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Klimaflüchtlinge kommen auf internationale Agenda

Ostafrika wurde vor vier Jahren von einer der schlimmsten Hungersnöte heimgesucht. 350'000 Menschen waren deswegen auf der Flucht. picture-alliance

Menschen, die wegen Naturkatastrophen oder infolge des Klimawandels zu Flüchtlingen werden, sollen besseren Schutz erhalten. Die Schweiz hofft auf internationale Zustimmung zu einer entsprechenden Initiative, die sie gemeinsam mit Norwegen lanciert hat.

Wenn sich am 12. und 13. Oktober über hundert Länder in Genf treffen, kann die Schweiz mit einem gewissen Stolz und mit Zuversicht ihre “Schutzagenda”Externer Link (“Agenda for the Protection of Cross-Border Displaced Persons in the Context of Disasters and Climate Change”) präsentieren.

“Die Agenda ist ein Werkzeugkasten, der das Phänomen beschreibt, Schutzlücken aufdeckt und bereits zu einem gewissen Grad auf regionalem Niveau implementierte, effiziente Praktiken aufzeigt”, sagt Sabrina Dallafior stellvertretende Leiterin der Abteilung Menschliche Sicherheit im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Drei Jahre Konsultationen in aller Welt hätten es möglich gemacht, das Thema der Klimaflüchtlinge auf die internationale Agenda zu bringen, beispielsweise anlässlich der Konferenz der Vereinten Nationen (UNO) zur Katastrophenvorsorge, an Klimakonferenzen und am World Humanitarian Summit nächstes Jahr.

“Unsere Konsultationen zeigten eine zunehmende politische Handlungsbereitschaft”, sagt Walter Kälin, Experte für internationales Recht und Gesandter des Vorsitzes der in Genf beheimateten Nansen-InitiativeExterner Link.

Möglicherweise reicht das nicht aus, doch Kälin betont, dass Regierungen in von Katastrophen heimgesuchten Ländern – in Ost-, West- und dem südlichen Afrika, in Zentral- und Südamerika, in Asien und der Pazifikregion – gerne bereit seien, politische Schritte einzuleiten.

Allerdings ist es laut Kälin nicht möglich, die UNO-FlüchtlingskonventionExterner Link von 1951 zu reformieren, weil dazu der politische Konsens fehle und zweifelhaft sei, ob dies die praktischere Lösung wäre. “Das Problem des ansteigenden Meeresspiegels im Pazifik ist nicht vergleichbar mit Dürreproblemen und Hungersnöten in Afrika”, sagt er.

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Dafür plädiert Kälin für einen regionalen Ansatz, indem nationale Gesetzgebungen harmonisiert werden. “Das ist hilfreicher”, glaubt er. Auch innerhalb der UNO sieht er Verbesserungspotenzial, durch eine verstärkte Koordination zwischen den verschiedenen Behörden.

Nackte Zahlen

Naturkatastrophen wie Erdbeben, Erdrutsche und Überschwemmungen zwangen zwischen 2008 und 2014 laut Experten 14 Millionen Menschen, ihr Daheim zu verlassen. Schätzungen gehen sogar davon aus, dass jedes Jahr 26 Millionen Menschen zu Klimaflüchtlingen werden, also mehr als zehn Mal so viele.

“Das ist eine Person pro Sekunde”, sagt Kälin. “Die Zahl ist sogar grösser als jene der Flüchtlinge, die vor Konflikten fliehen.” Klimaflüchtlinge könnten sogar zu den Flüchtlingen der Zukunft werden. “Wissenschaftliche Prognosen lassen wenig Raum für Optimismus”, gibt Kälin zu bedenken.

Auf den ersten Blick könnten einige Weltregionen unmittelbarer betroffen sein, doch die Menschen, die ihr Daheim aufgeben und aus ihren Ländern nach Europa fliehen würden, hätten die Klimaflüchtlinge zu einem globalen Thema gemacht. Schliesslich könnten Naturkatastrophen jeden Kontinent ohne Warnung heimsuchen, so Kälin.

Wissenschaftler hegen keinen Zweifel daran, dass die Zahl der Naturkatastrophen und Flüchtlinge in nächster Zukunft ansteigen wird.

“Wir in der Schweiz und in Europa können sicherstellen, dass die nötigen Massnahmen früh genug getroffen werden, um humanitäre Krisen nach Naturkatastrophen zu verhindern”, sagt er. Zu den Vorbeugungsmassnahmen gehören Evakuationen aus Risikogebieten und Umsiedelungs-Programme.

Konsultation

Die “Schutzagenda” wird als Schritt betrachtet, eine der zentralen humanitären Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzugehen. 2012 starteten die Schweiz und Norwegen gemeinsam einen zwischenstaatlichen Prozess, um die Verdrängung von Menschen durch Katastrophen und die Auswirkungen des Klimawandels besser zu verstehen.

Das Ziel der dreijährigen Konsultationen mit unzähligen Ländern und Mitgliedern der Zivilgesellschaft überall auf der Welt war laut der Nansen-Initiative, effiziente Praktiken und die gemachten Erfahrungen in den betroffenen Ländern besser verstehen zu können.

Zwar wird die Schweiz von ihrer Führungsrolle im Initiativkomitee zurücktreten, doch sie wird ihr Engagement aufrechterhalten, zusammen mit einer Gruppe anderer Länder. “Wir haben unser 2011 gemachtes Versprechen gehalten, doch das Thema wird eine Priorität in der Schweizer Aussenpolitik bleiben”, sagt EDA-Frau Dallafior.

Nachdem man “wesentliche Fortschritte bei der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema Klimaflüchtlinge gemacht” habe, wie Kälin sagt, plant die Schweiz nun, sich für eine Umsetzung der Massnahmen einzusetzen. Deren Annahme ist während des Treffens in Genf vom 12.-13. Oktober vorgesehen.

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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