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Der Schein trügt: Die Demokratie gewinnt

Europarat
Der Europarat organisiert in Strassburg das Weltforum für Demokratie. Council of Europe/ Cathérine Monfils

Erdogan, Ungarn, Populismus und beeinflusste Wahlen. Verschiedene politische Ereignisse haben in der letzten Zeit den Eindruck erweckt, dass sich die Demokratie weltweit auf dem Rückzug befindet. Neue globale Untersuchungen zeigen jedoch: das Gegenteil ist der Fall. Und: Die meisten Menschen wollen mehr davon.

Im November wird Strassburg mit seinen gerade einmal 270’000 Einwohnerinnen und Einwohnern jeweils zur Welthauptstadt der Demokratie.

Mit über 1000 teilnehmenden Fachleuten aus über 100 Staaten weltweit gehört das Weltforum für DemokratieExterner Link in Strassburg zu den wichtigsten globalen Konferenzen rund um das Thema Demokratie. 

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In diesem Jahr stand das Forum ganz im Zeichen der Schwächen der Demokratie. “Populisten verschiedener politischer Couleur bedrohen unsere liberalen und pluralistischen Gesellschaften”, erklärte der Generalsekretär des Europarates, Thorbjörn Jagland, als Gastgeber gleich zu Beginn. Er und viele andere Teilnehmer warnten vor einem “Demokratierückzug” und verwiesen dabei auf Entwicklungen in Staaten wie der Türkei und Ungarn, aber auch den USA und Grossbritannien.

Doch geht es der Demokratie tatsächlich so schlecht? Und sinkt das Interesse der Menschen an demokratischen Verhältnissen wirklich? Drei verschiedene und in diesem Umfang so noch nie durchgeführte Untersuchungen renommierter Forscher und Institutionen machen deutlich: die Demokratie steht global sehr stark da und erfreut sich eines enormen Zuspruches. “Es gibt wenig Gründe, pessimistisch zu sein”, betonte der frühere belgische Regierungschef Yves Leterme. Seit 2014 leitet er das “International Institute for Electoral Assistance and Democracy” (IDEA) in Stockholm. 

Dieser Regierungsorganisation gehören 30 Staaten aus der ganzen Welt an, darunter auch die Schweiz. In Strassburg präsentierte Leterme die Erstausgabe von “Global State of DemocracyExterner Link“. Das neue Jahrbuch hält fest, dass im Jahre 1975 erst 30 Prozent der Bevölkerung (verteilt über 46 Staaten) in Demokratien lebten, 2016 waren es 68% in 132 Ländern.

Grafik über Vormarsch der Demokratie
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Von Tunesien bis Thailand

Noch umfangreicher sind die Daten des “Varieties of DemocracyExterner Link” (V-Dem)-Projektes, das fast 180 Staaten unter die Lupe genommen hat. Insgesamt haben über 100 Fachleute 18 Millionen Daten zu 52 verschiedenen Demokratieaspekten zusammengetragen. Dazu gehört auch die Anwendung direktdemokratischer Instrumente und das Engagement der Zivilbevölkerung am politischen Geschehen.

Das erste V-Dem-Jahrbuch zeigt auf, wo die Demokratie in jüngster Zeit am meisten zulegen konnte (Tunesien, Sri Lanka, Burkina Faso, Georgien, Guyana), und wo sie am meisten Terrain verloren hat (Thailand, Polen, Türkei, Brasilien, Malediven). Insgesamt kann, so V-Dem-Leiter Staffan Lindberg, “nicht von einem globalen Rückgang der Demokratie gesprochen werden”.

Eine Frau wirft einen Stimmzettel in die Urne
Eine Liberianerin gibt ihre Stimme für die Präsidentenwahl ab. Ahmaed Jallanzo

Ganz im Gegenteil wünschen sich sehr viele Menschen mehr davon: Zu diesem Schluss kommt eine dritte grosse Untersuchung zur Demokratie. Das amerikanische PEW-InstitutExterner Link hat nämlich die Haltungen zur Demokratie in 38 Staaten – die Schweiz gehörte nicht dazu –  rund um den Erdball eruiert. Die Ergebnisse sind vielversprechend: “Weltweit geniessen das repräsentative Regieren und die direktdemokratische Teilnahme einen sehr grossen Zuspruch”, betont Forschungsleiter Richard Wike. 

Konkret: 78% der Befragten sind Anhänger des repräsentativen Regierens und 66% wollen direktdemokratisch in der Politik mitreden können. Allerdings zeigt die Befragung ebenso, dass viele Menschen auch nicht-demokratischen Systemen (Regierung durch Experten, starken Führer oder Militär) Gutes abgewinnen können. 

Von den in 38 Ländern befragten Personen erwiesen sich 23 Prozent als überzeugte Demokraten. 47 Prozent befürworten die Demokratie grundsätzlich, sehen aber auch in nichtdemokratischen Regierungen gewisse Vorzüge. Und 13 Prozent fühlen sich in einem Land besser aufgehoben, in dem gar keine Demokratie herrscht.

Grafik, welches Regierungsmodell als positiv oder negativ bewertet wird
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