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Ausgleich wozu?

Grosse Ungleichheiten zwischen föderalistischen Gliedstaaten sind Realität. Der Finanzausgleich soll Abhilfe schaffen - doch wozu? Mehr Wettbewerb oder mehr Gleichheit?

Diskutiert wurden die Beispiele Schweiz, Kanada und Australien. Prominenter Teilnehmer: Finanzminister Kaspar Villiger.

Finanzföderalismus ein trockenes Thema? Keineswegs. Zur Diskussion standen an der Konferenz in St. Gallen Beispiele aus drei Ländern mit grossen Ungleichheiten zwischen ihren Gliedstaaten.

Wilhelm Schnyder, Walliser Regierungsrat und Vorsitzender der Arbeitsgruppe über Probleme des Finanzausgleichs, eröffnete die Runde mit einem – wie sich herausstellen sollte – treffenden Einstein-Zitat: “Ein Abend unter Freunden ohne Widersprüche ist ein verlorener Abend.”

Und in der Tat, die fast vierstündige Sitzung verlief spannend und kontrovers, obwohl es um eher technische Fragen ging. “Was sind die Gründe für den Ausgleich?”, “Wer soll anhand welcher Kriterien wie viel bekommen?”, “Soll man die Kosten oder die Einnahmen ausgleichen?”, “Wie weit soll der Ausgleich stattfinden?”

Grossbaustelle NFA

Finanzminister Villiger präsentierte den Teilnehmern die föderalistische Grossbaustelle der Schweiz: den Neuen Finanzausgleich (NFA). Dieser will mit einer Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen sowie einem effizienteren Finanzausgleich den schweizerischen Föderalismus modernisieren.

Weil der Föderalismus auch auf Wettbewerb basiere und weil Gliedstaaten auch unterschiedliche Lasten zu tragen hätten, führe er naturgemäss zu Ungleichheiten, sagte Villiger. “Diese müssen in einem gewissen Ausmass hingenommen werden, um die Anreize zu besserer Leistung nicht zu schwächen.”

Die Unterschiede dürften aber nicht zu gross werden. Das wichtigste Instrument dazu sei ein effizienter Finanzausgleich, der die Selbstheilungskräfte nicht zu stark schwächen dürfe.

Wettbewerb fördern

Einer der wichtigsten Standortvorteile der Schweiz sei die tiefe Steuerquote. Der NFA soll Anreize schaffen, dass die Kantone ihre Mittel effizient einsetzen und ihre Aufgaben erfüllen können, ohne mit einer hohen Steuerquote ihre Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden.

Villiger setzt auf die finanzielle Autonomie der Kantone und den Wettbewerb. Damit sollen Fehlanreize verhindert werden, die dazu führen, dass die Empfänger in eine Armutsfalle laufen und ineffizient bleiben, um weiter Subventionen zu erhalten.

Widerspruch aus Kanada

In Kanada gebe es keine Befürchtungen, dass durch Ausgleichszahlungen eine Armutsfalle entstehe, entgegnete der kanadische Minister Stephane Dion. Niemand bleibe ineffizient, um Subventionen zu bekommen. Dies sei ein schwaches Argument.

Es gebe keine empirischen Beweise, dass der Finanzausgleich zu Ineffizienz führe. In Kanada, das nicht wie die Schweiz auf Wettbewerb, sondern auf eine Harmonisierung der Einkünfte setzt, hätten sich die Ungleichheiten zwischen den Provinzen in den letzten 20 Jahren verringert.

Auch François Vaillancourt, Professor in Montréal, kritisierte die Argumente der Schweizer. Kanada habe steuerlich die gleiche Autonomie wie die Schweiz. “Gliedstaaten können sich gar nicht falsch verhalten. Wenn die Regierungen Geld zum Fenster hinauswerfen, werden sie abgewählt.”

Abwanderung verhindern

Der Finanzausgleich habe in Kanada die Funktion, allen Bürgerinnen und Bürgern ein vergleichbares Angebot an staatlichen Dienstleistungen zu garantieren sowie die steuerlich motivierte Abwanderung aus den Provinzen zu verhindern. Ein völliger Ausgleich wäre jedoch absurd, zu gross seien die Ungleichheiten zwischen den Provinzen.

Preis der Gleichbehandlung

Auch Australien kennt grosse Unterschiede zwischen seinen Gliedstaaten.
Gleichbehandlung und Gerechtigkeit seien für die Australier sehr wichtig, sagte der Kabinett-Kanzler von New South Wales, Roger Wilkins. Alle Bewohner sollen gleichen Zugang zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen haben. In Australien findet der Ausgleich über ein definiertes Leistungsangebot statt, das von den Gliedstaaten angeboten werden muss.

Die grossen Transferzahlungen würden von den Australiern hingenommen, dies sei aber auch das Resultat der mangelnden Transparenz des Verteilschlüssels. “Vielleicht wird mit diesem System die Ineffizienz belohnt, dies ist aber der Preis, der für den Ausgleich bezahlt werden muss”, sagte Wilkins.

“Der Finanzausgleich ist keine Formel, die man anwenden kann, sondern eine Antwort auf die Grundwerte der Gesellschaft”, unterstrich Robert K. Rae, ehemaliger Premierminister der Provinz Ontario und Vorsitzender des “Forum of Federations” die Bedeutung der Ausgleichszahlungen.

Diese Grundwerte gibt es aber auch in der Schweiz, wie Bundespräsident Villiger betonte. Die Idee der Solidarität sei wichtig. “Die Leute wollen, dass man den Ärmeren hilft.”

Hansjörg Bolliger, St. Gallen

Die Schweiz ist eines der steuerlich am stärksten dezentralisierten Länder
Der Bund kommt nur für 40% aller Staatsausgaben auf
65% der Mittel für den Finanzausgleich sind zweckgebunden
Nur 14% der Zahlungen sind abhängig von der Finanzstärke der Kantone

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