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Warum kappte der Polizist das Seil?

Erste Hilfe für den britischen G-8-Gegner nach seinem 20-Meter-Fall im Juni 2003 Keystone

Weshalb hat am 1. Juni 2003 ein Polizist ein Seil durchschnitten, das zwei Anti-G-8-Demonstranten hielt? Die Waadtländer Justiz soll eine Antwort finden.

Zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall müssen sich zwei Polizisten in Nyon vor Gericht wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten.

Am 1. Juni 2003 blockierten Globalisierungsgegner die Autobahn auf der Höhe von Aubonne, zwischen Lausanne und Genf. Es handelte sich um einen Protest gegen das Gipfeltreffen der G8-Staaten. Die Aktivisten wollten so die Anfahrt der verschiedenen Delegationen vom Flughafen Genf zum Tagungsort im französischen Evian verhindern.

Zwei Aktivisten, der Brite Martin Shaw und die Deutsche Gesine Wenzel, hatten zu diesem Zweck ein Bergsteigerseil über die Autobahn gespannt, an dessen einem Ende Martin Shaw und am anderen Ende Gesine Wenzel hing.

Die Polizei wollte die Demonstrierenden vertreiben, damit der Verkehr wieder fliessen konnte. Ein Schaffhauser Polizist kappte dabei das Seil, das die beiden Globalisierungsgegner hielt.

Während es anwesenden Demonstranten gelang, das Seil mit der jungen Deutschen zu halten, stürzte Martin Shaw 20 Meter in die Tiefe. Er überlebte den Sturz mit schweren Rücken- und Fussverletzungen. Gesine Wenzel erlitt einen Post-traumatischen Schock.

Verschärfung der Anklage

2003 wurden die beiden Globalisierungsgegner wegen Behinderung des öffentlichen Verkehrs angeklagt und verurteilt. Die Untersuchung gegen die beiden Polizisten war dagegen eingestellt worden.

Wenzel und Shaw legten dagegen Rekurs ein. Die Anklagekammer hiess im Januar 2005 den Rekurs gut und befürwortete einen Prozess gegen die beiden Polizeibeamten.

Diese müssen sich nun wegen fahrlässiger Körperverletzung vor dem Gericht in Nyon verantworten. Der Prozess dauert voraussichtlich bis am Mittwoch und muss klären, ob der Schaffhauser Polizist und sein Waadtländer Vorgesetzter gewusst hatten, dass zwei Menschen am Seil hingen.

Was ist in diesem Moment im Kopf des Polizisten vorgegangen? Bekam er einen Befehl, das Seil zu durchschneiden? Diese Frage stellt sich der Anwalt der beiden Globalisierungsgegner, Jean-Pierre Garbade.

Er verlangt, dass die Anklage auf eine Vorsatztat ausgeweitet wird. Denn für ihn war das keine Fahrlässigkeit, es handelt sich seiner Ansicht nach darum, jemanden absichtlich in Lebensgefahr gebracht zu haben.

“Vom Moment an, als die Polizei eingetroffen war und die Demonstranten auseinandertrieb, konnten diese nicht mehr auf ihre zwei angeseilten Kameraden aufpassen. Die Verantwortung dafür hätte von der Polizei übernommen werden sollen”, sagt ihr Anwalt gegenüber swissinfo.

“Denn alle Polizisten, bis auf die beiden angeklagten, die das verneinen, wussten dass noch zwei Menschen am Seil hingen.”

Freispruch verlangt

Die Anwälte der Angeklagten dagegen plädieren auf Freispruch. “Er ist unschuldig, mein Mandant wusste nicht, dass da noch zwei Personen am Seil hingen”, erklärte Jaques Michod, der Anwalt des Schaffhauser Polizisten, der das Seil durchgeschnitten hatte, im Vorfeld des Prozesses vor den Medien.

Dem waadtländischen Polizei-Offizier wird vorgeworfen, seinen Untergebenen nicht davon unterrichtet zu haben, dass sich noch Personen am Seil befunden hätten. Gemäss seinem Anwalt, Yves Burnand, hätten sich die beiden Männer nicht miteinander verständigen können, da der eine Französisch sprach und der andere Deutsch.

In ihrer ganzen Länge gefilmt, wird die Aktion an der Verhandlung visioniert werden. Ausserdem werden verschiedene Zeugen angehört. Auch die Abschriften der Radioberichte mit den Ordnungskräften befinden sich in den Akten. Mit einem Urteil wird gegen Ende Woche gerechnet.

swissinfo, Alexandra Richard und Agenturen
(Übertragung aus dem Französischen: Etienne Strebel)

Vom 1. bis 3. Juni 2003 fand im französischen Evian am Genfersee der G-8-Gipfel statt.

Parallel dazu organisierten sich Globalisierungsgegner zu Protesten.

Viele Kantone schickten Polizeikräfte in die Westschweiz. Zudem standen 5000 Soldaten im Einsatz.

Insgesamt waren rund 10’000 Mann für die Sicherheit des G-8-Gipfels auf Schweizer Seite im Einsatz.

Auf französischer Seite waren es 20’000.

Während den Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel im Juni 2003 hat die Polizei auf einer Autobahnbrücke in der Nähe von Nyon ein Seil durchgeschnitten, an dem zwei Demonstranten angebunden waren. Dabei wurde einer der Demonstranten schwer verletzt.

2003 wurden die beiden Globalisierungs-Gegner wegen Behinderung des öffentlichen Verkehrs angeklagt und verurteilt.

Die Untersuchungen gegen die zwei Polizisten wurden eingestellt.

Die beiden Globalisierungs-Gegner reichten darauf Rekurs ein und forderten, der Fall müsse durch ein Gericht geklärt werden.

Fast drei Jahre nach dem Vorfall stehen die beiden Polizisten nun wegen fahrlässiger Körper-Verletzung in Nyon vor Gericht.

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