Rette sich wer kann in Venezuela
Immer mehr Menschen flüchten aus Venezuela. An einer Konferenz in Genf verurteilten diese Woche verschiedene Redner die venezolanische Regierung und die immer dramatischere Krise im erdölproduzierenden Land. Maria-Alejandra Aristeguieta, Vertreterin der venezolanischen Opposition in der Schweiz, verlangt, dass sich Bern stärker engagiert.
Eine beinahe stille Tragödie sucht gegenwärtig Venezuela heim. Die politische, soziale und gesundheitliche Krise führt in diesem reichen erdölfördernden Land zur Flucht von Zehntausenden. Laut dem UNO-Hochkommissariat für FlüchtlingeExterner Link (UNHCR) haben Venezolaner und Venezolanerinnen seit 2016 mehr als 80’000 Asylgesuche gestellt. Trotzdem sorgt die Krise nur selten für grosse Schlagzeilen. Die meisten westlichen Regierungen schieben sie beiseite.
Verdacht auf Geldwäscherei in der Schweiz
Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) untersucht derzeit mutmassliche Verstösse gegen Anti-Geldwäscherei-Standards. Dies auch in Verbindung mit der Affäre um das staatliche venezolanische Erdöl-Unternehmen PDVSA.
Die «Schweizer Finanzpolizei» prüfe bei mehreren Banken, «ob und inwiefern sie involviert seien und wie die Bestimmungen des Aufsichtsrechts umgesetzt werden», wie ein Finma-Sprecher der Nachrichtenagentur SDA schrieb.
Die Finma sah sich zu diesem Statement veranlasst, nachdem der Tages-Anzeiger berichtet hatte, dass zwei Geschäftsmänner Bestechungsgelder in der Höhe von 27 Millionen Dollar für ehemalige venezolanische Beamte auf ein Schweizer Bankkonto überwiesen haben sollen.
Diese Information sei aus der Anklageschrift gegen fünf ehemalige Minister und Offizielle aus Venezuela hervorgegangen. US-Staatsanwälte im texanischen Houston verdächtigen diese Gruppe der Geldwäscherei.
Kürzlich fand in Genf eine Konferenz für Menschenrechte und Demokratie statt (Geneva summit for human rights and démocracyExterner Link), organisiert von der Vereinigung UN Watch. Als Rednerin trat auch Maria-Alejandra Aristeguieta auf, Koordinatorin der «Iniciativa Por Venezuela» und Vertreterin der Plattform der venezolanischen Opposition (MUD).
swissinfo.ch: Warum wird die Krise in Venezuela immer schlimmer?
Maria-Alejandra Aristeguieta: Die Situation verschlimmert sich, weil die Gründe für die Krise immer noch da sind: die schlechte Führung des Landes, seiner Wirtschaft und das Gewicht der Korruption, welche die Staatskasse leergeräumt hat.
Aus diesen Gründen ist es sehr schwierig, Arbeitsstellen zu schaffen. Die Inflation explodiert. 2017 lag sie bereits bei 2400%Externer Link. Die Löhne reichen nicht einmal mehr aus, um Babywindeln zu kaufen, die man sowieso nirgends mehr findet. Die Armut steigt stetig an, während sich die Krise weiter ausbreitet. Es ist nicht nur eine politische, sondern auch eine wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Krise.
Besonders der soziale Bruch ist enorm. Während sich ein kleiner Kreis um die Regierung herum beträchtlich bereichert hat, ist die Mittelschicht verschwunden. Jene, die geblieben sind, leben zwar noch in ihren Häusern, aber ihre Kühlschränke sind leer. Ihre Armut ist nicht augenfällig, aber sie ist real.
Auch die Ärmsten beginnen, aus dem Land zu fliehen. Während die Leute früher wegen Gewalt und Kriminalität flohen, weil sie versuchten, ihren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen, fliehen heute die Ärmsten, um einfach nur zu überleben. Nachdem sie die Grenze überschritten haben, befinden sie sich zwar immer noch in einer prekären Situation, aber an einem besseren Ort als in Venezuela, einem gescheiterten Staat.
swissinfo.ch: Ist sich die Staatengemeinschaft des Ausmasses dieser Krise bewusst?
M.-A.A.: Die Regierungen wachen erst langsam auf. Das zeigt sich hauptsächlich in deren Reden, nicht in deren Taten. Mit Ausnahme von Luiz Almagro, dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, der für uns ein wahrer Held für die Verteidigung der Rechte der Venezolaner ist.
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Die Mehrzahl der Länder bleibt vorsichtig, während sie auf ein Resultat des Dialogs zwischen der Opposition und der Regierung von Nicolas Maduro wartet (dieser kandidiert bei der nächsten Präsidentschaftswahl im nächsten April, A.d.R.). Doch dieses Regime gleitet in Richtung einer Diktatur und will die Macht um keinen Preis abgeben. Es will nur Zeit gewinnen, auf dem Buckel der Menschen.
Die Länder – auch die Schweiz – müssen anerkennen, dass das schmutzige Geld aus Korruption, Erpressung und Drogenschmuggel auf ihren Banken landet. Wir vermuten, dass Politiker, Mitglieder des Parlaments, Gelder zum Beispiel in der Schweiz parkiert haben. Wir hätten gerne, dass diese Konten zumindest überprüft werden, um sicherzugehen, dass es sich dabei nicht um schmutzige Gelder handelt.
swissinfo.ch: Wissen Sie von konkreten Fällen?
M.-A.A.: Luisa Ortega (die ehemalige Staatsanwältin von Venezuela, die von ihrem Amt enthoben wurde), war kürzlich in der Schweiz. Von ihr wissen wir, dass Venezolaner, die in den Skandal um das brasilianische Bauunternehmen Odebrecht verwickelt waren, Konten in der Schweiz haben.
swissinfo.ch: Haben Sie sich an die Schweizer Behörden gewandt?
M.-A.A.: Wir konzentrieren uns auf die internationalen Organisationen in Genf, besonders das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, wo wir Unterstützung finden. In Bern haben wir mit Parlamentariern und dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) gesprochen. Doch sie bleiben vorsichtig.
Unterstützung finden wir bei europäischen, kanadischen und lateinamerikanischen Parlamentariern, nicht aber in der Schweiz. Venezuela scheint wahrscheinlich kein wichtiges Land mehr für die Schweiz zu sein, auch wenn sich dort mehrere grosse Schweizer Unternehmen gut etabliert haben.
Wir fragen uns, ob dieses Desinteresse seitens der Schweiz mit wirtschaftlichen oder ideologischen Gründen erklärt werden kann. Besonders in der Sozialdemokratischen Partei wiederholen gewisse Leute seit Jahren die gleiche pro-chavistische Rede.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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