
Verteidigung: Soll die Schweiz enger mit der EU zusammenarbeiten?

Mit dem Rückzug der USA aus der europäischen Sicherheit gewinnt die Idee einer Verteidigungspartnerschaft mit der Europäischen Union im Schweizer Parlament an Unterstützung. Das belebt die Debatte über die Neutralität.
Um den neuen geostrategischen Tatsachen zu begegnen, könnte die Schweiz einen Kurswechsel in ihrer Verteidigungspolitik einleiten.
Im März hatte der Nationalrat (grosse Kammer) eine ErklärungExterner Link angenommen, in der er den Bundesrat aufforderte, «konkrete Massnahmen zur Stärkung der Sicherheitszusammenarbeit mit Europa» zu ergreifen. Mitte Mai konkretisierte die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats diese Forderung mit einer MotionExterner Link.
Neutral, aber vernetzt?
Der Vorstoss fordert den Bundesrat auf, ein Abkommen mit der Europäischen Union im Bereich der Sicherheit und Verteidigung auszuhandeln. Darin heisst es, dass die Schweiz ihre Zusammenarbeit mit den europäischen Partnerstaaten sowie mit Institutionen wie der Europäischen Verteidigungsagentur und der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit verstärken und gleichzeitig ihren Status als neutraler Staat beibehalten soll.
«Eine bessere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union ist wichtig für die Sicherheit der Schweiz, da sich die US-Regierung aus der gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur zurückzieht», sagt SP-Sicherheitspolitiker Fabian Molina.
Er argumentiert, dass dies der Schweiz unter anderem ermöglichen würde, sich an gemeinsamen Rüstungsbeschaffungen mit der EU zu beteiligen, um bessere Preise zu erzielen, aber auch um die Interoperabilität von Rüstungsgütern zu gewährleisten. «Mit diesem Abkommen würden wir auch unsere Abhängigkeit von den USA verringern», fügt er hinzu.

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Der SP-Nationalrat stellt klar, dass diese Partnerschaft keine Verpflichtung zur gegenseitigen Unterstützung vorsieht, wie es in den Verträgen mit der NATO vorgesehen ist. «Es ist auch nicht vorgesehen, gemeinsam Militärübungen durchzuführen», betont er.
Für die SVP «ein schleichender Beitritt zur EU»
Die Idee ruft jedoch die Schweizerische Volkspartei SVP auf den Plan, die vehement gegen jegliche Annäherung an Brüssel ist. SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor ist überzeugt, dass die Befürwortenden der Motion eine versteckte Agenda verfolgen. «Es handelt sich um eine Strategie des schleichenden Beitritts zur Europäischen Union, und das ist gegen die Interessen der Schweiz», kritisiert er.
Jean-Luc Addor befürwortet bilaterale Kooperationen mit den Nachbarländern im Bereich der militärischen Ausbildung oder der Beschaffung von Material. Er erwähnt insbesondere das gemeinsame Manöver, das Ende April in Österreich mit Österreichern und Deutschen durchgeführt wurde.

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«Die rote Linie wird jedoch überschritten, wenn es um die Zusammenarbeit mit einer supranationalen Organisation wie der EU oder der NATO geht», meint er. Der SVP-Nationalrat ist auch der Ansicht, dass ein solcher Vertrag gegen den Grundsatz der Neutralität des helvetischen Staates verstösst.
Fabian Molina interpretiert diesen Grundsatz anders. «Unser Status als neutraler Staat erlaubt es uns nicht, an einem bewaffneten Konflikt teilzunehmen oder Mitglied eines Militärbündnisses zu sein. Andererseits hindert er uns nicht daran, mit unseren Nachbarn zusammenzuarbeiten, vor allem im zivilen Bereich», sagt er.
Eine Verteidigungspartnerschaft mit Brüssel sei deshalb weder ein Verstoss gegen die helvetische Neutralität noch ein Schritt in Richtung eines EU-Beitritts.

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Was ist mit Übungen zur Beistandspflicht?
Weniger offen zeigt sich der sozialdemokratische Parlamentarier gegenüber einer Annäherung an die NATO. Im vergangenen Jahr hatte er einen Antrag eingereicht, der gemeinsame Verteidigungsübungen mit der NATO verbieten wollte. «Die Teilnahme an einer Militärübung mit der NATO, die den Artikel 5 des Vertrags umfasst, kommt der Ausübung der Beistandspflicht des Bündnisses gleich», argumentierte er.
Ironischerweise hatte Fabian Molina den Nationalrat davon überzeugt, den Antrag anzunehmen, indem er ihn an der Seite von Jean-Luc Addor verteidigte. Die Motion wurde jedoch vom Ständerat (kleine Kammer) abgelehnt.
Für Norwegen «ein Mittel zur Abschreckung»
Brüssel hat bereits im vergangenen Jahr eine ähnlich gelagerte strategische Verteidigungspartnerschaft mit Norwegen geschlossen. In einer schriftlichen Antwort auf unsere Anfrage erklärt der norwegische Staatssekretär Andreas Flåm, dass das Abkommen die Gesamtbeziehung Norwegens mit der EU nicht verändere.
«Es enthält eine recht lange Liste von Tätigkeitsbereichen, die für eine weitere Zusammenarbeit in Frage kommen, darunter die Teilnahme Norwegens an EU-Übungen und -Operationen, die Sicherheit im Seeverkehr, Initiativen der Verteidigungsindustrie, Raumfahrtaktivitäten oder Cyber- und Hybridbedrohungen», so Flåm.

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Ist die Schweiz auf dem Weg in einen europäischen Sicherheitsverbund?
Diese Partnerschaft stelle Norwegens NATO-Mitgliedschaft nicht in Frage, die nach wie vor der Grundpfeiler seiner nationalen Sicherheit ist. «Es handelt sich eher um ein programmatisches Dokument als um einen rechtsverbindlichen Rahmen», erklärt Bruno Oliveira Martins, Forscher am Osloer Friedensforschungsinstitut (PRIO).
Er erinnert daran, dass Norwegen bereits eines der Nicht-EU-Mitglieder war, die am engsten mit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU verbunden waren. «Das Ziel war es, diese Beziehung zu vertiefen, mehr Strukturen für den Dialog und den Informationsaustausch zu schaffen», erklärt er.

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Die Annäherung erfolgte auch vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen mit Russland, mit dem Norwegen eine 198 km lange Grenze in der Arktis teilt. Seit dem Einmarsch in die Ukraine hat Moskau seine militärischen Aktivitäten in der Region intensiviert und rund 50 Stützpunkte aus der Sowjetzeit reaktiviert.
«Die Partnerschaft mit der EU ist daher auch ein abschreckendes Signal: Sie zeigt, dass Norwegen nicht nur NATO-Mitglied, sondern auch voll in die europäische Sicherheitsarchitektur integriert ist», sagt Bruno Oliveira Martins.
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Editiert und aus dem Französischen übersetzt von Balz Rigendinger

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