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Feinstaub-Massnahmen umstritten

Für die kommenden acht Tage gilt auf etlichen Autobahnen in der Schweiz Tempo 80. Keystone

In zwölf Kantonen der Schweiz darf wegen hoher Feinstaubbelastung seit diesem Samstag auf Autobahnen nur noch Tempo 80 gefahren werden.

Die andern Kantone beschränkten sich auf Ratschläge wie mässiges Heizen und vernünftiges Fahren.

Das Tempolimit gilt für die Kantone Basel-Stadt, Basel-Land, Zürich, Aargau, Solothurn, Bern, Luzern, Schwyz, Zug, Ob- und Nidwalden sowie Uri.

Damit reagierten etliche Kantone auf die hohe Feinstaubbelastung der Atemluft ausgelöst durch Luftverschmutzung und eine anhaltend trockene Witterung.

In der Schweiz sind die Kantone für die Umsetzung der vom Bund erlaubten Massnahmen zuständig. Die Kantone sind jedoch frei in ihrer Entscheidung.

Wie eine Umfrage bei mehreren Kantonen zeigte, halten sich die Automobilisten in der Mehrzahl an das Tempolimit.

Allerdings, gemäss einer Umfrage der SonntagsZeitung, hält die Mehrheit der Bevölkerung (57%) die Massnahme nicht für sinnvoll.

Unterschiedliche Beurteilung

Die Wirkung von Tempo 80 auf Autobahnen gegen die übermässige Feinstaub-Belastung wird nicht von allen kantonalen Umweltdirektoren gleich beurteilt. Einig sind sich die Verantwortlichen aber, dass etwas geschehen muss.

Tempo 80 für ein paar Tage nütze wenig, meint der St. Galler Regierungsrat und Präsident der kantonalen Umweltdirektoren, Willy Haag. Der Autobahnverkehr sei nur einer von vielen Feinstaub-Verursachern. Man müsste ebenso konsequent gegen andere Quellen vorgehen, sagte er in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger.

Temporeduktionen könnten höchstens als symbolische Massnahme gerechtfertig werden, sagte Haag. Er halte nichts von Schnellschüssen. Auch deshalb habe St. Gallen keine Massnahmen verfügt, sagte Haag in der “Samstagsrundschau” von Radio DRS. Zudem sei der Kanton weniger betroffen gewesen als andere.

Nicht warten bis alles umsetzbar ist

Der Zuger Sicherheitsdirektor Hanspeter Uster, der mit seinem Entscheid die Sache ins Rollen gebracht hatte, sagte gegenüber der Neuen Luzerner Zeitung, dass sich das Problem mit der Temporeduktion allein nicht lösen lasse. Doch viele verschiedene Massnahmen würden eine spürbare Entlastung bringen.

Man könne nicht warten mit der Umsetzung, bis alles umsetzbar sei, so Uster weiter. Wenn die Feinstaubwerte unter den Grenzwert fallen, will er Tempo 80 auf Autobahnen wieder aufheben, falls die Situation anhalte, will Uster in Kontakt mit dem Bund treten, um Voraussetzungen für eine Verlängerung in Erfahrung zu bringen.

Messen, aber nicht handeln

Für eine schnelle Umsetzung von Massnahmen plädiert der Präsident der Lungenliga, Otto Piller, der frühere SP-Ständerat und Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung. In der Schweiz werde nur gemessen und mitgeteilt, welche Grenzwerte überschritten seien, doch gehandelt werde kaum, sagte er gegenüber der Berner Zeitung.

Die Lungenärzte warnten seit längerem davor, dass immer mehr Menschen an Asthma litten. Dennoch würden immer noch rund 16’000 Dieselfahrzeuge der Armee ohne Filter fahren. Der Bund müsse mit dem guten Beispiel vorangehen und diese Fahrzeuge umrüsten.

Grenzwert massiv überschritten

Der Schweizer Automobilklub TCS kritisierte die Beschränkung: Tempo 80 führe zu mehr Staus und damit auch zu mehr Umweltverschmutzung, sagte Präsident Edgar Schorderet im Fernsehen. Sinnvoller seien nachhaltige Massnahmen wie etwa Partikelfilter.

Vielerorts lagen die Feinstaubwerte auch am Samstag über dem Grenzwert. An einigen Stationen wurde allerdings ein leichter Rückgang der Belastung festgestellt. Hohe Werte meldeten erneut Bern, Lausanne und Zürich.

Eine Verordnung aus dem Jahr 1998 schreibt für Feinstaub (PM10) einen Immissions-Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter im Tagesmittel vor. Der Wert darf höchstens einmal pro Jahr überschritten werden.

Auch in den kommenden Tagen ist keine Entspannung zu erwarten.

swissinfo und Agenturen

Feinstaub bildet sich aus primären Partikeln (aus natürlichen Quellen, aus Verbrennungs-Prozessen, aus der Erosion von Strassenbelag und dem Abrieb von Pneus) und sekundären Partikeln, die sich erst in der Luft aus Vorläufergasen entwickeln.

Problematisch sind insbesondere Abgase von Dieselmotoren. Weitere Emissionen kommen aus der Landwirtschaft und von Baustellen.

Wegen der winzigen Ausmasse der Partikel kann sich der Feinstaub in den Atemwegen festsetzen und der Gesundheit schaden.

Feinstaub wird vor allem im Winter zum Problem, wenn sich die Schadstoffe unter der zähen Hochnebeldecke ansammeln und den Luftaustausch beeinträchtigen.

In der Schweiz gilt ein Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft im Tagesmittel.
Der Wert darf höchstens einmal pro Jahr überschritten werden.
Der Bund schlägt Massnahmen vor, die Kantone sind frei in deren Umsetzung.
Die Europäische Union hat dieselben Richtlinien übernommen.
In den USA gilt ein Grenzwert von 150 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter.

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