US-Widersprüche und europäische Faszination

Der amerikanische Wahlkampf hat die Schlagzeilen der letzten Wochen in der Schweiz wie im Rest Europas dominiert.
Der Westschweizer Verleger Pierre-Marcel Favre warf am Tag des US-Urnengangs im Gespräch mit swissinfo einen kritischen Blick auf die Faszination der USA.
Seit Wochen überhäufen die Medien in der Schweiz und in ganz Europa ihr Publikum mit Neuigkeiten über die Präsidentschafts-Wahlen in den Vereinigten Staaten. Das neue vierteljährliche Magazin «L’Empire» geht noch weiter und widmet sich vollumfänglich den USA.
Mitherausgeber ist Pierre-Marcel Favre, Buchverleger und Leiter des Genfer «Salon du Livre». Sein Partner in Paris ist der französische Autor und Verleger Jean-Louis Gouraud. swissinfo sprach mit Favre über die USA und sein Magazin «L’Empire».
swissinfo: Seit Wochen ist Europa im Banne der amerikanischen Präsidentschafts-Wahlen gefangen. Erstaunt sie diese enorme Anteilnahme der Medien?
Pierre-Marcel Favre: Keineswegs, das kann weitgehend mit der Aktualität erklärt werden. Die Lage in Irak, die eine enorme Dimension erreicht hat, hat die Situation völlig verändert. Sie erlaubt es, die Macht der USA zu verstehen. Oft wird diese im Hintergrund ausgeübt, in diesem Fall ist sie transparent.
swissinfo: Offensichtlich interessiert die politische Frage. Aber gibt es darüber hinaus nicht einfach eine tiefgreifende Faszination auf der europäischen Seite?
P.-M. F.: Natürlich. Die amerikanische Kultur, ob man sie nun gerne so nennt oder nicht, beeinflusst uns in tausendfacher Weise. Es gibt ausgezeichnete amerikanische Filme, weniger ausgezeichnete TV-Serien oder Literatur, die ziemlich famos ist. Dann gibt es die weniger glückliche Seite wie beispielsweise die amerikanische Ernährung.
Und dann noch den Dollar. Der Dollar ist der König der Welt. Diese Währung beeinflusst unser tägliches Leben. Beispielsweise wird der Preis pro Barrel Öl in Dollar berechnet. Der Dollar-Kurs schlägt sich unmittelbar in einem Plus oder Minus in unserer Brieftasche nieder.
swissinfo: Den Begriff des «amerikanischen Traums» gibt es seit Jahren. Aber seine Bedeutung hat sich verändert: Er steht nicht mehr für dasselbe wie vor 20 Jahren.
P.-M. F.: Der «amerikanische Traum» hat, für Europäer zumindest, viel von seiner Strahlkraft verloren, wenn er nicht gar ganz verschwunden ist. In Südamerika und in andern Ländern, wo das Leben nicht einfach ist hingegen, existiert der Traum noch. Zumindest theoretisch gibt es die Möglichkeit, sich schnell zu assimilieren und sein Leben ehrlich zu verdienen.
Man müsste um genau zu sein auch vom «Traum der Vereinigten Staaten» sprechen und nicht vom «amerikanischen Traum». Denn es ist der ökonomische Aspekt, der den Ausdruck rechtfertigte.
swissinfo: Ist das Magazin «L’Empire» nicht die Konkretisierung einer Hassliebe, welche unsere Beziehung mit den USA charakterisiert? Gewissermassen etwas zum Thema zu machen, das man stark kritisiert?
P.-M. F.: Es gibt Magazine zu jedem Thema… zum Fischen, dem alten Ägypten oder dem Drachenfliegen. Aber es gab noch kein Magazin, das sich mit dem monumentalen Thema auseinander setzt, das unsere Existenz beeinflusst, den USA. Es gab eine Lücke.
«L’Empire» ist ein Tropfen in einen Ozean des Lobes. Man muss realisieren, dass CNN amerikanisch ist. Und dass es hunderttausende Filme, Reportagen, Bücher und Artikel gibt, die ein idyllisches Bild der Vereinigten Staaten zeichnen.
Es ist nur normal und gesund, dass es endlich ein Magazin gibt, das sich mit Kritik und Abstand auch erlaubt, an diesem engelhaften Bild zu kratzen.
swissinfo: In wenigen Worten, welche USA lieben Sie und welche USA hassen Sie?
P.-M. F.: Es ist eine vereinfachende Darstellung, aber ich werde es versuchen. Die amerikanische Bevölkerung ist möglicherweise nicht sehr gut informiert und belesen, aber sie ist warmherzig, offen und freundlich. Daneben gibt es die Landschaften, die Literatur und die echte Möglichkeit, es mit Unternehmersgeist zu etwas zu bringen.
Ein negativer Punkt – heute aktueller denn je – ist die Ablehnung des Rests der Welt. Es ist ein fehlendes Interesse, das sich darin zeigt, dass die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner keinen Pass besitzt.
Es gibt aber auch unwahrscheinliche Widersprüche: Kürzlich war ich mit meinem 17-jährigen Sohn in den USA, und wir wurden aus einem Restaurant geworfen, weil er ein Bier bestellt hatte. Im gleichen Land könnte er problemlos eine Waffe kaufen. Und er könnte, wäre er Amerikaner, im Irak getötet werden.
Es scheint ein wirklicher Widerspruch zu sein, Bier bis zum Alter von 21 Jahren zu verbieten und gleichzeitig den Menschen zu erlauben, zu töten und getötet zu werdern.
swissinfo-Interview, Bernard Léchot
(Übertragung aus dem Französischen von Philippe Kropf)
Das neue, vierteljährliche Magazin «L’Empire» wird in Paris und Lausanne herausgegeben.
Auf Schweizer Seite ist Pierre-Marcel Favre verantwortlich, Buchverleger und Leiter des Genfer «Salon du Livre».
Die erste Ausgabe von «L’Empire» ist im Oktober erschienen und hatte eine Auflage von 8000 Exemplaren in der Schweiz und 40’000 Exemplaren in Frankreich.
Das Erscheinungsdatum der zweiten Ausgabe steht noch nicht fest: Laut dem Herausgeber gibt es nur wenige Anzeigen-Kunden, die in einem Magazin inserieren wollen, das der USA kritisch gegenüber steht.

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