühr verlangt.

Die beschriebene Dynamik ist eine Erweiterung des Röstigrabens. Dies ist der mentale Graben zwischen lateinischer Schweiz und Deutschschweiz, der sich bei Volksabstimmungen immer wieder manifestiert. Sein Ursprung liegt im Konflikt um den Nationalkonservatismus, seit längerem ist auch eine weitere thematische Komponente im sozialpolitischen Etatismus auszumachen. Gesteuert wird der Röstigraben vor allem durch Konstellationen in den Eliten des Parteiensystems.

Genährt wird dieser Graben aber durch unterschiedliche vorherrschende politische Kulturen, die in Abstimmungskämpfen aktiviert werden können.

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