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Neuer Angriff gegen Ratingagenturen

Die Ratingagentur Moody's hat mit einem negativen Ausblick für Deutschland Panik auf den Märkten verursacht. Keystone

Die Rolle der Ratingagenturen in der Staatsschuldenkrise wird schon seit länger Zeit kritisiert. Die Universität St. Gallen wirbelt nun mit einer Studie Staub auf: Nicht alle Länder würden von den Agenturen nach gleichen Kriterien bewertet, schreiben die Autoren.

Bereits seit einiger Zeit wird Kritik an den gewichtigen Auswirkungen der Ratingagenturen auf die Euro-Krise geübt. Die Bewertungen, die sie an Länder und Finanzinstitute vergeben, haben sofortige Auswirkungen auf die Märkte, die gegenwärtig wieder einmal verrücktspielen.

Für ein Institut wie auch einen Staat hat der Verlust der Bestnote – das berühmte AAA (Triple-A), das für die finanzielle Solidität steht – einen starken Anstieg der Zinssätze zur Folge, sollte auf dem Markt Geld ausgeliehen werden müssen.

Neben der möglicherweise zu wichtigen Rolle wird auch die Parteilichkeit der privaten Ratingagenturen – alle in den USA beheimatet – heftig diskutiert. Erst diese Woche hatte die Europäische Kommission ihre Zweifel dazu geäussert: «Es ist doch interessant, dass immer dann, wenn sich die haushaltspolitische Lage in den USA verschlechtert, bestimmte Ratingagenturen Europa ins Rampenlicht rücken», sagte EU-Justizkommissarin Viviane Reding am Mittwoch.

Aus diesem Grund schlagen Europapolitiker wie etwa der französische Wirtschaftsminister Pierre Moscovici die Gründung einer privaten europäischen Rating-Agentur vor.

Insolvenzstrudel

Macht sich die Europäische Union (EU) zu Unrecht Sorgen? Sicher nicht, wenn es nach den Ergebnissen einer Studie geht, die am Mittwoch von der Universität St. Gallen publiziert worden ist.

Die Studie wurde von den Ökonomen Manfred Gärtner und Björn Griesbach durchgeführt. Sie verglichen Daten von 25 Mitgliedsländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von 2009 bis 2011.

Ein Teil der Studie konzentriert sich auf die verhängnisvollen Konsequenzen, die eine Herabstufung für einen Staat haben können. Die Zinsen steigen, während die Währung sinkt, die Ratings immer schlechter werden und das Land schliesslich insolvent wird.

Dazwischen liege eine Insolvenzschwelle. «Wird ein Land über diese Schwelle geschoben, setzt ein Sog in Richtung Insolvenz ein, aus dem es sich selbst nicht mehr befreien kann», schreiben die Autoren.

Länder, die nur noch über ein A-Rating oder weniger verfügten, seien «in höchstem Masse gefährdet». Es reichten bereits «geringste negative Zins- oder Ratingsignale, auch wenn diese unbegründet sind», um ein solches Land in einen Insolvenzstrudel zu stossen, so die Autoren.

Und sie ergänzen, dass nicht einmal Länder mit AAA-Rating völlig sicher sein könnten. Bereits eine Herabstufung um vier Stufen, von AAA auf A+ könne ein Land «in höchste Schwierigkeiten bringen».

Unverständliche Herabstufungen

Neben der Kritik am Bewertungs-System schätzen die Autoren, dass seit 2008, dem Beginn der internationalen Finanzkrise, viele europäische Länder «nach anderen Massstäben als früher oder als aussereuropäische Länder» beurteilt würden. In anderen Worten: härter.

Die beiden Autoren geben einige Beispiele für unverständliche Herabstufungen: «Spanien zum Beispiel hätte um eine halbe Klasse herabgestuft werden müssen, verlor aber 3 Klassen», schreiben sie. Laut ihnen wurde auch mit Irland, Portugal und Griechenland zu hart ins Gericht gegangen.

Zusammenfassend kommen die Autoren zu einem eindeutigen Urteil: Die Ratingagenturen seien «als zentrale Auslöser und Antreiber in der europäischen Schuldenkrise» zu betrachten.

Angespannte Märkte

Ob gerechtfertigt oder nicht – die Kritik der Ökonomen aus St. Gallen kommt zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Lage an den Märkten noch einmal verschärft hat, nachdem Agenturen neue Benotungen bekanntgegeben hatten.

So hatte Moody’s diese Woche für Deutschland einen «negativen Ausblick» angekündigt, wegen der Risiken, die Italien und Spanien für die Zukunft der Einheitswährung Euro bedeuteten. Auch die Niederlande und Luxemburg haben den gleichen Ausblick erhalten.

Gegenwärtig werden in der Eurozone noch sechs Länder mit AAA bewertet. Doch Moody’s sieht einzig noch für Finnland einen stabilen Ausblick.

Die drei wichtigsten Ratingagenturen sind Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch – alle aus den USA.

Theoretisch gesteht ihre Aufgabe darin, in voller Unabhängigkeit die Kreditwürdigkeit von Unternehmen oder Staaten zu bewerten, die Schuldpapiere aufnehmen.

Tatsächlich informieren sie Investoren über die Risiken, wenn sie einem Staat oder Unternehmen Geld ausleihen wollen. Jede Agentur hat eine eigene Benotungsskala, die von AAA (Beste Qualität) bis C-D geht (Insolvenz).

Die Benotungen basieren auf Einschätzungen ihrer Analysten, die nach messbaren Kriterien bewerten wie Management, Risiko, wirtschaftliche Stärke, institutionelle Stabilität, Geld- und Budgetpolitik (bei Staaten), Geschäftsaussichten (bei Unternehmen).

Für Unternehmen wie auch Staaten hat eine Herabstufung zur Folge, dass die Zinssätze steigen. Neues Geld aufzunehmen kostet somit mehr.

Nach dem Enron-Skandal oder der Subprime-Krise waren die Ratingagenturen angeschuldigt worden, zu spät reagiert und ihre Benotungen zu lange aufrechterhalten zu haben.

Weil sie von Unternehmen bezahlt werden, die benotet werden wollen, kann es vorkommen, dass eine Agentur eine bessere Note vergibt als verdient, um diesen Kunden den anderen zwei Konkurrenten wegzuschnappen.

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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