Der liebenswerte Riese Stucki siegt zum Schluss
Als Elfjähriger hatte er Schuhgrösse 47. Christian Stucki blieb eine Ausnahmeerscheinung, als Mensch und als Kämpfer.
Einer der grössten und erfolgreichsten Schwinger aller Zeiten hängt die Zwilchhose an den Nagel. Christian Stucki gab am Wochenende am Seeländischen Schwingfest in Lyss seine Dernière – und holte sich den Festsieg.
Zu Beginn seiner Karriere lebte Christian Stucki von dem, was ihm die Natur mit auf den Weg gegeben hatte: Unmengen an Kraft und eine Postur, die Ehrfurcht erweckte. Es gab in den frühen Jahren Gegner, die sich freiwillig auf den Rücken legten – um zu verhindern, dass der 160 Kilo schwere Athlet mit Anlauf auf sie drauf fällt.
So stark wie sanftmütig
Die Angst vor gebrochenen Rippen war nachvollziehbar. Bis allgemein erkannt wurde, dass “Chrigu” schwächere Gegner so schonungsvoll wie möglich ins Sägemehl bettete. Und so offenbarte er sich, dieser faszinierende Mensch, der so stark ist wie sanftmütig.
Legendär sind die Geschichten, die davon erzählen, dass der junge Stucki vor dem Training in der Garderobe noch kurz ein Kilo Wurst verspeiste. Eine maximal ungeeignete Ernährungsstrategie. Ausserdem spielte er nebenbei Fussball, und das Hornussen mochte er auch nicht ganz lassen.
Trotzdem gewann er 2001 als 16-Jähriger seinen ersten Kranz. Als 18-Jähriger am Emmentalischen gewann er alle 6 Gänge und damit sein erstes Kranzfest. Doch wirklich ernst nahm er die Schwingerei noch längst nicht mit all der Kraft und Schnelligkeit, die er halt einfach hatte, ohne viel dafür tun zu müssen. Dann geschahen zwei Dinge.
Hartnäckige Infektion
Am Schwarzsee-Schwinget 2006 trug Christian Stucki einen Bluterguss am Schienbein davon. Eine scheinbar harmlose Geschichte, aus der sich aber eine Infektion ergab, die so dramatisch wurde, dass sogar eine Amputation des Unterschenkels zur Diskussion stand. Stucki war als Forstwart 14 Monate arbeitsunfähig und konnte eineinhalb Jahre lang nicht trainieren.
Mag sein, dass ihm diese Erfahrung das Bewusstsein vermittelt hat, wie wenig selbstverständlich es ist, einen gesunden und starken Körper zu haben. Dann begegnete er Fabian Lüthi, einem Spezialisten im Bereich Athletiktraining, der Stucki davon überzeugen konnte, mehr für den Schwingsport zu tun.
Von da an sah man den einstigen Minimalisten mehrmals wöchentlich um sechs Uhr morgens, vor Arbeitsbeginn im Kraftraum. Der Erfolg stellte sich unmittelbar ein.
2008 gewann Christian Stucki seinen ersten Titel mit Eidgenössischem Charakter. Das logische nächste Ziel war der Königstitel.
Zuviel Kraft für die Geräte
Es kam vor, dass in der Beinpresse zu wenig Gewicht aufgelegt werden konnte. Trotz maximaler Beladung der Hantelstange stemmte Stucki für ein Maximalkrafttraining noch zu viele Wiederholungen. Also setzte sich jemand zusätzlich auf die Stange drauf, erst dann war das Gewicht gross genug.
Stärker als Athlet Stucki war keiner. Blieb die Herausforderung, dass der Mensch Stucki für einen knallharten Zweikampf nicht gemacht schien. Er war gezwungen, den lieben Kerl in sich für die Momente des Kampfes zu verdrängen.
Erneut begegnete er einem Menschen, der ihn in einem wichtigen Prozess entscheidend unterstützte. Tommy Herzog wurde als Stuckis Mentaltrainer bezeichnet wurde, weil er in ihm einen Modus wecken konnte, der ihn vom gemütlichen “Chrigu” zum Zweikämpfer Stucki machte. Immer wieder.
Auch vor dem Schlussgang des Eidgenössischen in Zug, als Stucki im Zelt der Berner weinte, weil er den Königstitel nach zwei Gestellten Gängen verloren glaubte. Es kam anders. Und vielleicht war Stucki nie weniger sich selber, als in dieser letzten Kampfminute von Zug, die ihn zum König machte. Ein Titel, den Stucki alle gegönnt haben.
Bis heute ist Christian Stucki neben Jörg Abderhalden einer von nur zwei Schwingern, die alle drei grossen Feste – Kilchberger Schwinget, Unspunnenfest, Eidgenössisches – gewonnen haben.
Am Wochenende trat Christian Stucki zurück. Als einer der Grössten und Erfolgreichsten aller Zeiten. Als einer, der sogar noch mehr aus seinen Möglichkeiten hätte machen können, und der sich genau diese Gedanken selbst nie machen wird.
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