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Öffentlichkeits-Prinzip setzt sich nur langsam durch

Grundsätzlich öffentlich: Dokumente in der Schublade. Keystone

Fünf Jahre nach Inkrafttreten habe das Öffentlichkeits-Prinzip in der Verwaltung keinen Paradigmenwechsel ausgelöst. Auch in der Öffentlichkeit und in den Medien habe die Änderung keinen Wandel zur Folge gehabt. – Das ist das Fazit einer Fachtagung.

“Wir erhalten zwar  problemlos Auskunft über die Lehrlingsausbildung, aber nicht über die Spesen der Parlamentarier”, sagte Martin Stoll, Leiter des Recherche-Desks der SonntagsZeitung am Podiumsgespräch der ersten Schweizerischen Tagung zum Öffentlichkeits-Prinzip in der Verwaltung.

Stoll räumte ein, dass die Bundesverwaltung heute “mehr Dokumente ins Netz stellt”, als noch vor einigen Jahren und kritisierte, es gebe “Widerstandsnester”, also Amtsstellen, die “noch grosse Mühe haben mit der Transparenz”.

Vor fünf Jahren hat die Schweiz das Öffentlichkeits-Prinzip in der Verwaltung gesetzlich verankert. Das heisst: Seither gelten die von der Bundesverwaltung produzierten Dokumente grundsätzlich als öffentlich. Geheime Dokumente müssen als solche klassifiziert werden. Vor der Einführung des neuen Gesetzes galt genau das Gegenteil. Dokumente galten als geheim. Für deren Veröffentlichung brauchte es formell eine Aufhebung der Geheimhaltung.

Ziel: mehr Vertrauen in die Behörden

Ziel des Öffentlichkeits-Prinzips sei es, “die Beziehungen zwischen Bürger und Staat zu verbessern und die Akzeptanz der behördlichen Tätigkeiten zu verbessern”, sagte der Soziologe-Professor Dirk Helbling.

Grundsätzlich führe “fehlende Offenheit zu Vertrauensverlust. Das sieht man in arabischen Staaten oder beim fehlenden Vertrauen der Finanzmärkte in die Banken. Die zusätzliche Kontrolle soll der Verwaltung grundsätzlich auch helfen, die Korruption zu bekämpfen”, so Helbling, der gleichzeitig einräumte, dass die Korruption in der Schweizer Verwaltung weit weniger verbreitet sei, als in andern Ländern.

Wandel blieb aus

Für Luzius Mader, Vizedirektor des Bundesamtes für Justiz , fällt die Bilanz “insgesamt positiv” aus: “Die Befürchtungen, dass die Verwaltung mit Gesuchen überrannt wird, haben sich als unbegründet erwiesen. Ein Paradigmenwechsel ist aus meiner Sicht nicht wirklich eingetreten.”

Bisher habe es keinen Wandel in der Verwaltungskultur gegeben, sagt Mader: “Die Verwaltungswirklichkeit ist noch viel stärker geprägt von Vertraulichkeit als von einer Sensibilität für Transparenz und Öffentlichkeit. Das ist bedauerlich. Vielleicht werden die kommenden Jahre zu gewissen Fortschritten führen.”

Indiskretionen gegen Geheimnisse

Der freisinnige Nationalrat Ruedi Noser sagte, “was die Verwaltung tut, ist grundsätzlich öffentlich, entweder heute oder später in der Geschichte” – mit andern Worten: Irgendwann kämen auch die Geheimnisse per Indiskretion oder auf anderen Wegen an die Öffentlichkeit.

Er ziehe eine “eher positive Bilanz”, sagte der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte Hanspeter Thür. “Die Entwicklung zu mehr Transparenz wurde vielleicht weniger durch das Gesetz ausgelöst, als vielmehr durch die gesellschaftliche Entwicklung. Wikileaks hat dort angesetzt, wo gewisse Personen zu wenig Transparenz gesehen haben.”

Mehr als drei Jahre bis zum Ziel

Ein Beispiel dafür, wie gewisse Amtsstellen versucht haben, die Geheimhaltung höher zu gewichten, als die Transparenz, dokumentierte der ehemalige Bundeshaus-Redaktor der Freiburger Tageszeitung La Liberté, Erik Reumann.

Nach der Entlassung des ehemaligen Generalsekretärs des abgewählten Justizministers Christoph Blocher durch dessen Nachfolgerin Eveline Widmer-Schlumpf, verlangte Reumann Auskunft über die Abgangsentschädigung. Dabei berief er sich auf das Öffentlichkeitsgesetz.

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) verweigerte den Zugang zu den Dokumenten. Dasselbe tat das Bundesverwaltungsgericht. Doch das Bundesgericht als oberste Instanz entschied in der Folge, das EJPD müsse die Dokumente herausgeben.

Damit waren Reumann und La Liberté jedoch noch nicht am Ziel. Es brauchte noch mehrere Instanzen, bis die Zeitung im April 2011 in den Besitz der Dokumente kam. Seit dem Gesuch um Akteneinsicht waren nun drei Jahr und drei Monate vergangen. Die Geschichte hatte in der Zwischenzeit wesentlich an Brisanz verloren.

Urteil mit direkten Folgen

Das Grundsatzurteil des Bundesgerichts, wonach das Interesse der Öffentlichkeit höher zu gewichten sei, als die Privatsphäre eines Spitzenbeamten, blieb nicht ohne Folgen. Als ein paar Tage später die jurassische Regierung den Polizeikommandanten entliess, veröffentlichte sie auch dessen Abgangsentschädigung.

Das Gesetz ist seit dem 1. Juli 2006 in Kraft.

Der Wechsel vom Grundsatz zur Geheimhaltung zum Öffentlichkeitsprinzip erleichtert den Zugang zu amtlichen Dokumenten.

Jede Person kann in Zukunft Einsicht in amtliche Dokumente verlangen, ohne ein besonderes Interesse nachweisen zu müssen. Sie richtet ihr Gesuch an jene Behörde, die das Dokument erstellt oder von Dritten, die nicht dem Öffentlichkeitsgesetz unterstehen, erhalten hat. Sie kann die gewünschten Dokumente vor Ort einsehen oder Kopien anfordern. Die Bearbeitung des Gesuchs ist gebührenpflichtig.

Der Zugang zu amtlichen Dokumenten kann zum Schutz überwiegender öffentlicher oder privater Interessen eingeschränkt oder verweigert werden.

Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn durch die Einsicht in amtliche Dokumente die freie Meinungs- und Willensbildung einer Behörde beeinträchtigt oder die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet werden könnte.

Gewährt die zuständige Behörde nicht oder nicht in vollem Umfang Zugang zu amtlichen Dokumenten, kann die gesuchstellende Person einen Schlichtungsantrag an den Datenschutz- und Öffentlichkeits-beauftragten stellen

Das Gesetz gilt für die Bundesverwaltung, für die Parlamentsdienste sowie für Organisationen, die öffentliche Aufgaben erfüllen.

Vom Gesetz nicht erfasst werden hingegen die Schweizerische Nationalbank und die Bankenkommission.

Quelle: EJPD

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