
Schweiz als Vorbild für Sri Lanka

Das Schweizer Kantonsmodell soll als Vorbild für einen föderativen Staat auf Sri Lanka dienen. Vertreter der tamilischen Rebellenbewegung wollen dieses in der Schweiz studieren.
Die Regierung Sri Lankas und die LTTE einigten sich in Oslo auf ein föderales Staatsmodell.
Nach fast 20 Jahren Bürgerkrieg auf Sri Lanka haben sich die sri-lankische Regierung und Vertreter der Rebellenbewegung Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) auf ein friedliches Zusammenleben in einer Föderation geeinigt.
Der Durchbruch gelang nach viertägigen Verhandlungen in der norwegischen Hauptstadt Oslo.
LTTE-Besuch in Bern
Am Montag werden sich in Bern zwei hochrangige LTTE-Vertreter mit einer Delegation des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zu einem Gedankenaustausch über den Friedensprozess in Sri Lanka treffen. «Dabei wollen wir auch erörtern, wie die Schweiz beim Aufbau einer föderalen Regierungsstruktur mithelfen könnte», sagt EDA-Sprecher Manuel Sager gegenüber swissinfo.
Die Schweiz wolle dabei Norwegen als Friedensvermittler nicht konkurrenzieren, betont Sager. Bern habe sich im Konflikt in Sri Lanka seit einigen Jahren auf humanitäre Hilfe und Minenräumung konzentriert, sagt der EDA-Sprecher.
Neben dem föderalen Modell der Schweiz wollen die sri-lankischen Konfliktparteien auch ähnliche Staatsstrukturen anderer Länder wie Kanada, Deutschland, Australien und Indien studieren.
Reichtum Multikulturalität
«Die Schweiz ist einer der wenigen föderalen Staaten, die auf einem multikulturellen Hintergrund basieren», sagt Professor Thomas Fleiner, Direktor des Instituts für Föderalismus an der Universität Freiburg, gegenüber swissinfo. Die Struktur auf Sri Lanka sei ähnlich vielfältig und äusserst komplex.
«Sri Lanka ist nicht einfach ein Staat, der in zwei Teile geteilt ist, wie etwa Zypern. Es gibt eine tamilische Bevölkerung überall, im Norden, im Osten, aber auch in der Mitte des Landes, unterschiedliche Tamilen also. Neben der singhalesischen Mehreit gibt es eine grosse muslimische Minderheit, und es gibt auch christliche Minderheiten.
Fleiner will die Schweiz nicht als «Modell» oder «Vorbild» für andere sehen, sondern eher als «Typus» des Föderalismus. «Dieser Typus des Föderalismus beruht auf der Tatsache, dass die ganze Schweiz und das ganze Rechtssystem letztlich durchdrungen ist von der Problematik und vom Lösungswillen der Multikulturalität.»
Multikulturalität werde bei uns als Reichtum empfunden, was auch in der Verfassung stehe. «Und im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten ist beispielsweise der Kompromiss in der Politik ein Wert und nicht ein Schwächezeichen», so Fleiner.
Die Schweiz habe das Minderheitenproblem nie nur unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte betrachtet, sondern unter der Frage «wer regiert wen». Das sei eine Machtfrage, und Minderheitenprobleme seien immer Machtprobleme, sagt Fleiner.
Weil die Schweiz dieses Machtproblem zu lösen versucht habe, indem sie den verschiedenen Minderheiten entsprechende Macht im Staat gab, habe sie diesen eigenen Typus des Föderalismus entwickelt. «Genau das müsste man in Sri Lanka versuchen», so Fleiner zu swissinfo.
Zivilbevölkerung einbeziehen
Thomas Fleiner, der Sri Lanka auch schon besucht hat, betont die Wichtigkeit, die Zivilbevölkerung des Landes in den Friedensprozess einzubeziehen. Ohne sie sei kein föderaler Staat aufzubauen, warnt er.
In dieser Hinsicht sei die internationale Gemeinschaft gefordert. Sie müsse sich bemühen, die verschiedenen Menschen aus den verschiedenen Gegenden zusammenzubringen. Ein Faktor, der auch für den Zypern-Konflikt gelte und im Nahostkonflikt leider vernachlässigt worden sei.
Die internationale Gemeinschaft müsse immer auch darauf schauen, dass der Gesamtstaat in der Lage sei, die Menschenrechte in allen Regionen zu garantieren. Und das sei immer eines der schwierigen Probleme in solchen föderalen Einigungen, sagt Fleiner.
Im August waren Vertreter der LTTE und der sri-lankischen Regierung bereits zu einem Föderalismus-Seminar in St. Gallen eingeladen. Und Thomas Fleiner rechnet im nächsten Jahr mit einem bis zwei weiteren Kongressen in diesem Zusammenhang.
Zufriedene Tamilen-Vertreter in der Schweiz
Als «historischen Durchbruch» bezeichnet der Präsident der Vereinigten Organisationen der Tamilen in der Schweiz, Anton Ponrajah, die Einigung von Oslo, die für alle Tamilen akzeptabel sei.
«Schwieriger wird es für die sri-lankische Regierung sein, die Unterstützung der singhalesischen Politiker zu erhalten, die mehr zu zu verlieren haben», sagt Ponrajah gegenüber swissinfo.
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Sri Lanka: Seit 1983 Bürgerkrieg zwischen Regierungsarmee und tamilischen Rebellen
Mehr als 70’000 Tote und eine Million Flüchtlinge
Februar 2002: Die Konfliktparteien unterzeichnen einen Waffenstillstand
05.12.2002: Einigung auf eine föderale Staatsstruktur in Oslo
Die dritte Runde der Friedensverhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien von Sri Lanka ist am 05.12.2002 in Oslo mit Erfolg abgeschlossen worden. Die Delegationen der Regierung und der tamilischen Rebellenbewegung LTTE einigten sich darauf, nach Möglichkeiten für eine föderale Staatsstruktur zu suchen.
Eine Delegation der LTTE will nun in der Schweiz den föderativen Staatsaufbau studieren. Das Schweizer Kantonsmodell soll als Vorbild für eine ähnliche Staatsstruktur auf Sri Lanka dienen.
Delegationen der Konfliktparteien nahmen bereits im August dieses Jahres an einem Föderalismus-Seminar in St. Gallen teil. Das Institut für Föderalismus an der Universität Freiburg plant weitere Treffen in diesem Zusammenhang.
Die Gemeinschaft der Tamilen in der Schweiz begrüsst die Einigung von Oslo.

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