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Die Schweiz bestraft Konzerne kaum, sagt Transparency International

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Im Dezember 2022 wurde der schweizerisch-schwedische Maschinenbaukonzern ABB von der Schweizer Justiz in einem Korruptionsfall in Südafrika zu einer Geldstrafe von 4 Millionen Franken verurteilt. © Keystone / Walter Bieri

Schweizer Unternehmen werden öfters in internationale Korruptions- oder Geldwäscheskandale verwickelt. Zur Rechenschaft gezogen werden sie selten, kritisiert die NGO Transparency International.

Am 2. Dezember 2022 verurteilte die Schweizer Justiz den schwedisch-schweizerischen Maschinenbaukonzern ABB zu einer Geldstrafe von 4 Millionen Franken. Mitarbeiter:innen des multinationalen Unternehmens hatten ein Bestechungssystem eingerichtet, um Aufträge im Zusammenhang mit dem Bau eines Kohlekraftwerks in Südafrika zu erhalten.

Seit die sogenannte Unternehmensstrafbarkeit im Jahr 2003 eingeführt wurde, können Unternehmen in der Schweiz belangt werden, wenn sie selbst keine Massnahmen zur Verhinderung schwerer Straftaten wie Korruption ergriffen haben.In der Praxis werden Firmen in der Schweiz aber nur selten wegen ihrer Verwicklung in Korruptions- und Geldwäschereifälle verurteilt. Zu diesem Schluss kommt die Nichtregierungsorganisation Transparency International in einem jüngst veröffentlichten BerichtExterner Link.

Seltene Verurteilungen in der Schweiz

Die NGO, die sich für den Kampf gegen Korruption stark macht, hat in den letzten 20 Jahren nur zehn rechtskräftige Verurteilungen festgestellt. Zugleich belegen Studien, die 2016 von der Universität St. Gallen und 2012 von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Chur durchgeführt wurden, dass rund ein Fünftel der im Ausland tätigen Schweizer Unternehmen Probleme mit Korruption haben.

“Schweizer Unternehmen, die in grosse internationale Korruptions- oder Geldwäscheskandale verwickelt sind, werden in der Regel im Ausland zur Rechenschaft gezogen, nicht aber in der Schweiz”, bedauert Martin Hilti, Leiter der Schweizer Sektion von Transparency International. So musste etwa der Rohstoffriese Glencore in den USA eine Geldstrafe von 700 Millionen Dollar für Betrugs- und Korruptionsfälle in Brasilien, Kamerun, Nigeria und Venezuela zahlen. In der Schweiz hingegen wurde der Konzern mit Sitz in Zug bislang nicht bestraft.

Justiz setzt auf Selbstanzeige

Transparency International ist der Ansicht, dass die geringe Anzahl von Verurteilungen durch die Schweizer Justiz “gegen rechtsstaatliche Prinzipien” verstösst und unter dem Gesichtspunkt der Prävention “unbefriedigend” ist. In ihrem Bericht weist die NGO auf Nachlässigkeiten der Staatsanwaltschaften hin. “Insbesondere die Bundesanwaltschaft verlor während den letzten Jahren viel Personal. Dadurch hat sie zu wenig Ressourcen, um diese komplexen Verfahren durchzuführen”, sagt Hilti.

Um Licht in die umfangreichen Fälle mit internationalen Verbindungen zu bringen, müssen die Staatsanwälte auch auf die Rechtshilfe mit ausländischen Behörden zurückgreifen. “Allerdings werden die Straftaten oft in Staaten begangen, mit denen diese Zusammenarbeit nicht funktioniert”, sagt der Sektionschef der NGO.

Die Staatsanwaltschaften sind somit zu einem grossen Teil auf die Kooperation der betroffenen Firmen oder sogar auf deren Selbstanzeige angewiesen, lautet ein Fazit des Berichts. “Sind die Unternehmen einmal in den Teufelskreis der Korruption geraten, brauchen sie die Justiz, um wieder herauszukommen. Sie haben also ein Interesse daran, zusammenzuarbeiten”, sagt Hilti.

In der Schweiz haben die Unternehmen jedoch nicht genügend Anreize, sich selbst anzuzeigen und mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Dies hat zur Folge, dass die Bundesanwaltschaft bislang nur eine einzige Verurteilung aufgrund einer Selbstanzeige vorgenommen hat, und zwar die des Unternehmens KBA NotaSys. Das Banknotendruckunternehmen wurde 2017 zu einer symbolischen Geldstrafe von einem Franken verurteilt, weil es in Brasilien, Marokko, Nigeria und Kasachstan Bestechungsgelder gezahlt hatte.

Transparency International kritisiert, dass es an Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit fehle. “Heute hat man den Eindruck, dass die Art und Weise, wie Strafvorschriften angewendet werden, von der Staatsanwaltschaft abhängt. Das schafft zu viel Unsicherheit für die Unternehmen”, sagt Hilti.

Klare und verbindliche Richtlinien

Um dieses Problem zu beheben, fordert die NGO die Staatsanwaltschaften auf, verbindliche und öffentlich zugängliche Richtlinien über ihre Praxis zur Thematik zu veröffentlichen. Firmen, die sich selbst anzeigen und kooperieren, sollten auch Vorteile haben, was die Strafen, die Art der Verfahren oder auch die Dauer dieser Verfahren betrifft.

Transparency International veröffentlichte bereits 2021 einen Bericht, der aufzeigt, wie die Gesetzgebung hinsichtlich der Haftung von Unternehmen verbessert werden könnte. Die NGO schlug unter anderem vor, die Obergrenze für Geldstrafen, bisher fünf Millionen Franken, zu erhöhen. Gebracht haben diese Vorschläge bislang wenig. “Die Massnahmen könnten aber einfach und ohne Änderung des gesetzlichen Rahmens umgesetzt werden”, betont Hilti.

>> Lesen Sie auch unseren Beitrag aus dem Jahr 2021 über den ersten Bericht von Transparency International:

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Bundesanwaltschaft für Gesetzesänderungen

Auf Anfrage von SWI swissinfo.ch erklärte die Bundesanwaltschaft, dass sie die Kritik von Transparency International zur Kenntnis nehme. Sie erachtet die Vorwürfe jedoch als “überraschend” und verweist auf den Bericht “Exporting Corruption 2022Externer Link” von Transparency International. Darin wird die Schweiz als einziges europäisches Land genannt, welches eine aktive Anwendung des OECD-Übereinkommens zur Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger gewährleistet.

Darüber hinaus befürworte die Bundesanwaltschaft Gesetzesänderungen, damit eine glaubwürdige Strafverfolgung von Unternehmen möglich sei, heisst es in der Antwort weiter. Sie erinnert auch daran, dass Bundesanwalt Stefan Blättler seit seinem Amtsantritt mehrfach aufgezeigt habe, dass die vom Strafgesetzbuchvorgesehene Maximalbusse von 5 Millionen Franken nicht ausreicht. In einem Interview mit der Zeitung “Le Temps” bezeichnete er die Summe als “lächerlich”. “Unser Recht muss abschreckend sein. Für ein Unternehmen, das Milliardengewinne erzielt, ist dies keine Geldstrafe”, sagte Blättler.

Im Rahmen der Revision der Strafprozessordnung, die im Schweizer Parlament diskutiert wird, unterstützt Blättler die Einführung eines neuen Instruments: die “aufgeschobene Anklage”. Das ist eine aussergerichtliche Vereinbarung, die es ermöglicht, die Anklageerhebung für eine gewisse Zeit aufzuschieben. Wenn es dem Unternehmen gelingt, seine Verpflichtungen gegenüber der Bundesanwaltschaft innerhalb dieser Frist zu erfüllen, könnte das Verfahren eingestellt werden. Blättler plädiert auch für die Einführung einer angemessenen Gesetzgebung zum Schutz von Whistleblower:innen, die insbesondere die Selbstanzeige von multinationalen Unternehmen erleichtern würde.

“Es ist nicht Aufgabe der Bundesanwaltschaft, den gesetzlichen Rahmen zu ändern, sondern es ist Sache des Parlaments, das Gesetz zu überarbeiten, um eine bessere strafrechtliche Verantwortung des Unternehmens zu ermöglichen”, so die Bundesanwaltschaft.

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