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Umstrittene Geothermie versucht Comeback

Die Altstadt von Avenches könnte von einer hochmodernen Energieversorgung profitieren. avenches.ch

Die Schweizer Regierung setzt auf geothermische Energie als Bestandteil ihrer Energiestrategie 2050. Doch deren Befürworter müssen noch beweisen, dass die Technologie realisierbar ist und die Bevölkerung von deren Potenzial als sichere Energiequelle zu überzeugen ist.

Avenches im Kanton Waadt war zu römischen Zeiten die Hauptstadt Helvetiens. In der Industriezone dieses Städtchens könnte die umstrittene geothermische Technologie ihr Comeback feiern.

Die Firma Geo-Energie Suisse hat Avenches als einen von drei möglichen Standorten ausgewählt, um ein so genanntes Enhanced Geothermal System (EGS) zu entwickeln, das die Ortschaft mit Wärme und Elektrizität versorgen soll. Doch ob das Projekt je abheben wird, ist eine andere Frage.

Das Ziel ist, tief – 4000 Meter oder mehr – in die Erdkruste zu bohren, wo Temperaturen um 200 Grad und mehr herrschen. Druckwasser wird in den Fels gepumpt und bricht diesen auf. Wenn es wieder aufsteigt, ist es heiss genug, um daraus Elektrizität zu generieren.

Ein früheres EGS-Projekt in Basel, das erste in der Schweiz, war 2006 abgebrochen und 2009 definitiv beerdigt worden, nachdem das Druckwasser im Fels eine Serie von Erdbeben ausgelöst hatte. Diese hatten Schäden in der Höhe von bis zu 9 Millionen Franken verursacht.

Die Technologie ist nach diesen Vorkommnissen aber nicht tot. Die Schweizer Regierung (Bundesrat) will bis 2050 rund 7 Prozent des Elektrizitätsbedarfs des Landes mit Geothermie abdecken. Auch Energie-Experten sind bereit, dieser Technologie noch eine zweite Chance zu geben. Von ihrer Tauglichkeit sind sie überzeugt.

«Basel wurde wegen eines Erdbebens abgebrochen», sagt Olivier Zingg von Geo-Energie Suisse. «Indem wir aber die Daten aus diesem Projekt benutzten, konnten wir ein neues Konzept erarbeiten, das uns hilft, mit seismischen Risiken umzugehen.»

In der Tat sind kleine Erdbeben der Normalfall bei der EGS-Technologie. Jedes Mal, wenn der Fels aufgebrochen wird, setzt dies seismische Energie frei – ein zentrales Element der Methode. «Der Trick ist, seismische Aktivität zu stimulieren, ohne dass es auf der Oberfläche zu Schäden kommt», sagt Zingg.

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Bevölkerung überzeugen

Auf den ersten Blick scheint Avenches mit seinen römischen Ruinen und dem mittelalterlichen Stadtkern nicht die beste Option für ein solch unsicheres Projekt. Doch das Waadtländer Städtchen erfüllt eine ganze Serie von Kriterien wie Geologie, Raumplanungs-Regeln und einfachere kantonale Zulassungsverfahren.

Weitere Faktoren, die für den Standort sprachen, sind die Landreserven und die Möglichkeit, überschüssige Wärme ins lokale Fernwärmesystem abzuleiten.

Für den Stadtpräsidenten Daniel Troillet macht das Projekt angesichts des schweizerischen Ausstiegs aus der Atomenergie Sinn. «Das Atomkraftwerk Mühleberg, nicht weit von hier, ist alt und gefährlich. Wir können eine Technologie, die uns nach dessen Abschalten die Lücke füllen könnte, nicht ignorieren.»

Troillet ist überzeugt, dass die Technologie in der Zwischenzeit genügend weiterentwickelt wurde, um sie erneut auszuprobieren. Ihre Förderer haben auch Unterstützung in der Bevölkerung gesucht, indem sie ihr das Projekt Anfang Jahr vorgestellt haben.

«Uns ist klar, dass wir nicht jeden und jede überzeugen können, doch wir brauchen eine Mehrheit hinter uns», sagt Zingg. «Wir müssen allen klarmachen, dass wir die Bedenken der Bevölkerung ernstnehmen und versuchen, die Risiken zu minimieren.»

Bis jetzt hat laut Stadtpräsident Troillet noch niemand offiziell Beschwerde gegen das Projekt eingereicht. Doch es befindet sich auch erst auf den ersten Stufen des Genehmigungsverfahrens. Geo-Energie Suisse hat versprochen, jeden Schritt minutiös zu überwachen, sollte das Projekt grünes Licht erhalten.

«Kein Risiko gibt es nicht, deshalb haben wir bereits verschiedene Gebäude inspiziert und Detektoren installiert. Sollte es zu Schäden kommen, können wir feststellen, ob sie durch unser Projekt hervorgerufen wurden», erklärt Zingg.

Bisher gibt es in der Schweiz wenig Opposition gegenüber der Geothermie. Uneinigkeit herrscht einzig darüber, welche erneuerbaren Energien Bundesgelder und Unterstützung erhalten sollen.

Die Nutzung von Erdwärme ist in der Schweiz oder anderswo nicht neu. Thermalbäder sind in einigen Landesteilen eine alte Tradition, während heisses Wasser aus Tunnels für exotischere Anwendungen wie die Zucht von tropischen Früchten oder die Herstellung von Kaviar neuere Erscheinungen sind.

Die Geothermie wurde bisher aber nur für Wärme genutzt, indem heisse Wasserquellen im Untergrund angezapft wurden. Neun Anlagen dieser Art sind in der Schweiz in Betrieb.

Geo-Energie Suisse hat drei Standorte für ein EGS-Projekt im Auge: Avenches, Haute-Sorne im Kanton Jura und Etzwilen im Kanton Thurgau. Erste Bohrversuche werden frühestens 2016 aufgenommen.

Mit der Wärme aus dem Gestein, das in der gesamten Schweiz zwischen 3 und 7 Kilometer Tiefe vorliegt, lassen sich laut der Geothermie-Lobbygruppe gut 80’000 Terawattstunden (TWh) Strom erzeugen.

Der jährliche Stromverbrauch der Schweiz liegt bei 60 TWh, während die Energiestrategie 2020 des Bundes 4,4 TWh aus geothermischen Quellen vorsieht.

Unreif

Auf Papier scheint EGS die am besten angepasste Technologie für die Schweiz, weil sie praktisch überall eingesetzt werden kann. Andere Projekte haben im Untergrund nach heissem Wasser gesucht, eine andere und einfachere Methode als EGS. Das letzte Mal in der Nähe von St. Gallen. Doch da der Schweizer Untergrund kaum erforscht ist, bleibt der Erfolg oder Misserfolg solcher Projekte eher zufällig.

«Wir wissen sehr wenig darüber, was man finden kann», sagt Gunter Siddiqi vom Bundesamt für Energie (BFE). «Es gibt sehr wenige Bohrlöcher, die bis auf 3000 Meter hinuntergehen. Und nur etwa 10 von 40’000 Quadratkilometern sind eine sehr tiefe Zahl.»

Laut Zingg wird EGS diese Hürde überwinden, und wenn die Technologie reif sei, könnten Anlagen dort gebaut werden, wo am meisten Energie nötig sei, im Mittelland zwischen Genf und St. Gallen.

Die Geothermie gehört gemäss Plänen der Behörden zu einer Anzahl von erneuerbaren Energien, die einen substanziellen Anteil am Schweiz Energiemix des Jahres 2050 ausmachen könnten. Siddiqi erklärt, EGS könnte dabei eine bedeutende Rolle spielen.

Im Gegensatz zu Sonnen- und Windenergie aber bleibt das wahre Potenzial dieser Technologie ein grosses Fragezeichen, denn noch gibt es keine einzige funktionierende Anlage im Land.

EGS-Systeme wurden oder werden gegenwärtig in sechs anderen Ländern ausprobiert – in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Japan, den USA und Australien. Doch die Tests wurden durch technische Schwierigkeiten behindert. Eine kommerzielle Nutzung ist lediglich an zwei Standorten in den Niederlanden und in Deutschland etabliert.

Ein in der Natur vorkommendes geothermales System, auch hydrothermales System genannt, besteht aus drei wichtigen Elementen: Hitze, Flüssigkeit und Durchlässigkeit in der Tiefe.

Ein Enhanced Geothermal System (EGS) ist ein vom Menschen geschaffenes Reservoir in der Tiefe, wo heisser Fels vorkommt, aber ungenügend oder wenig Durchlässigkeit herrscht.

Deshalb wird die Flüssigkeit streng kontrolliert in den Untergrund gepresst, was zur Öffnung von existierenden Rissen führt und das Gestein durchlässig macht.

Die erhöhte Durchlässigkeit ermöglicht der Flüssigkeit, durch den Fels zu zirkulieren und Hitze an die Oberfläche zu transportieren, woraus Elektrizität gewonnen werden kann.

(Quelle: US Department of Energy)

Kostenfrage

Die Kosten sind ein zusätzlicher Faktor, der laut Siddiqi die weitere Entwicklung behindern könnte, besonders, weil noch nicht bekannt ist, ob solche Anlagen überhaupt rentabel betrieben werden können. «Wir müssen viel Forschungsarbeit investieren, um beispielsweise die Bohrkosten zu verringern oder die Umwandlung von Hitze in elektrische Energie zu verbessern», sagt er.

Die Promotoren der Geothermie-Projekte sind bis jetzt auf sich allein gestellt. Trotz Unterstützung der lokalen Behörden in Avenches erhält Geo-Energie Suisse keine öffentlichen Gelder. «Gemeinde und Kanton tragen finanziell nichts dazu bei», sagt Zingg. Bevor finanzielle Unterstützung erwartet werden könne, müssten die Shareholder nachweisen, dass die Technologie tauglich sei.

Doch das finanzielle Risiko könnte sich etwas vermindern, sollte die neue Energiestrategie des Bundesrats angenommen werden. Gemäss dieser würden die Behörden bis zu 60 Prozent der Bohrkosten übernehmen, sollte ein Projekt nicht die erwarteten Erfolge zeitigen.

Die erwarteten Kosten für eine Anlage liegen derzeit bei 20’000 Franken pro Kilowatt (kW), doch Energie-Experten erwarten, dass sie auf bis 8000 Franken pro kW sinken könnten. Doch auch so würden Energiekonzerne Milliarden investieren müssen, um die von der Regierung gesetzten Ziele zu erreichen.

Laut Siddiqi könnten Geothermie-Projekte hingegen davon profitieren, höhere Verbraucherpreise zu verlangen, da sich die Technologie immer noch in Entwicklung befindet – ähnlich, wie dies für die Förderung der Solarenergie gehandhabt wurde.

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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