Mexiko-Stadt hat Schweizer Weihnachtsmann
Der Schweizer Ernesto S. Maurer sorgt dafür, dass viele mexikanische Familien zu einem echten Weihnachtsbaum kommen, ohne dass der Wald stirbt.
Eine Weihnachtsgeschichte, die mit Heimweh begann.
Die Vorstellung ist beunruhigend: In der Vorweihnachtszeit decken sich die 22 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner von Mexiko-Stadt mit natürlichen Christbäumen ein. Vor dem inneren Auge tauchen abgeholzte Wälder und ökologische Katastrophen auf.
Der Schweizer Ernesto S. Maurer trägt dazu bei, dass sich viele Bewohner der mexikanischen Hauptstadt den Wunsch nach einer wohlriechenden Tanne ohne schlechtes Gewissen erfüllen können.
Der heute 78 Jahre alte Maurer hatte Heimweh nach den Schweizer Bergen und dem Schnee, als er Anfang der 1960er-Jahre nach Mexiko kam. Der Unternehmer machte sich auf die Suche und fand am Fuss der Vulkane Popocatepetl und Ixtaccihuatl einen Ort in der Nähe von Amecameca im Gliedstaat Puebla, der seinem Traum am nächsten kam.
Dort liess Maurer ein Haus im Chalet-Stil mit Terrasse bauen: «Ich schaute auf die imposanten Vulkane mit den schneebedeckten Krater, und nach einer Viertelstunde fragte ich meine Frau: Was nun, wie weiter?»
Experimente mit Beeren und Bäumen
Bald langweilte sich Ernesto S. Maurer vor der imposanten Kulisse der Vulkane. Er musste sich also etwas einfallen lassen, und er begann auf den umliegenden Länderein mit dem Anbau von Agrarprodukten zu experimentieren.
Der initiative Schweizer versuchte, im grossen Stil Himbeeren zu produzieren. Mit mässigem Erfolg. Ein weiteres Abenteuer mit dem Kastanienanbau zeigte sich aufgrund der klimatischen Verhältnisse als ebenso aussichtslos.
Das nächste Experiment schlug ein. Ernesto S. Maurer schaute von der herrlichen Terrasse seines Chalets auf die abgeholzte Hochebene, wo noch da und dort ein Tännchen stand. Maurers Zukunft hatte begonnen. «Wir fingen an, Vikinger-Tannen zu pflanzen, und sie gediehen. Am Anfang war die kleine Plantage für mich jedoch ein Hobby.»
Hobby zum Beruf gemacht
Der Schweizer Empresario gründete im Verlauf der Jahrzehnte in Mexiko 16 Firmen, unter anderem eine Schule, bis ihm die Vikinger-Tannen am Fusse der beiden bekanntesten mexikanischen Vulkane über den Kopf wuchsen.
Während die Nadelbäume in Finnland pro Jahr und im Durchschnitt 25 Zentimeter wachsen, schiesst die Pinienart in Mexiko pro Jahr bis zu einem Meter in die Höhe
«Die Herausforderung war ernorm. Ich musste meinen mexikanischen Freunden klar machen, dass der Wald ein Ort ist, wo man pflanzt und erntet».
Seit Jahrzehnten verstossen mexikanische Bauern, Grossgrundbesitzer und die Bauindustrie gegen dieses Prinzip. Mexiko beherbergt rund 40 Prozent der gesamten Artenvielfalt des Planeten. Gleichzeitig verliert das Land 600’000 Hektaren Wald pro Jahr.
Instinktiv erkannte Ernesto S. Maurer das wirtschaftliche Potential seiner Vikinger-Tannen, nur eineinhalb Stunden vom grössten Tannenmarkt der Welt entfernt: Mexiko-Stadt.
Der findige Schweizer begann im Einzugsgebiet seines Chalets massiv Land zu kaufen und forstete im Verlauf von zwei Jahrzehnten rund 280 Hektaren mit einer halben Millionen Vikinger-Tannen auf.
Ein Fuchsschwanz, ein Weihnachtsbaum
Die Saat von Ernesto S. Maurer ist aufgegangen. Heute fahren in der Vorweihnachtszeit bis zu 10’000 Familien pro Tag auf seine Plantage. Die Besucher erhalten am Eingang des Parks einen Fuchsschwanz und bewegen sich dann frei auf dem weitläufigen Gelände, bis sie ihre Traumtanne gefunden haben.
Eigenhändig schneiden sie Bäume ab und zurren den begehrten Weihnachtsschmuck auf dem Autodach fest. «Ich glaube, es gibt weltweit kein vergleichbares Projekt, wo die Leute ihren Weihnachtsbaum selber schneiden und vor Ort erleben, dass sie dabei keinen Wald zerstören», erklärt Ernesto S. Maurer gegenüber swissinfo.
Der Wurzelstrunk der abgesägten Weihnachtsbäume bleibt zurück in der Erde und in acht bis zehn Jahren wächst eine neue Vikinger-Tanne nach.
Noch immer viel illegales Roden
«Wenn die mexikanischen Bauern und Landbesitzer merken, dass der Wald sie reich machen kann, werden sie ihn auch nicht mehr abholzen», ist Ernesto S. Maurer überzeugt.
Viel bleibt noch zu tun. Nach wie vor lassen die Behörden in Mexiko zu, dass landwirtschaftliches Kulturland wahllos oder illegal umgezont wird.
Wälder werden abgebrannt, um Mais zu pflanzen oder um Weidland zu gewinnen. «Die Mexikaner lernen, dass man den Wald schützen und nutzen kann», meint Ernesto S. Maurer.
Für seine Arbeit hat er vom mexikanischen Staat mehrere Auszeichnungen bekommen.
Vom Tannenpark zum Ökö-Disneyland
Was 1972 als Kleinprojekt am Fuss der Vulkane Popocatepetl und Ixtaccihuatl angefangen hatte, hat sich zu einem ökologischen und diversifizierten Vergnügungspark entwickelt:
«Die Mexikaner sind sehr gesellig. Wenn die Leute ihre Vikinger-Tanne einmal auf dem Autodach festgemacht haben, fängt der Spass erst an», erklärt der geschäftstüchtige Ernesto S. Maurer.
Heute findet der Besucher im weitläufigen Park einen Weihnachtsmarkt, wo die Leute der nahe gelegenen Dörfer lokale Spezialitäten servieren und Kunsthandwerk, lokalen Schnaps, Nüsse, Süssigkeiten und Textilien verkaufen.
«Es ist sehr wichtig, dass auch die lokale Bevölkerung an meinem Erfolg teilhaben kann», meint Maurer, «denn Erfolg schafft Neid, bissigen Neid sogar».
swissinfo, Erwin Dettling, Mexiko
Der nachhaltige Tannenpark von Ernesto Maurer wird jedes Jahr von rund 100’000 Schülern und Studenten als ökologischer Lernpfad benützt. «Wir organisieren für die jungen Besucher Vorträge über nachhaltige Waldwirtschaft».
Ein Tierpark (Streichelzoo) mit Schweinen, Lamas, Kaninchen, Rothirschen, Straussen, ein Vulkanmuseum, ein künstlicher See und zwei Restaurants mit Spezialitäten der Region runden das Angebot in Maurers «Öko-Disneyland» ab.
Schliesslich erhält jeder Besucher am Schluss des Parcours gratis zwei Pflänzlinge von Vikinger-Tannen, die er zu Hause eingetopft heranwachsen sehen kann.
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