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OECD-Studie zeigt Schwächen der Schweizer Sozialhilfe auf

Die Sozialhilfe in der Schweiz verfehlt laut einer OECD-Studie weitgehend ihr Ziel. Einerseits sei die Unterstützung relativ hoch und erschwere so den Wiedereintritt ins Berufsleben, anderseits sorgten hohe Eintrittsbarrieren für tiefe Bezugsquoten.

Die Sozialhilfe in der Schweiz verfehlt laut einer Studie der OECD weitgehend ihr Ziel. Die Unterstützung sei relativ hoch und erschwere so den Wiedereintritt ins Berufsleben. Auf der anderen Seite sorgten hohe Eintrittsbarrieren für tiefe Bezugsquoten und Kosten, heisst es in einer am Freitag (29.10.) in Bern veröffentlichten Studie.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vergleicht in einem Bericht die Wirksamkeit der Sozialhilfe als Mittel zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt in der Schweiz und in Kanada. Eine Reihe anderer Staaten wurden bereits früher unter die Lupe genommen. Die Studie kommt für die Schweiz – wo exemplarisch die Kantone Zürich, Waadt, Graubünden und Tessin untersucht wurden – zu folgenden Schlüssen: Die Sozialhilfe ist vergleichsweise hoch; hohe Eintrittsbarrieren wie Rückzahlungspflicht, Verwandtenunterstützung und Behördensystem halten die Bezugsquoten und damit die Kosten tief; die berufliche Integration hat einen zu tiefen Stellenwert; die Vernetzung der Sozialhilfe mit den Regionalen Arbeitsvermittlungsstellen (RAV) lässt zu wünschen übrig.

Erklärtes Ziel der Sozialhilfe sollte laut OECD die Förderung der Selbstständigkeit und der sozialen Integration sein. In der Schweiz orientiere sich das soziale Existenzminimum an den unteren Einkommen und falle deshalb relativ grosszügig aus, schreibt die OECD. Dies könne sich negativ auf die Motivation zur Stellensuche auswirken. Im Gegensatz zu Kanada hätten Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger in der Schweiz Bezüger zudem auch keinen finanziellen Anreiz zu arbeiten, solange ihr Einkommen unter dem Unterstützungssatz bleibe.

Kritisiert werden in der OECD-Studie auch die als ‚archaisch‘ bezeichneten hohen Eintrittsbarrieren (wie etwa die Rückzahlungspflicht) in die Sozialhilfe. Dadurch sei die Bezugsquote, also der Anteil der Berechtigten, die ihren Anspruch tatsächlich geltend machen, sehr tief. Schätzungen gehen von 45 Prozent aus, mit beträchtlichen Unterschieden zwischen Stadt und Land.

Zu wünschen übrig lasse weiter die Vernetzung der Sozialhilfe mit den Arbeitsvermittlungsstellen. Es ist gemäss OECD eine Schwäche des schweizerischen Systems, dass Sozialhilfebezüger keinen Anspruch auf arbeitsmarktliche Massnahmen haben, sondern nur auf Stellenvermittlung. Damit werde die Arbeitsintegration vernachlässigt.

Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) und die Sozialdirektoren der Kantone (SODK) gehen mit der Kritik der OECD in manchen, wenn auch nicht in allen Punkten einig. ‚Der Blick in den Spiegel zeigt Licht und Schatten‘, sagte SKOS-Präsident Walter Schmid aus Zürich. Die berufliche Integration habe in der Sozialhilfe tatsächlich einen zu geringen Stellenwert. Das Problem sei erkannt und Ansätze zur Lösung bereits vorhanden. Zu den Eintrittsbarrieren räumte er ein, dass deren Anwendung gewisserorts tatsächlich ‚archaisch‘ sei und mit einem zeitgemässen Verständnis von Sozialhilfe wenig gemein habe.

Wie Schmid stellte sich auch die freiburgische Sozialdirektorin Ruth Lüthi im Namen der SODK hinter die Garantie eines sozialen Existenzminimums und damit die hohen Sozialbeiträge. Der Arbeitsmarkt werde dadurch nur wenig beeinflusst. Aber Schwächen des Systems müssten behoben werden, um zu verhindern, dass Erwerbstätige von Sozialhilfe abhängig würden. Dazu könnten Steuererleichterungen für tiefe Einkommen sowie eine angemessene Abgeltung der
Kinderlasten beitragen.

SRI und Agenturen

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