Soll die Autobahn-Vignette teurer werden?
Der Preis für die Jahresvignette zur Benützung der Schweizer Nationalstrassen soll von heute 40 auf 100 Franken angehoben werden. So wollen es zumindest Regierung und Parlament. Doch dagegen wurde das Referendum ergriffen, weshalb die Preiserhöhung am 24. November an die Urnen kommt.
Nach der Ankündigung der Preiserhöhung war der Aufschrei in der Bevölkerung gross. Der Aufschlag von 40 auf 100 Franken sei zu hoch, ausländische Autofahrer würden mit der Kurzzeit-Vignette bevorzugt, kleine und mittelgrosse Unternehmen mit Wagenflotten benachteiligt, hiess es.
Rasch fand sich ein Komitee, das mit dem Slogan «Abzockerei des Privatverkehrs» Unterschiften gegen das Begehren von Landesregierung (Bundesrat) und Parlamentsmehrheit sammelte.
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Drei verschiedene Systeme
Innert nur drei Monaten kamen 107’424 gültige Unterschriften zusammen. 50’000 sind in der Schweiz nötig, um eine Gesetzesvorlage zur Begutachtung vors Stimmvolk zu bringen.
«Dem Bürger, dem Autofahrer wird Geld aus der Tasche gezogen, aber kein Mehrwert geboten», sagt Nadja Pieren, Nationalrätin der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und Ko-Präsidentin des überparteilichen Referendumskomitees «Nein zur 100-Franken Autobahnvignette».
«Wir werden nicht weniger Stau haben, wir werden keine besser erschlossenen Strassen haben. Wir können einfach mehr bezahlen für Strassen, die bereits gebaut sind, die heute der Kanton bezahlt und neu der Bund bezahlen soll», betont sie.
Auch Grüne dagegen
Ebenfalls gegen die Vorlage stellen sich die beiden grossen Schweizer Automobil-Verbände, der Automobil Club der Schweiz (ACS) und der Touring Club Schweiz (TCS). Sie fordern vom Bundesrat eine Neugestaltung der gesamten Strassenfinanzierung.
Aus anderen Gründen spricht sich der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) gegen eine teurere Vignette aus. Der Umweltverband ist dagegen, «noch mehr Geld» für Strassenbau und neue Nationalstrassen aufzuwenden.
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Grosser Streit um kleinen Aufkleber
Auch die grüne Partei setzt sich gegen die Vorlage ein. Unter anderem argumentiert sie damit, dass kein weiterer Ausbau von Autobahnen erwünscht und eine verursacherorientierte Lenkungssteuer angebrachter sei als der heutige Einheitspreis: «Wer mehr fährt, soll mehr bezahlen», so die Grünen. Einer Erhöhung auf 80 Franken hätte die Partei zugestimmt.
Bürgerliche kämpfen für Aufschlag
Für die Preiserhöhung setzen sich unter anderen der Bundesrat, eine Mehrheit des Parlaments, die Schweizerische Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz der Kantone, der Städteverband und die Schweizer Hoteliers ein. Zudem kämpft ein bürgerliches Komitee für ein «Ja zur Vignette».
«Die Schweiz braucht eine gute und sichere Infrastruktur», sagt Nationalrat Christophe Darbellay, Präsident der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) und Ko-Präsident des Befürworter-Komitees. «Wir haben während Jahren zu wenig investiert. Jetzt haben wir Nachholbedarf. Und diese Infrastruktur ist uns so viel wert.»
Es gebe kein anderes Land in Europa, das verhältnismässig derart viele Brücken und Tunnels unterhalten und bauen müsse, gibt der Walliser zu bedenken. «Das begründet für mich diesen Preis. Das ist wirklich gut investiertes Geld.»
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Verkehrsministerin Doris Leuthard, auch sie CVP-Mitglied, hat Ende September den Abstimmungskampf der Regierung für die Vorlage eröffnet. «Die Menschen bekommen auch einen Nutzen für die erhöhte Vignette: Sie haben mehr Sicherheit, und die Umfahrungen bringen in vielen Städten auch weniger Lärm», sagte sie im Schweizer Radio.
Egal ob man das Schweizer Nationalstrassennetz innerhalb eines Jahres nur einmal oder täglich befährt: Die Autobahn-Vignette kostet seit einer halben Ewigkeit 40 Fr.
1985 war sie zum Preis von 30 Fr. pro Jahr eingeführt worden. 1995 wurde der Preis auf den heute noch gültigen Stand von 40 Fr. angehoben.
Die Erträge aus dem Verkauf dieser an die Frontscheibe anzuklebenden Vignetten fliessen in die Strassenkasse des Bundes und werden ausschliesslich für Bau, Betrieb und Unterhalt der schweizerischen Nationalstrassen (Autobahnen) eingesetzt.
Die nun anstehende Preiserhöhung auf 100 Fr. pro Jahr wird vom Bundesrat mit dem so genannten Netzbeschluss begründet: Laut diesem sollen 376 Kilometer bestehende kantonale Strassenabschnitte ins Nationalstrassennetz aufgenommen werden, um die Bedürfnisse mittelgrosser Städte und Agglomerationen sowie der Randregionen zu erfüllen.
Mit dem Netzbeschluss würde jede Kantonshauptstadt ans Nationalstrassennetz angeschlossen.
Zudem sollen Ausbauvorhaben der Kantone, die nationale Bedeutung haben, vom Bund übernommen und einige Engpässe beseitigt werden. Für Betrieb, Unterhalt und Ausbau jener neuen Strecken (beispielsweise Umfahrungen, Lärmsanierungen oder Lawinenschutz) rechnet der Bund mit Mehrkosten von 305 Millionen Franken.
Neben dem Aufkleber für 100 Franken soll für Touristen neu eine Zweimonats-Vignette für 40 Fr. erhältlich sein.
«Jetzt den Vignettenpreis zu erhöhen, der die Probleme, die wir auf der Strasse haben, nicht löst, ist schlichtweg Abzockerei beim Volk, das ist eine versteckte Steuer mehr, die der Bürger bezahlen muss», entgegnet Pieren.
Es dürfe nicht alles immer auf die Autofahrerinnen und Autofahrer abgewälzt werden, erklärt die Bernerin.
«Der Autofahrer darf und will nicht weiter die Milchkuh der Nation sein, um irgendwo irgendwelche finanziellen Löcher des Staates stopfen zu müssen. Dagegen wehren wir uns und sagen bei dieser Vignetten-Preiserhöhung: Stopp, so nicht! Hier ist die Grenze erreicht.»
Ausländer bevorzugt?
Pieren stösst sich auch daran, dass ausländische Autofahrer durch die neu vorgeschlagene Kurzzeit-Vignette für zwei Monate bevorzugt würden: «Es ist unfair, wenn ausländische Personen nur 40 Franken bezahlen müssen und die Schweizer, die nicht nur zwei Monate lang die Vignette brauchen, sondern zwölf, dafür sehr selten, 150% mehr.»
Darbellay allerdings sieht darin eine gute Lösung, gerade auch weil die ausländischen Strassenbenutzer ebenfalls zur Kasse gebeten würden. «Wenn wir lediglich eine Lösung auf Steuergeldern anstreben würden, dann müssten nur die Schweizer und die schweizerischen Firmen zahlen.»
Die Gegner hätten immer geweint, dass zu viel für den öffentlichen Verkehr gemacht würde. «Unter dem früheren Verkehrsminister Moritz Leuenberger konnten wir kaum über Strassenbau reden. Das war Tabu. Jetzt erst können wir diese Sache anpacken. Und es besteht dringender Handlungsbedarf.»
Doch jetzt, wo durch die Preiserhöhung der Vignette frisches Geld für Unterhalt und Ausbau von Autobahnen generiert werden könnte, werde auch dies wieder bekämpft.
«Es gibt einige wichtige Rahmenbedingungen, wenn wir das Erfolgsmodell Schweiz weiterziehen wollen. Und gute Infrastrukturen gehören dazu», so Darbellay.
Da es sich bei der Vorlage um einen Bundesbeschluss handelt, ist am 24. November lediglich das Volksmehr ausschlaggebend, die Kantonsstimmen spielen bei diesem Urnengang keine Rolle.
Die Europäische Union (EU) hat angekündigt, mit der Schweiz Gespräche über die Einführung einer Kurzzeit-Vignette für eine Woche oder 10 Tage aufzunehmen.
Alle anderen Länder mit Vignettenpflicht bieten die Möglichkeit an, ihre Autobahnen für kurze Zeit zu einem tieferen Preis zu nutzen.
Die bisherige Vignette ist ein Kleber, der an der Frontscheibe angebracht werden muss – und oft nur mühsam wieder abzulösen ist.
Verkehrsministerin Doris Leuthard plant, ab 2019 an deren Stelle ein elektronisches System zu installieren, das abgestufte Vignettenpreise nach ausländischem Vorbild ermögliche.
Laut einem Bericht der Zollverwaltung kennen bereits mehrere europäische Länder elektronische Abgabe-Systeme.
Die Vorteile: Einfacherer Betrieb und Kontrolle, Einsparungen und weniger Missbrauch.
Die Zollverwaltung rechnet jährlich mit 30 Mio. Fr. Einbussen wegen Fälschungen und Mehrfachverwendung von Vignetten.
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