
Steuerinitiative: das «Ja, aber» der Kantone

Kein Schweizer Kanton befürwortet offiziell die Steuergerechtigkeits-Initiative der Sozialdemokraten, über die das Stimmvolk am 28. November abstimmt. Dennoch würden einige Kantone von einem weniger ausgeprägten Steuerwettbewerb profitieren.
Die Kantone und die Gemeinden sind offiziell und geschlossen gegen die Initiative.
Am 5. November haben sie Ihre Bedenken an einer gemeinsamen Medienkonferenz dargelegt und das Volksbegehren scharf kritisiert.
In den Augen der kantonalen und kommunalen Behörden hat die Initiative mehrere Makel.
Sie bezeichnen sie als «Frontal-Attacke» gegen die Souveränität und argumentieren, sie unterhöhle die Nähe zwischen den Behörden und der Bevölkerung und sie untergrabe die Attraktivität des schweizerischen Steuersystems.
Die Westschweizer Kantone sowie Bern und die beiden Basel wären von einem Ja zur Initiative nicht betroffen, denn sie haben bereits heute die höheren Steuersätze für hohe Einkommen, welche die Sozialdemokraten mit ihrer Initiative verlangen.
Konferenz der Regierungen einheitlich
Theoretisch müssten sie also die Initiative befürworten, denn sie würde das Steuergefälle zwischen den Kantonen reduzieren und die Kantone mit tiefen Steuersätzen für Reiche weniger attraktiv erscheinen lassen.
Dazu kommt, dass etwa der Kanton Zürich wenig begeistert ist von den Steuerparadiesen in Nachbarkantonen, in denen sich Reiche Steuerzahler niederlassen, aber weiterhin in den grossen Zentren arbeiten und von den städtischen Infrastrukturen profitieren.
Doch weder Zürich noch die Westschweizer Kantone sprechen sich offiziell für die Initiative aus. Sogar der Kanton Neuenburg, der als Steuerhölle gilt und der immer wieder mit dem Wegzug betuchter Steuerzahler konfrontiert ist, hat sich der Haltung der Konferenz der Kantonsregierungen angeschlossen.
Graben zwischen links und rechts
Einige kantonale Finanzdirektoren unterstützen die Initiative dennoch. So vertritt der sozialdemokratische Neuenburger Finanzdirektor Jean Studer regelmässig seine Meinung in den Westschweizer Medien.
Auch die sozialdemokratische Basler Finanzdirektorin Eva Herzog hat sich zugunsten der Initiative ausgesprochen.
Die Kampagne im Vorfeld der Abstimmung zeigt also auch bei den Finanzdirektoren das klassische Bild eines Grabens zwischen den Linken und den Rechten. Die linken Regierungsräte unterstützen die Initiative, die Bürgerlichen sind dagegen.
Spannungen in Freiburg
Diese Ausgangslage führt zuweilen zu Spannungen innerhalb der kantonalen Exekutiven. So im Kanton Freiburg, wo die vier bürgerlichen Regierungsräte in einer gemeinsamen Plakat-Kampagne gegen die Initiative auftreten.
Die andern drei Regierungsräte, zwei Linke und ein Unabhängiger, reagierten verärgert auf die Kampagne, die den Eindruck gibt, die Kantonsregierung in corpore sei gegen die Initiative.
Nachdem die drei protestiert hatten und nach entsprechenden Artikeln in der Lokalpresse wurde die Kampagne modifiziert. Seither erscheinen die vier bürgerlichen Regierungsräte zusammen mit andern Persönlichkeiten auf den Plakaten, womit die Kampagne nun weniger behördlichen Charakter hat.
Debatte am Radio
Dass die Finanzdirektoren zur Initiative keine gemeinsame Haltung haben, zeigt auch die Tatsache, dass der sozialdemokratische Neuenburger Finanzdirektor Jean Studer kürzlich in einer Radiosendung gegen seinen Freisinnigen Freiburger Amtskollegen Claude Lässer angetreten ist.
Dabei hat sich gezeigt, dass sich die Argumente der Finanzdirektoren nicht von denjenigen anderer Politiker und der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände unterscheiden.
Die Volksinitiative «Für faire Steuern. Stopp dem Missbrauch beim Steuerwettbewerb» wurde 2008 mit fast 105’000 gültigen Unterschriften eingereicht.
Die Hauptforderung: Ein Mindeststeuersatz für alleinstehende Personen, die über 250’000 Franken im Jahr verdienen oder über 2 Millionen Franken Vermögen besitzen.
Für Familien und Paare sollen diese Grenzbeträge erhöht werden können.
Im Parlament war die Initiative chancenlos: Der Nationalrat lehnte sie mit 128 zu 64 Stimmen ab, der Ständerat mit 30 zu 9 Stimmen.
Da es sich bei einer Volksinitiative immer um eine Verfassungsänderung handelt, kommt sie automatisch vors Volk.
Zudem bedingt eine Verfassungsänderung zwingend das Volksmehr und das Ständemehr (eine Mehrheit der Kantone).
(Übertragen aus dem Französischen: Andreas Keiser)

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