Publikumsrenner Bundeshaus

Zum sechsten Mal in Folge hat das Parlamentsgebäude in Bern am Nationalfeiertag für die Öffentlichkeit seine Türen und Säle geöffnet.
Im Innern des Hohen Hauses erhielten Besucherinnen und Besucher eine sympathisch dargebrachte geballte Ladung Schweiz – und Schokolade am Ausgang.
Punkt neun schlug es vom Zytglogge-Turm, als die Eingangstür des Bundeshauses geöffnet wurde. Eine stattliche Menschenmenge stand bereits Schlange, um den 1. August, den Nationalfeiertag, mit etwas Staatskunde zu beginnen.
Wer allerdings einfach hineinspazieren wollte, wurde mit rigorosen Eingangskontrollen an den herrschenden Zeitgeist erinnert. Jacke, Handy oder Schlüsselbund mussten in ein Gefäss abgelegt werden, Taschen und Rucksäcke wurden durchleuchtet. Die Besucher selber durch Detektoren geschleust. Wir kennen das vom Flughafen.
Einmal drin im Bundeshaus, trat der Alltag in den Hintergrund. Vor den massigen, in Stein gemeisselten drei Eidgenossen in der Eingangshalle, deren Rütlischwur am Nationalfeiertag gedacht wird, sang der Choeur-mixte St-Laurent d’Estavayer-le-Lac – bei dem übrigens Nationalratspräsidentin Thérèse Meyer-Kaelin mitsang – und tauchte das Haus in sphärische Klänge.
Überhaupt: Das Bundeshaus strahlte auch am Besuchstag seine Würde aus. Diese dämpfte Schritt und Lautstärke der Besucher. Wer draussen noch laut lachte oder schwatzte, wurde automatisch zum Bundeshaus-Flüsterer.
National- und Ständerat
Zu besuchen waren der National- und Ständeratssaal und die Wandelhalle. Es durfte auch ein Blick in das Bundesratszimmer geworfen werden. Ebenfalls öffentlich zugänglich war das «Ratskafi».
Nachdem der Zauberer Urs Zürcher im Ständeratssaal den Anwesenden bewiesen hatte, dass Politik kein fauler Zauber sei, begannen im Nationalrat die «Erläuterungen zum Parlament».
Robert Heymann, der mit «Gästebetreuer» angeschrieben war, stellte den Saal des Nationalrates vor, wobei er, nebst den gängigen Fakten, durchaus auch eher unbekanntere Dinge vermittelte.
So interessierten vor allem die Kameraeinstellung des Schweizer Fernsehens und das System für die elektronischen Abstimmungen in den Räten.
Die Knöpfe dazu sind im ehemaligen Tintenfass untergebracht, wo der Parlamentarier oder die Parlamentarierin Ja oder Nein drücken kann. Um Missbrauch vorzubeugen, muss mit der rechten Hand die Ja- oder Nein-Taste gedrückt werden und gleichzeitig mit der linken Hand ein gelber Knopf unten am Pult. «So kann keiner gleichzeitig auch noch für einen andern abstimmen», sagte Heymann.
Die Stauffacherin
Auch die erste Frau, die im Nationalrat Platz nehmen durfte, wurde vorgestellt. Damit verwies Heymann auf die Tatsache, dass die Frauen in der Schweiz erst seit 1971 über das Stimm- und Wahlrecht auf eidgenössischer Ebene verfügen.
Lange vorher, also unter der «Männerdemokratie», sass nur Gertrud Stauffacher als Steinfigur zur linken Seite des Nationalrats-Präsidenten. Die Stauffacherin habe ihrem Mann Werner geraten, dem Bund der Eidgenossen beizutreten, sagte Heymann. «Möglicherweise gäbe es ohne sie die Schweiz heute nicht.»
Rechts vom Präsidenten und der Stauffacherin thront Tell. Mit rauschendem Bart, in seinen legendären kurzen Hosen und mit seiner Armbrust.
Er wurde natürlich vor allem von den ausländischen Gästen bewundert. Sie kamen von überall her, es ist ja Ferienzeit. Doch die Schweizerinnen und Schweizer jeden Alters waren in der Mehrzahl. Darunter viele in T-Shirts mit Schweizerkreuz. Das Label Schweiz setzt seinen Siegeszug fort.
Fragestunde im Nationalrat
Aber auch die Politiker und Politikerinnen waren am Tag der offen Tür im Bundeshaus anwesend. Vertreten durch Nationalratspräsidentin Thérèse Meyer-Kaelin und Ständeratspräsident Bruno Frick, beide von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), aber das war an diesem Tag nicht so auschlaggebend.
Im Publikumsgespräch mit den Chefs der Parlamentskammern kamen der Mythos Rütli und die «Einzigartigkeit» der Schweiz, bei Schwierigkeiten zusammen zu stehen und Probleme selber und nicht fremdbestimmt zu lösen, zur Sprache.
Eine Frau – Beobachterin in Brüssel, wie sie sich vorstellte – riet der Schweiz, ja nicht der EU beizutreten. Ein Mann aus Deutschland fragte, wie die Schweiz es denn schaffe, jedes Jahr einen andern Bundespräsidenten zu haben. Finanzpolitik, Vielsprachigkeit, Forstwirtschaft und Umweltpolitik wurden angesprochen.
Auch der gefürchtete Moment dieser «Jeder-Kann-Mal-Fragestunden», wo Leute plötzlich wortreich über ihre persönlichen Leiden und die dafür vermeintlich Verantwortlichen zu erzählen beginnen, fehlte nicht.
Bewundernswert, wie Präsidentin und Präsident diese Fragen beantworteten und die eher peinlichen Momente souverän umschifften. Und das erstaunlich offen und nicht nur mit Allgemeinplätzen.
Wunsch nach mehr Anstand
Ständeratspräsident Frick sagte auf die Frage, was er sich denn für die Schweiz am 714. Geburtstag wünsche, dass es uns auch künftig gut gehe und dass wieder mehr Achtung voreinander in dieses Haus einkehren möge. Die habe in letzter Zeit arg gelitten. Frick: «Ein Bundesrat ist zwar eine öffentliche Person, aber kein öffentliches Pissoir».
Nach dieser geballten Ladung Schweiz verliessen viele das Bundeshaus, um den zahlreich Wartenden vor der Tür Platz zu machen. Nicht ohne «Bhaltis»: Der Verband Schweizer Schokoladenfabrikanten schenkte allen eine Tafel «Chocolat au Lait Suisse».
Beim Ausgang, der auch von Polizisten bewacht wurde, stellte sich nur noch eine Frage: Warum denn niemand dieses Haus «Stade de Suisse» getauft hat.
swissinfo, Urs Maurer, Bern
Das Bundeshaus war zum sechsten Mal am 1. August von 09.00 bis 16.00 für das Publikum geöffnet worden.
Auf dem Programm standen Erläuterungen zum Parlament sowie ein Publikumsgespräch mit Nationalratspräsidentin Thérèse Meyer-Kaelin und Ständeratspräsident Bruno Frick (beide CVP).
Jeder Besucher erhielt eine Tafel Schokolade.
Das Bundeshaus in Bern wurde zwischen 1892 und 1902 gebaut.
Architekt war Hans Wilhelm Auer, ein Schüler Gottfried Sempers.
Eröffnet wurde das Bundeshaus am 1. April 1902 (kein Scherz).
Zuvor (seit 1848) hatten die Räte in Häusern der Stadt Bern und später im Westflügel getagt, dem so genannten «Bundesratshaus».

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