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UNO zeigt Gaddafi die Zähne

Zu Beginn der Menschenrechtsrats-Sitzung war der Sitz Libyens leer. Keystone

Der UNO-Menschenrechtsrat hat in Genf die Gewalt und die Menschenrechts-Verletzungen in Libyen scharf verurteilt und empfiehlt, das Land aus dem Rat auszuschliessen.

Der aus 47 Mitgliedsstaaten bestehende Rat, darunter befindet sich auch die Schweiz, beschloss zudem die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission.

Am Nachmittag kündigte der libysche UNO-Botschafter vor dem Rat an, das gesamte Personal der libyschen UNO-Botschaft hätte sich von Oberst Gaddafi losgesagt, es unterstehe künftig dem libyschen Volk.

Adrien-Claude Zoller, Präsident der Nichtregierungsorganisation “Genève pour les droits de l’homme” analysiert gegenüber swissinfo.ch die getroffenen Entscheidungen und deren Auswirkungen.

swissinfo.ch: Kommt diese Resolution gegen Muammar Gaddafi nicht überraschend?

Adrien-Claude Zoller: Oberst Gaddafi hat mit seinen Menschenrechts-Verletzungen zur Front gegen ihn beigetragen. Es ist zwar nur eine oberflächliche Einheit, aber niemand konnte das Risiko auf sich nehmen, Gaddafi zu verteidigen.

Nur wenige, etwa Kuba oder Nicaragua, haben es fast getan, sich dann aber doch nicht richtig getraut.

swissinfo.ch: Libyen wurde jedoch trotz seiner Mängel im Menschenrechtsrat aufgenommen. Jetzt, mit dieser Resolution, scheint es, als ob sich der Wind gedreht hätte…

A.-C.Z.: Überhaupt nicht. Der Menschenrechtsrat besteht aus Staaten. Und wenn man alle “bösen” rauswerfen würde, würde niemand mehr übrig bleiben. Es ist nicht das Problem, dass Libyen ein Mitglied ist. Das Problem ist, dass sich die Staaten mit ihrer Mitgliedschaft zu einer besseren Achtung der Menschenrechte verpflichten. Nun hat Libyen das Gegenteil getan.

Das ist das erste Mal, dass ein Mitglied suspendiert wird. Aber ich weise darauf hin, dass der Menschenrechtsrat dies nicht zu entscheiden hat. Er kann dies nur der UNO-Generalversammlung vorschlagen, da nur sie entscheiden kann.

Diese Entscheidung muss nächste Woche mit einer Zweidrittelsmehrheit gefällt werden. Das ist viel, denn zwei Drittel der Länder auf diesem Planeten verletzen die Menschenrechte im grossen Stil.

swissinfo.ch: Denken Sie, dass die Resolution angenommen werden wird?

A.-C.Z.: Ja, denn diese Zustimmung verschafft den Ländern, welche die Menschenrechte ernsthaft verletzen, einen Sündenbock.

Und für die arabischen Länder ist es eine gute Möglichkeit, sich gegen Oberst Gaddafi zu stellen. Sie geben damit nicht nur der Generalversammlung ein Signal, für den Schutz der Menschenrechte einzustehen, sondern auch ihrer Bevölkerung, indem sie sagen: “Ich, Katar, Saudi-Arabien, verurteile Gaddafi und ich werde nicht dasselbe wie er tun.” Selbst der Iran kann das tun. Dies dient der Beruhigung der Bevölkerungen in den arabischen Ländern.

swissinfo.ch: Der Menschenrechtsrat wurde oft kritisiert. Hilft diese Resolution, sein Image zu verbessern?

A.-C.Z.: Nein, denn diese Kritiken waren falsch. Der Menschenrechtsrat setzt sich aus Staaten zusammen. Und die Staaten und ihre Voten im Rat muss man kritisieren, nicht den Rat an sich.

Tatsache aber ist, dass der Rat einen historischen Schritt getan hat, der ein starkes Signal aussendet.

swissinfo.ch: Ein weiteres starkes Signal ist nächste Woche der Auftritt von US-Aussenministerin Hillary Clinton in Genf. Könnte dies bedeuten, dass die US-Politik im Rat neuen Schwung erhält?

A.-C.Z.: Nicht wirklich. Die US-Politik hat sich am Tag nach der Wahl von Barack Obama geändert. Dies hat sich in vielen Resolutionsvorlagen gezeigt. Der Besuch von Frau Clinton ändert nichts an der libyschen Frage. Denn die Entscheidungen sind heute in Genf getroffen worden.

swissinfo.ch: Hat der Menschenrechtsrat mit dieser Resolution einen Vorschlag gemacht, den der UNO-Sicherheitsrat nie zu treffen gewagt hätte? Gibt es eine Art Interaktion zwischen den beiden Gremien?

A.-C.Z.: Die Dinge sind anders gelaufen. Es gibt in Genf einen Hochkommissar, der die Ereignisse in Libyen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnete und verlangte, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssten, um diese zu stoppen.

Darauf telefonierte der UNO-Generalsekretär mit Oberst Gaddafi und der Sicherheitsrat verhandelte darüber. Es war der Sicherheitsrat, der den Menschenrechtsrat aufgefordert hat, sich zusammenzusetzen.

Die Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, hat auch eine Untersuchung verlangt. Ich denke, diese internationale Untersuchung ist das Grundelement der Resolution. Sie wird in einen Bericht des Generalstaatsanwalts des Internationalen Strafgerichtshofs einfliessen.

Die heutige Libyen-Resolution, mit dem Absatz, dass eine Untersuchung durchgeführt wird, ist ein guter Versuch, das internationale Strafrecht weiterzubringen.

swissinfo.ch: Der Resolutionsentwurf wurde von der Europäischen Union eingebracht. Wie beurteilen Sie die europäische Position im Fall Libyen?

A.-C.Z.: Europa hat nur eine Sorge: Die Flüchtlingsmassen, die Richtung Norden kommen könnten. Dies könnte Europa mehr interessieren als das Schicksal der Opfer.

Gäbe es wirklich eine europäische Politik, müsste diese weiter gehen, zum Beispiel über das Mittelmeergebiet hinaus. Es braucht eine geopolitische und militärische Perspektive. Denn es könnte eine “Somalisierung” Libyens stattfinden.

Wenn die EU morgen ein Somalia auf der anderen Seite des Mittelmeers will, muss sie nur so weiterfahren wie bisher.

swissinfo.ch: wie könnte man ein solches Szenario verhindern?

A.-C.Z.: Man müsste sofort mit der Faust auf den Tisch hauen. Aber Europa hat das nicht getan, seit die Unruhen vor drei Wochen begonnen haben. Man täuscht sich im Menschenrechtsrat, wenn man das Gefühl hat, die Initiative gehe von Europa aus.

Jetzt muss man den Druck auf Oberst Gaddafi und seinen Clan erhöhen. Es braucht Massnahmen auf dem Niveau des Sicherheitsrats, namentlich im Hinblick auf die Sperrung des Luft- und Seeraums. Denn so kann Gaddafi viel weniger Macht ausüben.

Die Europäische Union EU hat sich auf Sanktionen gegen die libysche Führung um Machthaber Muammar al-Gaddafi geeinigt.

Die EU-Staaten vereinbarten im Grundsatz Kontosperrungen, Reiseverbote und ein Embargo für Waffen und andere Güter, die zur Repression der Demonstranten dienen können.

Der Rat hat die Aufgabe, die Einhaltung der Menschenrechte weltweit zu überprüfen, kann aber keine verbindlichen Entschlüsse fassen.

Der Rat kann Sonderberichterstatter ernennen, die sich mit der Menschenrechts-Situation in einem bestimmten Staat oder mit einem bestimmten Menschenrechts-Thema befassen wie mit Folter, modernen Formen der Sklaverei, Minderheitenrechten oder dem Schutz der Menschenrechte beim Kampf gegen Terrorismus.

Der Rat verfügt zudem über einen Mechanismus zur periodischen Überprüfung der Menschenrechtslage in allen UNO-Staaten und der Einhaltung ihrer Menschenrechts-Verpflichtungen (Universal Periodic Reviews, UPR).

In einer zweiten Phase müssen die Staaten über die Umsetzung der Empfehlungen berichten.

Die Schweiz hatte sich 2008 der UPR unterzogen. Im Bericht listet der Rat 31 Empfehlungen auf.

Übertragung aus dem Französischen: Etienne Strebel

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