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Schweizer Atomuhr “tickt” am präzisesten

In einer Vakuum-Kammer verlangsamt die Doktorandin Natascia Castagna die Cäsiumatome (blau) mit Hilfe von Laserstrahlen. www.snf.ch

Die Physiker des kantonalen Observatoriums von Neuenburg haben eine aussergewöhnliche Atomuhr entwickelt. Sie misst die Sekunde "mit extremer Genauigkeit".

Damit liegt die Schweiz bei der Zeitmessung wieder ganz vorn. Die Uhr wird als Grundlage für die Abstimmung der internationalen Zeit eingesetzt werden.

Das Radiosignal zur Ankündigung der genauen Zeit wird die Mittagsnachrichten in Zukunft noch präziser ankündigen. Das gesendete Zeichen wird künftig mit einer Genauigkeit von durchschnittlich 0,000’000’000’000’001 Sekunden ausgestrahlt.

Diese Präzision ist der neuen Atomuhr zu verdanken, die vom kantonalen Observatorium von Neuenburg (ON) entwickelt wurde. Die Physiker in Neuenburg wurden vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt.

Die Atomuhr gehört zu einer neuen Generation von Uhren auf der Basis kalter Atome. Sie soll dem Bundesamt für Meteorologie und Akkreditierung (METAS) diesen Frühling übergeben werden. Weltweit existieren nur drei weitere vergleichbare Referenz-Systeme, in den USA, Frankreich und Deutschland.

“Ticken” mittels Magnetfeld

Die Atomuhr beruht auf dem Prinzip der Abkühlung von Cäsium-133-Atomen mit Hilfe eines Lasers. Das “Ticken” der Atomuhr beruht auf der Oszillation dieser Atome. Die Atome können durch ein Magnetfeld “angeregt” werden und schwingen dann zwischen verschiedenen so genannten “Energiezuständen”. Eine Sekunde dauert exakt 9’192’631’770 Schwingungen des Cäsium-Atoms.

Abkühlung nach Abbremsen

Die Atome bewegen sich normalerweise mit einer Geschwindigkeit von 200 Metern/Sekunde. Sie sind so schnell, dass sie nur sehr kurze Zeit beobachtet werden können. Dies schränkt die Genauigkeit der Messung ein. Ein wichtiger Ansatz zur höheren Genauigkeit der Uhr besteht darin, die Atome abzubremsen, im wissenschaftlichen Jargon “abzukühlen”.

Den Neuenburger Forschern ist es gelungen, die Atome bis auf 6 Zentimeter/Sekunde abzubremsen. “Für die Messung der Oszillationsfrequenz steht jetzt 50 Mal mehr Zeit zur Verfügung. Entsprechend genauer fällt die Messung aus”, freut sich Projektleiter Pierre Thomann.

Diese Technik wird “atomarer Springbrunnen” genannt. Sie wurde in den 90er Jahren entwickelt und kommt weltweit bei vier Atomuhren zum Einsatz.

Einzigartige Neuenburger Technik

Dennoch ist die Neuenburger Atomuhr einzigartig. “Statt die Atome wie bei den anderen Systemen stossweise zu senden, verfügen wir zur Versorgung unseres Springbrunnens über einen kontinuierlichen Strahl von Atomen”, erklärt Pierre Thomann. “Der Vorteil besteht in der 100 Mal tieferen Dichte der Atome beim Strahl, verglichen mit den Stössen. Auf diese Weise kommt es seltener zu störenden Kollisionen zwischen den Atomen, was die Präzision der Messungen erhöht.”

“Zwei mit dieser Technik versehene Uhren würden nach 30 Mio. Jahren um höchstens eine Sekunde voneinander abweichen”, sagt Natascia Castagna, eine am Projekt beteiligte Doktorandin.

Besondere Anwendungsgebiete

Aber wer braucht denn schon eine derart präzise Uhr? “Für die meisten Leute ist der Nutzen wohl nicht auf den ersten Blick erkennbar”, gibt Pierre Thomann zu.

Extreme Genauigkeit ist jedoch unerlässlich bei Satelliten-Navigations-Systemen, die umso genauere Daten liefern, je exakter die beteiligten Atomuhren synchronisiert sind.

Die Neuenburger Physiker arbeiten bereits an der Weiterentwicklung ihrer kalten Atomuhr. Das europäische Satellitensystem Galileo, wird in der zweiten Generation wahrscheinlich mit einer kalten Atomuhr aus Neuenburg ausgerüstet werden, deren Präzision noch höher sein wird.

Im Bereich der Satelliten-Navigation ist absolute Präzision unerlässlich. Projektleiter Pierre Thomann gegenüber swissinfo: “Wenn eine Atomuhr in einem Satelliten nur um eine Nanosekunde (1 Milliardstel Sekunde) “falsch” geht, macht das eine Abweichung von 30 cm aus.”

Zum Vergleich: Das heute weit verbreitete GPS-Navigations-System hat eine Fehlertoleranz von 10 Metern. Mit Galileo wollen die Europäer eine Abweichung von unter einem Meter erreichen

Neue Möglichkeiten eröffnen sich aber auch für die Radioastronomie. Indem Radioteleskope synchronisiert und auf denselben Himmelspunkt ausgerichtet würden, könnten sie zu einem weltweiten Netz zusammen geschaltet werden, woraus sich ein einziges rundes Radioteleskop mit dem Durchmesser der Erde ergäbe.

Extrem präzise Zeitmessungen könnten den Physikern schliesslich zu wichtigen Erkenntnissen über die grossen Theorien der Physik wie die Relativitätstheorie Einsteins verhelfen.

Wissenschaft kostet Geld

Seit 1991 beschäftigt sich das ON mit der Grundlagenforschung für die kalte Atomuhr. Die konkrete Arbeit an der Uhr begann 1997. Der Schweizerische Nationalfonds hat sich mit 120’000 Franken an den Kosten beteiligt.

“Drei Personen haben während der letzten fünf Jahre an diesem Projekt gearbeitet. Ich schätze, die Kosten für die Entwicklung der Atomuhr liegen bei rund 3 Mio. Franken”, sagt Pierre Thomann gegenüber swissinfo.

Symbolträchtiges Eichmass

Die Schweiz wird eines der wenigen Laboratorien mit einem Eichmass auf der Basis der kalten Atome weltweit besitzen. “Die Schweiz wird bei der Zeitmessung wieder ganz vorne dabei sein, nachdem sie ins Mittelfeld abgerutscht war. Dies ist für Neuenburg mit seiner langen Uhrentradition, aber auch für die gesamte Schweiz sehr symbolträchtig”, meint Pierre Thomann.

swissinfo, Etienne Strebel

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