Weltweite Finanzkrise wirft noch immer Schatten
Die Finanzkrise ist noch nicht unter Kontrolle, und die Bemühungen zur deren Lösung liessen "noch zu wünschen übrig", sagt Michel Dérobert, Geschäftsführer der Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers, im Gespräch mit swissinfo.ch.
Während die Hauptfinanzakteure schnell reagiert hätten, als es um Steuerfragen ging, habe es wenig Fortschritte gegeben zu weiteren Fragen, die im Moment wichtiger seien, sagte Dérobert.
Er erwähnt dabei das Problem «to big to fail» und Fragen im Zusammenhang mit der relativen Wettbewerbsfähigkeit der internationalen Finanzzentren.
Auf das «To big to fail»-Problem habe die Schweiz rasch reagiert. Die Regierung habe eine Expertengruppe eingesetzt, welche die Aufgabe hatte, einen Bericht auszuarbeiten.
Die Ergebnisse der Untersuchung lassen jedoch auf sich warten, und die versprochenen Vorschläge für striktere Bankenregulierungen werden nun auf Ende Monat erwartet.
swissinfo.ch: Ihrer Meinung nach lässt die internationale Zusammenarbeit in Bezug auf die Finanzkrise und die Banken noch zu wünschen übrig. Wie sieht die Lage im Moment aus?
Michel Dérobert: Es gab 2009 umfangreiche Ankündigungen zu allem, was getan werden sollte. Wir befinden uns aber noch immer auf der Stufe der Absichtserklärungen.
Was «t obig to fail» betrifft, reagierte die Schweiz sehr schnell. Andere scheinen da zurückhaltender zu sein…Ich würde zwar nicht gerade sagen, die Ankündigungen seien vergessen gegangen, aber die Realität scheint doch etwas komplizierter zu sein, als es die grossen Führer dieser Welt erwartet hätten.
swissinfo.ch: In der Schweiz heisst es von verschiedenen Seiten, es brauche zum «To big to fail»-Problem bei Grossbanken wie der UBS oder Credit Suisse radikale Reformen. Was halten Sie von dieser Sache?
M.D.: Das ist ein riesiges Dilemma. Einerseits ist es inakzeptabel, dass kommerzielle Unternehmen ihre Geschäfte tätigen können mit der Garantie, dass sie nicht Konkurs gehen können. Die Möglichkeit, Bankrott zu gehen, liegt in der Natur des Kapitalismus.
Auf der anderen Seite, und angesichts der Bedeutung dieser zwei Banken, könnten diese Geldinstitute benachteiligt werden, wenn man mit dem Gedanken von Regulierungen spielt und dabei zu wenig über die Wettbewerbsfähigkeit der zwei Grossbanken nachdenkt. Das Land und die Realwirtschaft könnten davon Schaden nehmen…die ganze Sache ist heikel.
swissinfo.ch: Sollte der Staat einen möglichen Zusammenbruch der UBS oder Credit Suisse zulassen?
M.D.: Ja, aber nicht in der jetzigen Situation, denn im Moment sind sie zu mächtig, um Konkurs zu gehen – «to big to fail». Es muss Lösungen geben. Es müssen Ideen her, um einen Kollaps zu verhindern, um ihn sozusagen zu verunmöglichen. Denn aus philosophischer oder moralischer Sicht ist es nicht akzeptabel, dass kommerzielle Unternehmen vom Staat gerettet werden müssen.
Die Experten, die sich zur Zeit mit diesem Problem befassen, müssen diese Quadratur des Kreises lösen, was schwierig ist, aber getan werden muss.
swissinfo.ch: Die Schweiz wurde von den G20-Staaten mehr oder weniger dazu verknurrt, die OECD-Standards über Amtshilfeleistungen in Steuerfragen zu übernehmen. Im März hob sie den Unterschied zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug auf. Bedeutet das in Ihren Augen das Ende des schweizerischen Bankgeheimnisses?
M.D.: Nicht nur die Schweiz, auch Belgien, Österreich, Singapur und zahlreiche Bezirke, die zur britischen Krone gehören, kamen unter Druck. Es war ein wichtiger Beschluss der G20.
Die Schweiz akzeptierte diesen Entscheid. In der Schweiz sind wir gegen solche staatliche Einmischung bei Steuerangelegenheiten der Leute. Was wir jetzt brauchen, ist eine Art Zweiteilung: Einerseits den Schutz der Schweizer Bürger durch das Bankgeheimnis in Steuerfragen, andererseits die eine bessere Zusammenarbeit der Schweiz mit anderen Ländern.
Ich denke aber nicht, dass das jetzt das Ende des Bankgeheimnisses bedeutet, denn die grundlegende Diskretion bleibt unangetastet. Es ist aber ein teilweises Ende. Andere Teile sind schon vor langer Zeit aufgehoben worden, so etwa im Fall von Insiderhandel.
swissinfo.ch: Inwiefern sind die Privatbanken davon betroffen?
M.D.: Das war ein grosses Thema, es kam aber okay heraus. Fakt ist, dass wir nie wissen, weshalb unsere Kunden zu uns kommen: ist es wegen der schweizerischen Gesetzgebung, wegen unseres hervorragenden Auftritts, weil sie uns mögen oder weil sie denken, unser Land sei ein sicherer Hafen in einer gefährlichen Welt.
Bis jetzt kam es zu keiner Katastrophe, im Gegenteil: Die Schweizer Privatbanken haben neues Geld bekommen. Mag sein, dass die Krise in den umliegenden Ländern eine gewisse Rolle spielten.
swissinfo.ch: Animiert das Bankgeheimnis zu Unredlichkeit in Sachen Steuern?
M.D.: Das glaube ich nicht. Ein Weg, Steuerbetrug abzuschätzen, ist ein Blick auf die Schattenwirtschaft. Dies zu untersuchen, ist immer schwierig, weil es per Definition nicht sehr gut dokumentiert ist.
An der Universität Linz in Österreich gibt es einen Professor, der hat sich auf dem Gebiet dieser äusserst wichtigen Wirtschaftsaktivitäten spezialisiert. Studie um Studie, Jahr für Jahr, findet er heraus, dass die zwei Länder in Europa mit der höchsten Steuerehrlichkeit oder der kleinsten Schattenwirtschaft die Schweiz und Österreich sind – zwei Länder mit einem Bankgeheimnis in Steuerfragen.
Grund dafür, dass die Leute ihre Steuern begleichen oder weniger Schattenwirtschaft betreiben, ist, dass sie dem eigenen Finanzamt vertrauen und merken, dass die Dienstleistungen, die sie im Gegenzug erhalte, den Preis wert sind, den sie bezahlen.
Das Bankgeheimnis ist absolut kein Problem für Steuerehrlichkeit, solange mit angemessenen Massnahmen garantiert ist, dass die Leute nicht schummeln.
swissinfo.ch: Deutschland, Frankreich, Italien und die USA nutzten gestohlene Bankdaten, um, wie Sie sagten, ihre Bürger, die Bankkonten in der Schweiz hatten, zu verunsichern. Ist es legitim, mit illegalen Methoden gegen Steuerhinterziehung anzugehen?
M.D.: Nein. Damit bin ich ganz und gar nicht einverstanden. In einem Rechtsstaat muss der Staat als erster die Gesetze respektieren. Wenn der Staat beschliesst, das Gesetz durchzusetzen, indem er das Gesetz missachtet, befindet er sich in einem schwerwiegenden Widerspruch. Und ich würde jenen Politikern nie vertrauen, die sagen, das sei nicht wahr.
To big to fail
Die Expertenvorschläge, wie die Schweiz mit systemrelevanten Grossbanken umgehen soll, verzögern sich um einen Monat.
Der Bundesrat hat den Experten zugestanden, den Bericht zum «Too big to fail»-Problem erst Ende September vorzulegen.
Der Bundesrat hatte die von ihm eingesetzte Expertengruppe unter Leitung des früheren eidgenössischen Finanzverwalters Peter Siegentaler letzten April gebeten, den ursprünglich für Ende 2010 angekündigten Schlussbericht auf Ende August vorzuziehen.
Die Regierung möchte, dass die Experten möglichst rasch sagen, wie die Schweiz mit Grossbanken umgehen soll, die im Konkursfall die ganze Volkswirtschaft gefährden könnten.
Am Dienstag hat der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, dem 27 Länder angehören, ein Dokument mit konkreten Minimalstandards verabschiedet.
Demnach sollen die Banken künftig Eigenkapital von mindestens 6 statt 4% Aktiven halten.
Gefordert werden zudem noch ein Krisenpuffer von 3%.
Mit diesen Massnahmen soll die Branche weltweit widerstandsfähiger gegen Krisen werden.
Die Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers wurde 1934 gegründet. Sie zählt 13 Mitglieder mit rund 6000 Mitarbeitenden weltweit.
Sie vertritt die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber Behörden in der Schweiz und im Ausland.
Die VSBP ist spezialisiert auf Vermögensverwaltung.
Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch