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Bär und Jäger sind los

Keystone

Am 1. September hat im Kanton Graubünden die Hochjagd begonnen. Dabei erhalten die Jäger Konkurrenz: zwei Bären – eine nicht ganz harmlose Situation.

Ob die Präsenz der Braunbären dem Tourismus im Kanton dient, ist eine andere Frage. Und sie ist umstritten.

Seit dem Start der Bündner Hochjagd sind insgesamt 5500 Waidmänner unterwegs.

Sie gesellen sich zu den Wanderern und Wildhütern, die seit geraumer Zeit Ausschau nach den beiden im Bündnerland herumstrolchenden Bären halten.

Direkte Begegnung möglich

Was nun, wenn Bär und Jäger gleichzeitig einem angeschossenen Tier nachsuchen? Eine solche Begegnung lasse sich nicht ganz ausschliessen, sagt Georg Brosi, Chef des Amtes für Jagd und Fischerei Graubünden, gegenüber swissinfo.

“Aber ich gehe davon aus, dass das keine grösseren Probleme verursacht. Es gab schon 2005 während der Hochjagd die Präsenz eines Bären: ‘Lumpaz’. Die Begegnungen mit ihm gingen aber eigentlich unproblematisch aus.”

Im Moment sind es immer noch zwei Bären, die sich in zwei verschiedenen Gebieten aufhalten, der eine mit, der andere ohne Sender.

Respekt, aber keine Angst

“Wenn man am Morgen früh vor Sonnenaufgang und vielleicht bei Nebel auf den Posten geht oder den Berg hinaufsteigt, kommt einem schon in den Sinn, dass da ein Bär existiert; aber sobald die Sonne kommt, ist dieser vergessen”, sagt Brosi, der selber auf der Jagd ist.

“Dennoch, der Bär bedeutet eine gewisse Einschränkung.” Einzelne Jäger bewegten sich nicht mehr derart ungezwungen in ihrem Gebiet, wie sie das seit Jahrzehnten getan hätten.

Das Verhältnis der Waidmänner zum Grossraubtier sei von Faszination und Respekt geprägt. Deshalb rechnet Brosi nicht mit Konflikten.

Aber: “Es kann eine Notlage entstehen, und da ist klar, Menschenleben zählen mehr als Bärenleben. Aber mutwillig oder vorsätzlich passiert ein Abschuss ganz sicher nicht.”

Bär als Tourismus-Förderer?

Jedesmal, wenn ein Bär seine Pfoten auf Bündner Boden setzt, geht der Rummel los. Meister Petz wird von den Medien während Wochen in Beschlag genommen, Wanderer und Touristen halten Ausschau nach ihm und wollen möglichst noch ein Foto von ihm schiessen.

Der Bär als Tourismus-Förderer im Kanton Graubünden? “So explizit würde ich das nicht ausdrücken”, sagt Urs Wohler, Direktor von Engadin/Scuol Tourismus, gegenüber swissinfo.

“Es gibt positive und negative Reaktionen von Gästen. Insgesamt ist für mich der Bär immer noch ein positiver Imageträger. Man weiss, dort hat es einen Bären, also ist die Qualität der Landschaft auch entsprechend.”

Bären-Skeptiker

“Ich jedenfalls würde Ferien buchen, wo sich keine Bären aufhalten”, steht in einem Leserbrief in einer Bündner Zeitung – stellvertretend wohl für viele Bären-Skeptiker, zu denen auch einige Tourismus-Verantwortliche anderer Bündner Regionen gehören.

Der Bär lasse sich touristisch nicht vermarkten, ist das Fazit von Reto Barblan, Bergüner Tourismus-Direktor. Die Chance sei zu klein, das Tier zu Gesicht zu bekommen. Im Moment gehe es eher darum, die Gäste zu beruhigen.

“Bisher hatten wir wegen des Bärs noch keine konkreten Absagen von Gästen”, kontert Wohler. Ab und zu erhalte er schon eine kritische Reaktion. “Wir empfehlen den Gästen Wanderwege, wo sicher kein Bär im Gebiet ist, so können wir ihnen die Angst etwas nehmen.”

Konkrete Empfehlungen

Zudem stütze man sich auf die konkreten Empfehlungen des Kantons und habe sich beraten lassen durch Bärenspezialisten aus dem Adamello-Brenta-Nationalpark in Italien. “Dort hat es bisher noch nie einen Angriff mit Verletzungsfolgen für den Menschen gegeben.”

Das beste sei, wenn man sich unterwegs bemerkbar mache, empfiehlt Wohler: Miteinander sprechen, nicht durchs Unterholz schleichen, sondern echt wandern und vielleicht sogar singen. “Der Bär kann offenbar unterscheiden zwischen Geräuschen, die er kennt, und solchen, die er nicht kennt. Und wenn er etwas nicht kennt, dann verschwindet er.”

Gespaltene Einheimische


Es liege auf der Hand, dass es bei den Einheimischen ganz unterschiedliche Stimmungen gebe, betont der Engadin/Scuol Tourismus-Direktor. “Ein Landwirt, ein Jäger, der direkt betroffen ist durch Schäden, die ein Bär seinem Besitz, seinen Tieren zufügt, der ist kritisch gegenüber diesem Bären.” Andere Einheimische seien durchaus wohlwollend.

“Wir haben als Touristiker aber Respekt vor diesen unterschiedlichen Haltungen, wir stehen eigentlich mitten drin”, so Wohler. “Wenn aber mal etwas passieren sollte, dann würde die Stimmung vollends kippen.”

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

In den Ostalpen (Italien, Österreich, Bayern, Slowenien, Schweiz) leben derzeit 38 Bären (davon ca. 25 im italienischen Trentino).

Gemäss einer WWF-Studie hätte es in dieser Region Platz für 1000 Bären.

In Russland, Schweden, Finnland und Norwegen leben 40’000 Bären, in den Karpaten rund 8100 und im dinarischen Gebirge zwischen Slowenien und Albanien weitere ca. 2300.

1904 war der letzte Bär in der Schweiz erlegt worden.

Der Kanton Graubünden hat besondere Empfehlungen für die Jäger erlassen:

Beobachtungen und Bärenspuren melden, einer Spur aber nie folgen.

Bei Jagdhütten keine Essensresten hinterlassen.

Das Nachsuchen eines Tieres nach Einbruch der Dämmerung unterlassen.

Die Eingeweide eines erlegten Tieres nicht in der Nähe von bewohnten Hütten und Häusern liegen lassen.

Rund 5400 Jäger und einige Jägerinnen nehmen an der dreiwöchigen Bündner Hochjagd teil, die am 1. September begonnen hat.

Zwecks Bestandesregulierung ist es nötig, rund 4200 Hirsche zu erlegen.

Zum Abschuss frei sind ausserdem Gämsen, Rehe, Murmeltiere, Füchse, Dachse sowie Wildschweine, für die es keine Abschusspläne gibt.

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