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Europarat: Schlagzeilen-Politiker besucht die Schweiz

Auf Studienbesuch in Sachen Föderalismus: Jean-Claude Van Cauwenberghe. Keystone

Eine Mission des Europarats in Strassburg wird nächste Woche den Schweizer Föderalismus untersuchen. Pikant: Berichterstatter ist der skandalumwitterte belgische Politiker Jean-Claude Van Cauwenberghe.

Vom 25. bis zum 27. Mai erkundet eine Delegation des “Kongresses der Gemeinden und Regionen”, eines beratenden Gremiums des Europarats in Strassburg, den schweizerischen Föderalismus.

Die Delegation trifft sich dafür mit Behörden des Bundes sowie der Kantone Bern und Waadt. Es ist die erste derartige Mission, seitdem die Schweiz 2005 die “Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung” ratifiziert hat.

Gelegentlich werfen solche Missionen hohe Wellen, auch wenn die Empfehlungen wenig verbindlichen Charakter haben. So im letzten Jahr in Belgien, als eine Mission umstrittene Empfehlungen zum Sprachenstreit formulierte.

Bei der anstehenden Mission in der Schweiz ist es nun die Person des belgischen Berichterstatters, die für Irritationen sorgen könnte.

Jean-Claude Van Cauwenberghe war bis 2005 einer der mächtigsten Männer Walloniens: Als Bürgermeister der Stadt Charleroi kontrollierte er eine der Hochburgen der sozialistischen Partei.

Ab 2000 stand er als Ministerpräsident an der Spitze der wallonischen Regionalregierung. Doch fünf Jahre später wurde Van Cau, wie man ihn mit respektvollem Unterton nannte, von der Vergangenheit eingeholt.

Stolperstein sozialer Wohnungsbau

Eine Untersuchung zeigte, dass enge Vertraute von Van Cau den sozialen Wohnungsbau in Charleroi als Selbstbedienungsladen genutzt hatten. Wenige Stunden nachdem einer der Verantwortlichen der Wohnbaugesellschaft verhaftet worden war, musste Van Cau im Herbst 2005 als Ministerpräsident Walloniens zurücktreten.

Die belgische Justiz konnte Van Cau bisher zwar keine persönliche Bereicherung nachweisen. Aber in Belgien käme es wohl kaum jemandem in den Sinn, ihn als vorbildlichen Regionalpolitiker zu bezeichnen – zumal er und sein Umfeld auch seither immer wieder in die Schlagzeilen gerieten.

So ist im Rahmen einer Untersuchung zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge die Frage aufgetaucht, weshalb denn beim Sohn von Van Cau 2003 eine Zentralheizung zu unüblich günstigen Konditionen installiert worden war.

Van Cau Junior, ebenfalls ein sozialistischer Politiker, hat bisher nur eingestanden, dass er “von einem echten Freundschaftspreis” profitiert hatte.

Auch Van Cau Senior produzierte jüngst wieder Schlagzeilen. Ob der Hobbymaler dem wallonischen Parlament ein eigenes Bild verkauft oder eine sündhaft teure Parlamentarierreise nach Kalifornien rechtfertigt – er nervt die sozialistische Parteiführung.

Spesen- und andere Skandale

Denn diese muss sich kurz vor den Regionalwahlen am 7. Juni ohnehin für eine nicht abreissende Serie von Spesen- und sonstigen Skandalen in den eigenen Reihen rechtfertigen.

Die Frage, ob Van Cau ein geeigneter Berichterstatter über den schweizerischen Föderalismus ist, will man jedoch weder beim Europarat noch beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) beantworten.

Van Cauwenberghe sei der Präsident der belgischen Delegation beim “Kongress der Gemeinden und Regionen”, sagt die Leiterin der Kommunikationsabteilung, Renate Zikmund. “Als Kongress haben wir keinen Grund, jemanden auszuschliessen, so lange er ein ehrenwertes Mitglied der Delegation seines Landes ist.”

Auch EDA-Sprecher Georg Farago will die Berichterstatterwahl des Europarats nicht kommentieren. “Die Schweiz wird ausführlich über die Situation der regionalen Demokratie informieren, unabhängig davon, wen der Europarat als Berichterstatter bestimmt hat”, sagt Farago.

Simon Thönen, Brüssel, swissinfo.ch

Der Europarat feiert dieses Jahr sein 60-jähriges Bestehen.

Zur Zeit führt Slowenien den Vorsitz.

Das Land bemüht sich, den Reformprozess des Rats fortzusetzen, was den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betrifft.

Auch die Rechtsstaatlichkeit auf nationaler und internationaler Ebene soll gefördert werden.

Vom November 2009 bis Mai 2010 wird die Schweiz die Präsidentschaft übernehmen.

Im Februar 2010 wird voraussichtlich in Interlaken die Europarats-Konferenz zur Reform des Europäischen Gerichtshofs stattfinden.

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