«Wir wollen die Black-Box des Kaffeehandels öffnen»
Ein Schweizer Ehepaar will mit seinem Start-up Direct Coffee den Kaffeehandel sozialer machen und Vorbild für andere Unternehmen sein. Die Kernidee: Konsumenten und Bauern in Äthiopien näher zusammenbringen.
Äthiopien gilt als Geburtsort des wilden Arabica-Kaffees. In den westlichen, waldreichen Regionen von Jimma und Kaffa ist Kaffee nicht nur Haupteinnahmequelle der Menschen, sondern nimmt in den Traditionen eine zentrale Rolle ein und ist Inspiration für Mythen und Legenden.
Es ist die grosse Wertschätzung gegenüber dieser leidenschaftlichen Kaffee-Kultur, welche Michaël und Marie Tuil vor einigen Jahren ins Land am Horn von Afrika zog. Sie gründeten Direct CoffeeExterner Link, ein Start-up mit einer Prämisse: Höchste Kaffeequalität und grosse Nachhaltigkeit in der Kaffeeproduktion erzielen, indem sie Konsumenten und Produzenten näher zusammenbringen.
«Wir wollten die Black Box auf beiden Seiten des Handels öffnen», erklärt Michaël Tuil. «Nicht nur für Kaffeetrinker ist es wichtig zu verstehen, woher ihr Kaffee kommt. Auch die Bauern wollen wissen: Wer sind die Leute, die unseren Kaffee trinken? Es gibt eine Menge Missverständnisse.»
Jedes Jahr während der Erntezeit im November veranstaltet das Schweizer Unternehmerpaar deshalb Reisen nach Äthiopien, bei denen Kunden und Fans des schwarzen Heissgetränks Kaffeebauern treffen, Degustationen machen und die teils komplexen Herstellungsprozesse kennenlernen können.
Dieser Artikel basiert auf Interviews und Beobachtungen der Journalisten Conradin Zellweger und Marco Frauchiger während ihres von Direct Coffee organisierten Besuchs bei den Kaffeebauern in Äthiopien. Weitere Interviews wurden von swissinfo.ch in der Schweiz geführt. Der ursprüngliche Text erschien im Magazin Surprise.
Akribischer Herstellungsprozess
Auch Jacques Prodolliet nahm teil. Besonders in Erinnerung geblieben sei ihm der Anblick der leuchtend roten Kaffeekirschen inmitten der dunkelgrünen Blätter im Kaffeewald, sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Prodolliet war 30 Jahre im Qualitätsmanagement des Schweizer Nahrungsmittelkonzerns Nestlé tätig, bevor er vor einigen Jahren in den Ruhestand trat. Der Westschweizer hat es seither seinem Herzensprojekt gemacht, den besten Kaffee der Welt zu finden und diesen zu einem Preis zu kaufen, von dem die Produzenten auch leben können.
Was Prodolliet während des Besuchs in Äthiopien am stärksten beeindruckte, war die Komplexität des Produktionsprozesses. «Es gibt so viele Dinge, die schief gehen können», sagt er. «Jeder Schritt erfordert Sorgfalt und Akribie, von der Pflege der Bäume über das Pflücken der Kirschen bis hin zum sorgfältigen Waschen und Trocknen der Bohnen sowie dem Aussortieren der faulen oder unreifen Teile.»
+ Die Schweiz, ein Riese im globalen Handel mit Kaffee
Michaël Tuil erklärt, dass Arabica-Kaffee an dieser arten- und relativ regenreichen Gegend in Äthiopien wild wächst. Deshalb müssen keine synthetischen Pestizide eingesetzt werden. Doch der Klimawandel und der grosse Wasserverbrauch in der Kaffeeproduktion bedrohten diesen Status-Quo zunehmend.
«Aufgrund des Klimawandels und der Abholzung der Wälder werden auch der Pilzbefall und daraus resultierende Krankheiten zu einem Problem für die Kaffeeproduktion in Äthiopien», erklärt er.
Nur ein Tropfen auf den heissen Stein
Direct Coffee hat zwar nur einen winzigen Anteil am weltweiten Kaffeehandel, doch das Unternehmen, das von Basel aus geführt wird, ist Teil eines Trends, der bestehende Zertifizierungs- und Labelsysteme wie Fairtrade und Organic bewusst umgeht, um ethischeren Handel zu ermöglichen.
An diesen Labels wird zunehmend kritisiert, dass sie für Kleinproduzenten zu teuer seien und den einzelnen Bauern, die einen Grossteil des Werts in der Lieferkette erwirtschaften, nicht genügend Vorteile böten. Fairtrade Max Havelaar antwortete auf diese Kritik und erklärte, dass ein Fairtrade-Kaffeebauer 1.40 $ plus 20 Cent erhalte, die an die Genossenschaft für Gemeinschaftsprojekte gehen, verglichen mit 1 $ für Landwirte, die nicht Fairtrade-zertifiziert seien.
Zusätzlich zur Zertifizierung durch Dritte sind einige grosse Unternehmen wie Nestlé und Starbucks inzwischen daran, ihre eigenen Nachhaltigkeitsstandards mit externer Verifizierung zu entwickeln.
Auch abseits des Label-Kaffees, im breiteren Handel, existieren Probleme. Vor allem sind die Bauern hilflos den festgelegten Preisen ausgeliefert, die an der New Yorker Börse verhandelt werden.
Schwankungen sind zu einem grossen Problem geworden, der Preisverfall Anfang Jahr hat viele Produzenten hart getroffen. Laut Michaël Tuil handelt Direct Coffee den Preis direkt mit den Kaffee-Gewerkschaften (bestehend aus mehreren Kooperationen) aus und hat sich letztes Jahr für Rohkaffee (vor dem Rösten) auf 3 Franken pro Pfund festgelegt, während der Preis an der Börse 1 Franken betrug.
Der Weg des Kaffees
Die Schweiz steht im Zentrum des globalen Kaffeehandels. Es ist der drittgrösste Re-ExporteurExterner Link von Kaffee nach der EU und den USA, und über mehr als 50 Prozent des weltweiten KaffeesExterner Link wird in der Schweiz verhandelt.
Es ist auch die Heimat von sechs der weltgrössten Rohstoffhändler, und die haben kaum Kontakt zu den eigentlichen Produzenten. «Viele der Kaffeeimporteure handeln mit Hunderten Tonnen Kaffee. Sie nehmen sich nicht die Zeit, die Bauern und ihre Anliegen kennenzulernen», erklärt Tuil.
Dieser globalisierte Kaffeehandel hat auch das geschaffen, was Tuil die «Black Box» nennt, also ein System, über dessen Inhalte nichts bekannt ist. Da Tausende von Zwischenhändlern beteiligt sind, ist die Rückverfolgbarkeit zur Quelle kaum möglich.
Direct Coffee versucht, einen anderen Weg zu gehen. Mittels Tracking-Technologie zeigt das Unternehmen dem Konsumenten den Weg seines Kaffees genaustens auf: Wie er von der Genossenschaft in Äthiopien über Dschibuti zu einem Hafen gelangt, und von dort aus via Schiff nach Antwerpen und schliesslich zu einer Rösterei in Genf. Direct Coffee gibt auch an, wie viel jede Person oder Organisation in der Wertschöpfungskette gezahlt wird und wie so am Ende ein Verkausfpeis entsteht.
Und weil in grossen Städten weltweit, sei es nun Zürich oder San Francisco, ein stärkeres Bewusstsein für einen ethischen Kaffeehandel entsteht, werden solche Informationen auch zunehmend verlangt.
+ Vom Kampf um die kaffeeliebenden Millennials
Die Tuils sind überzeugt, dass ihr Modell skalierbar ist. Grosse Unternehmen wie Nestlé haben bereits ähnliche Programme aufgebaut. Zum Beispiel “Farmer ConnectExterner Link”, ein Unternehmen, das mit Kleinbauern zusammenarbeitet und direkt bei ihnen einkauft.
Derzeit können sich die Gründer von Direct Coffee nicht vorstellen, ihr Start-up an einen grossen multinationalen Konzern zu verkaufen. «Wir hoffen aber, dass wir andere Unternehmen inspirieren können, indem wir zeigen, was möglich ist, und schliesslich dazu beitragen, den Kaffeehandel zu verändern», sagt Michaël Tuil.
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch