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“Der Klimaschutz stärkt die Energiesicherheit in der Schweiz”

Jacqueline de Quattro
Jacqueline de Quattro ist FDP-Mitglied und sitzt seit 2019 im Nationalrat. © Keystone / Alessandro Della Valle

Das neue Klimagesetz trägt zur Energieunabhängigkeit der Schweiz bei und bietet der Wirtschaft Chancen, sagt FDP-Nationalrätin Jaqueline de Quattro.

Am 18. Juni stimmt die Schweiz über das Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit ab. Dieser indirekte Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative verlangt, dass die Schweiz ihre Netto-Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null reduziert.

Ziel ist es, die Umstellung auf erneuerbare Energien zu beschleunigen und die Abhängigkeit des Landes von Energieimporten zu verringern. Die SVP ist gegen das neue Gesetz und hat deshalb das Referendum ergriffen.

Lesen Sie dazu: Das Schweizer Klimagesetz erklärtExterner Link

FDP-Nationalrätin Jacqueline de Quattro verteidigt die Vorlage. “Der Klimaschutz stärkt die Energieversorgungssicherheit in der Schweiz.”, sagt sie im Interview* mit swissinfo.ch

Link Externer Linkzum neuen Klimagesetz.

Erläuterungen Externer Linkzum Klimagesetz auf der Website des Bundesamtes für Umwelt.

Website Externer Linkdes Komitees, welhes das Klimagesetz befürwortet

Website Externer Linkdes Komitees, welches das Klimagesetz ablehnt.

SWI swissinfo.ch: Das neue Klimagesetz sieht kein explizites Verbot von fossilen Brennstoffen vor. Aber um klimaneutral zu werden, wird man auf Benzin, Heizöl und Gas verzichten müssen. Woher kommt die Energie, um die Autos zu fahren und die Häuser zu heizen?

Jacqueline de Quattro: Die Schweiz hat bislang der Umstrukturierung ihrer Energieversorgung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist dringend nötig, diesen Rückstand aufzuholen, und das Parlament sowie der Bundesrat haben bereits die notwendigen Schritte unternommen.

Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Die Energieversorgung muss breiter diversifiziert werden, indem neben der Wasserkraft die Photovoltaik als weiterer Pfeiler fungiert.

Ebenso wird die Windenergie wichtig sein, da sie zwei Drittel der Energie im Winter produziert und somit eine sinnvolle Ergänzung zu unseren Photovoltaikparks und Staudämmen darstellt.

Zudem müssen wir unsere Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn verbessern und die Speicherkapazitäten erhöhen.

Ist es nicht riskant, in einer Zeit, in der Energieknappheit und Krieg in der Ukraine herrschen und oft von Strommangel die Rede ist, auf fossile Brennstoffe zu verzichten?

Durch Investitionen in Innovationen, ohne Einschränkungen durch Verbote und Steuern, kann die Schweiz schrittweise klimaneutral werden. Dieser ausgewogene Ansatz schützt das Klima wirksam und bietet der Schweizer Wirtschaft Chancen.

Die Förderung von Innovationen schafft nicht nur Wertschöpfung, sondern auch Arbeitsplätze im Inland sowie Exportmärkte.

Der aktuelle geopolitische Kontext hat zudem unsere Abhängigkeit vom Ausland und von fossilen Brennstoffen aufgedeckt. Unsere Energieunabhängigkeit beträgt derzeit lediglich knapp 30%.

Im Vergleich dazu sind wir im Nahrungsmittelsektor zu 60% selbstversorgt, was oft als unzureichend angesehen wird.

Angesichts der Krisen müssen wir dringend Alternativen finden, indem wir erneuerbare Energien fördern und unsere Energieeffizienz steigern.

Schauen Sie hier unser Video zum Klimagesetz:

Das Volk will keine CO2-Steuern. Das Parlament hat daher beschlossen, Hausbesitzer:innen Zuschüsse für den Austausch ihrer Heizungen zu gewähren. Aber muss wirklich die gesamte Bevölkerung, die mehrheitlich aus Mieter:innen besteht, für eine Minderheit von Hausbesitzer:innen bezahlen?

Das Klimagesetz bietet konkrete Anreize für den Austausch von Heizungen und die Sanierung von Gebäuden, um die Energieeffizienz zu steigern.

Diese Massnahmen kommen nicht nur dem Klima zugute, sondern stärken auch die Wirtschaft. Unternehmen können sicherer planen, da die Nachfrage nach energieeffizienten Produkten und Dienstleistungen steigen wird.

Hausbesitzer:innen erhalten finanzielle Unterstützung, um energieintensive Öl-, Gas- und Elektroheizungen durch umweltfreundlichere Alternativen zu ersetzen. Dies verbessert auch die Energieeffizienz, wodurch die Kosten und Nebenkosten reduziert werden können. Davon profitieren auch die Mieter:innen.

Wie wird sich das Klimagesetz auf die Energieunabhängigkeit der Schweiz auswirken?

Dank des Klimagesetzes wird der Verbrauch von fossilen Brennstoffen, die zu 100% aus dem Ausland stammen, reduziert. Stattdessen wird auf Elektrizität gesetzt, die durch erneuerbare Energien bereitgestellt wird.

Zum Beispiel durch den Einsatz von Wärmepumpen anstelle von Gas- oder Ölheizungen sowie von Elektroautos anstelle von Benzinautos.

Jede Investition in erneuerbare Energien verringert die Abhängigkeit von importiertem Öl und Gas. Das Gesetz stärkt somit die Energieversorgungssicherheit in der Schweiz.

Die Gegner behaupten, dass zur Erreichung der Klimaziele die Schweizer Landschaft mit Sonnenkollektoren und Windrädern zugebaut werden soll. Müssen im Namen der Klimaneutralität Zugeständnisse gemacht werden, etwa in Bezug auf die Landschaft oder die Umwelt?

Man sollte sich über die Ziele bewusst sein. Wollen die Gegner:innen, dass die Schweiz wieder auf Atomkraftwerke setzt? Wir wissen nicht, ob die Bevölkerung diesen Ansatz mehrheitlich unterstützt. In der Schweiz wird immer eine Interessensabwägung vorgenommen. Bei Wohn- und Geschäftsgebäuden, Infrastruktur, Krankenhäusern und Schulgebäuden müssen Kompromisse eingegangen werden.

Im Solarbereich können unzählige Dachflächen genutzt werden. Im Ausland werden Windkraftanlagen akzeptiert, solange sie weit genug von Wohngebieten entfernt sind. Unsere Probleme mit der Biodiversität werden nicht durch den Ausbau der erneuerbaren Energien verursacht, sondern durch die wachsende Bevölkerung, deren Bedürfnisse und den Klimawandel.

Die Schweiz ist nur für 0,1% der globalen Emissionen verantwortlich. Warum muss sie Klimaneutralität anstreben, wenn sie weiss, dass dies keine Auswirkungen auf das Weltklima haben wird?

Die Schweiz hat das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet und sich damit verpflichtet, ihren Beitrag zu leisten. Die Schweiz verfügt über ein umfangreiches Wissen und Know-how, das für den Wandel hin zu einer klimafreundlichen Gesellschaft benötigt wird.

Und wir sehen bereits jetzt deutliche Auswirkungen des Klimawandels in unserem Land, wie Dürren, Wetterextreme und das rapide Abschmelzen der GletscherExterner Link. Tatsächlich steigt die Durchschnittstemperatur in der Schweiz doppelt so schnell wie im weltweiten Durchschnitt.

Die Kosten für Klimaschäden betragen hierzulande bereits heute mehrere Milliarden Franken und die Kosten für Anpassungsmassnahmen Hunderte von Millionen pro Jahr. Je länger wir warten, desto teurer wird es.

Nach Berechnungen der Schweizerischen Bankiervereinigung muss die Schweiz jährlich fast 13 Milliarden Franken investieren, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Woher soll das Geld kommen beziehungsweise wer soll das bezahlen?

Ich erinnere daran, dass die Neue Alpentransversale rund 14 Milliarden gekostet hat. Mobilität hat ihren Preis – aber das gilt auch für die Versorgungssicherheit.

Klimaneutralität setzt vor allem den Umbau unseres Energiesystems voraus. Es muss sicher, nachhaltig, einheimisch und unabhängiger vom Ausland sein.

Die ersten 10 Milliarden werden durch den Verzicht auf die Einfuhr fossiler Brennstoffe ausgeglichen. Der Rest ist eine lohnende Investition, weil sie die Betreibskosten der Energiegewinnung senkt. Derzeit wird weit mehr Kapital in diesen Sektor investiert, als nötig ist.

Das Schweizer Volk hat den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Doch viele sagen, dass die Kernenergie als Stromquelle, die keine oder nur geringe Emissionen verursacht, nicht vernachlässigt werden darf. Spielt die Atomenergie in der Klimadiskussion eine Rolle?

Eine kurzfristige Lösung kann nicht in der Kernenergie liegen, auch wenn sich die Technologie weiterentwickelt hat. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist noch immer nicht gegeben, die Kosten sind hoch und die Entsorgung des radioaktiven Abfalls stellt nach wie vor ein Problem dar.

Es ist wichtig zu sagen, dass der Ruf nach Atomtechnologie nicht von Energieökonom:innen kommt. Für Expert:innen sind die jüngsten Fortschritte noch weit von der industriellen Reife entfernt. Dennoch werde sie oft als DIE Lösung präsentiert.

Selbst die grossen Stromkonzerne sind skeptisch. Und die Finanzindustrie, einschliesslich Investoren und Versicherer, wird aufgrund der Probleme beim Bau neuer Kraftwerke vor grossen Herausforderungen stehen.

*Das Interview wurde schriftlich geführt.

Michael Graber, Nationalrat der SVP erklärt, warum er gegen das neue Klimagesetz ist:

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Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer

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