
Lehrer lernen in den Ferien

Fast alle machen derzeit Ferien. Nicht aber rund 2200 Schweizer Lehrerinnen und Lehrer.
Sie besuchen freiwillig und oft auf eigene Rechnung die alljährlichen Fortbildungskurse, die dieses Jahr in La Chaux-de-Fonds stattfinden.
«La Ville de la Chaux-de-Fonds souhaite la plus cordiale bienvenue aux participants du 112ème Cour suisse de perfectionnement pédagogique.»
Gemeinderat und Erziehungsdirektor Didier Berberat ist froh, dass die 112. Lehrerfortbildungskurse nach Vaduz 2002 in diesem Jahr in La Chaux-de-Fonds (einige Kurse finden auch in Le Locle statt) Halt gemacht haben.
Rund 2200 Lehrerinnen und Lehrer sowie Kursleiter bringen nebst Abwechslung und Interesse an der Gegend auch einige Millionen Franken in Hotels und Gaststätten der Jurametropole.
Der Kanton wollte nicht
«Deshalb hat sich die Stadt La Chaux-de-Fonds auch aktiv darum bemüht, dass die Kurse dieses Jahr hier stattfinden», sagt Martin Seger, Geschäftsführer von «Schule und Weiterbildung Schweiz». Dieser privatwirtschaftliche, nicht subventionierte Verein organisiert seit über hundert Jahren die traditionellen Weiterbildungskurse für Pädagogen.
Seger sagt auch, dass der Kanton Neuenburg zuerst nichts von den Lehrerinnen und Lehrern wissen wollte und den Kursort La Chaux-de-Fonds ablehnte. Erst auf massiven Druck der Stadtregierung liess sich der Kanton erweichen und gab die Einwilligung.
So kam es, dass La Chaux-de-Fonds in den kommenden drei Wochen gut 2000 deutschsprachige Pädagogen beherbergt.
Breites Angebot
Angeboten werden einige hundert Weiterbildungskurse. Die Themen gehen querbeet durch das Spektrum der Schulwelt. Da findet sich der Kurs «Kein Stroh im Kopf» genau so wie «Gesprächsführung – eine Sache des Zuhörens» oder «Acrylfarben – das neue Ausdrucksmedium für die Schule».
Kursleiter hier ist der Künstler und Pädagoge Daniel Rohrbach. Seine Kurse sind bekannt und auch seit Jahren immer ausgebucht. «Für mich sind die Kurse auch ein gesellschaftliches Moment».
Neben der Weiterbildung sei für die Teilnehmer der Umstand genau so wichtig, dass sie für einige Tage die Schulstube verlassen und etwas für sich alleine tun könnten. «Ein Umstand, der für Lehrerinnen und Lehrer zunehmend wichtiger wird», sagt Rohrbach.
Grosse Missstimmung
Die alljährlichen Fortbildungskurse sind ein guter Gradmesser für die Befindlichkeit der Lehrer und Lehrerinnen in der Schweiz. «Das spüren wir schon bei der Zahl der Anmeldungen», sagt Martin Seger.
Bereits im vergangenen Jahr, als die Kurse in Vaduz stattfanden, hatte «Schule und Weiterbildung Schweiz» einen massiven Rückgang der Teilnehmerzahl hinnehmen müssen.
«Das ist auch in diesem Jahr so», sagt Seger. «Rund 2200 Anmeldungen und 200 Kursleiter sind ein schlechtes Ergebnis. Vor einigen Jahren hatten in Luzern rund 4000 Personen die Kurse besucht.»
Seger liess nach den schlechten Zahlen von 2002 die Gründe für den Rückgang untersuchen. Lag es am Angebot? Nein, lautet die Antwort.
Das Ergebnis liess laut Seger an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Das Schweizer Lehrpersonal ist ausgebrannt, mit den Kräften am Ende. «Wir fanden heraus, dass eine grosse Missstimmung herrscht», erläutert Seger.
Lehrer müssten immer mehr Erziehungsarbeit der Eltern übernehmen. Mehr und mehr würden Schulfächer wie Frühfranzösisch oder Frühenglisch eingeführt. Immer mehr gesellschaftliche Anliegen würden auf die Schule abgewälzt – von Zähne putzen bis zur Integration von fremden Kulturen.
Dabei strichen die Kantone die finanziellen Mittel immer weiter zusammen. Auch die Arbeit mit den Eltern werde immer aufwändiger. Und über allem stehe noch das schlechte Image des Lehrpersonals in der Öffentlichkeit.
«Die denken sich: Jetzt habe ich genug und besuche nicht noch in den Ferien einen Weiterbildungskurs, den ich mehrheitlich noch selber bezahle.»
Eine Folge davon: Rund 40 Prozent der Kurse mussten mangels Teilnehmerzahl abgesagt werden.
Informatik-Boom gebrochen
Das Kurs-Angebot muss laufend den Trends angepasst werden. In den vergangenen zehn Jahren wurden aussergewöhnlich viele Informatik-Kurse gebucht.
«Hier ist die Spitze gebrochen», sagt Martin Seger. Die Informatik werde zunehmend verdrängt durch Kurse aus den Bereichen Erziehung, Bildung, Unterricht und Persönlichkeitsbildung.
Diese Themen lägen im Moment im Trend und spiegelten die schon erwähnte persönliche Situation in der Schulstube wieder: «Wie mache ich mich stark gegen Verschleiss-Erscheinungen des Jobs.»
«Überleben im Schuldienst» müsse vermehrt gelernt werden. Der Lehrer beschäftige sich zunehmend mit sich selber. Das gehe dann auf Kosten der Weiterbildung, die den Schülern zu Gute kommen würde. «Wir spüren einen Rückgang der Buchungen für handwerkliche wie auch didaktische Weiterbildung.»
Bund fürs Leben
Nebst den eigentlichen Weiterbildungkursen werden zahlreiche Rahmenprogramme angeboten. Die «Kulturevents» umfassen Stadtführungen, Besuch der Museen und Konzerte aller Art.
Daneben spielt das «Gesellige» eine wichtige Rolle. Gedankenaustausch, Diskussionen. Oft werden aus Begegnungen auch Beziehungen. Manch ein Bund fürs Leben, oder einen Lebensabschnitt, wurde schon an den über hundert Jahren Weiterbildung geschlossen.
«Das kommt schon mal vor», gibt sich Organisator Martin Seger vorsichtig. «Im Moment ist mir allerdings diesbezüglich noch nichts zu Ohren gekommen», meint er listig und lacht.
swissinfo, Urs Maurer
600 Lehrpersonen aus der ganzen Schweiz sind zum Auftakt der 112. Schweizerischen Lehrerinnen- und Lehrer-Bildungskurse (SLK) nach La Chaux-de-Fonds gereist. Fast 2300 Personen werden bis am 25. Juli gestaffelt daran teilnehmen. Dafür opfern die Lehrkräfte einen Teil ihrer Ferien.
153 Kurse stehen den Lehrerinnen und Lehrern insgesamt offen. Angeboten werden Kurse zu einzelnen Schulfächern, aber auch zu umfassenden Problemen wie der Integration von Ausländern in der Schule, der Gruppenarbeit und der persönlichen Entwicklung.

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