Parlament kippt erstmals Rüstungsprogramm
Am hartnäckigen Widerstand des Nationalrates gegen zwei Transportflugzeuge ist das ganze Rüstungsprogramm 2004 gescheitert.
Damit ist erstmals seit der Gründung des Bundesstaates 1848 ein Rüstungsprogramm vom Parlament gekippt worden.
Zum ersten Mal seit der Gründung der Schweiz als Bundesstaat hat das Parlament ein Rüstungsprogramm gekippt. Und zum zweiten Mal in der Geschichte steht die Schweiz ohne Rüstungsprogramm da. Schon einmal, 1994, hatte die Schweiz wegen der Beschaffung der FA-18-Flugzeuge auf ein Rüstungsprogramm verzichtet.
Noch nie wurde ein Programm völlig gekippt, wenn es in andern Jahren auch schon kräftig gestutzt worden war. So strichen die Räte 1997 die Kampfwertsteigerung von 6 der beantragten 16 Panzerhaubitz-Abteilungen vom Programm.
Am Donnerstag nun scheiterte das Rüstungsprogramm 2004 am nationalrätlichen Widerstand gegen zwei Transportflugzeuge. Zuvor hatten sowohl die parlamentarische Einigungskonferenz als auch der Ständerat darauf beharrt.
97 zu 82 Stimmen im Nationalrat
Der Entscheid fiel gegen den Vorschlag der Einigungskonferenz zum Rüstungsprogramm 2004 im Nationalrat mit 97 zu 82 Stimmen.Nötig gewesen wären wegen der Ausgabenbremse mindestens 100 Ja-Stimmen.
Nach der Debatte im Parlament hat Verteidigungsminister Samuel Schmid die Verantwortung für das Nein zum Rüstungsprogramm 2004 dem Parlament zugeschoben. Es sei einem politischen Kalkül zum Opfer gefallen, sagte Schmid.
Eine Integration der unbestrittenen Teile in das Rüstungsprogramm 2005 werde geprüft. Da das Programm 2004 allein am Antrag zum Kauf von zwei Transportflugzeugen scheiterte, ist nach Einschätzung von Schmid das Nein zum Programm kein Entscheid gegen die Armee.
Vergebliche Forderungen zum Armeebekenntnis
In der Debatte hatten Vertreter der Freisinnigen und der Christdemokraten vergeblich ein Bekenntnis zur Armee und ein Ja zum gesamten Rüstungsprogramm 2004 im Umfang von 518 Mio. Franken gefordert.
FDP-Präsident Fulvio Pelli erinnerte wie andere Redner der bürgerlichen Mitte an die 78%-Mehrheit, welche sich in der Volksabstimmung für die Armee XXI ausgesprochen hatte.
Der Appenzell-Innerrhoder Christdemokrat Arthur Loepfe warf der Schweizerischen Volkspartei (SVP) vor, sie habe sich mit ihrer damaligen Abstimmungsniederlage nie abgefunden.
Eidgenössische Abstimmungen: alles Wichtige während der Abstimmungsphase für Sie auf den Punkt gebracht. Abonnieren Sie unseren Newsletter.
Vorwurf destruktiven Verhaltens
Sie bekenne sich zu einer Verteidigungs-Armee, lehne aber gleichzeitig die Minenräumpanzer ab. Die SVP fröne dem Grundsatz, eine «Schweizer Armee, die ins Ausland geht, ist nicht meine Armee» und verhalte sich darum rein destruktiv.
Der Glarner Sozialdemokrat Werner Marti warf der Einigungskonferenz Starrsinn vor. Sie und der Bundesrat hätten die Kräfteverhältnisse unterschätzt und auf den Flugzeugen beharrt. Damit spielte sie «auf tutti» und müsse auch den Totalverlust hinnehmen.
«Unheilige Allianz»
Der Zuger Grüne Jo Lang wies seitens seiner Fraktion den Vorwurf «unheiliger Allianzen» zurück. In einer säkularen Gesellschaft gebe es keine «heiligen» und damit auch keine «unheiligen» Allianzen.
Es handle sich sehr wohl um eine «unheilige Allianz», sagte CVP-Präsidentin Doris Leuthard gegenüber swissinfo. «Das Volk hat sich für die Auslandeinsätze entschieden. Hier erwarte ich den Respekt vor diesem Volksentscheid.»
Anders sieht es Ueli Maurer, der Parteipräsident der SVP: «Das Rüstungsprogramm hat eine Signalwirkung, weil damit ein Ausbau unserer Auslandeinsätze angestrebt wurde.» Er hoffe, dass der Bundesrat im Juni ein abgespecktes Programm bringe.
Schwächung der Milizarmee
Nach der Abstimmung kündigte Caspar Baader, SVP, eine Motion an. Darin verlangt er, dass der Bundesrat die unbestrittenen Punkte des Rüstungsprogramms 2004 im Sommer erneut vorlegen soll.
Der Fraktionspräsident der FDP, Felix Gutzwiller, bezeichnte gegenüber swissinfo den Entscheid als «wirklich ein komplett falsches Zeichen, weil es die Milizarmee weiter schwächt».
Laut Hans-Jörg Fehr, dem Parteipräsidenten der SP, ist das Rüstungsprogramm 2004 an der Sturheit des Ständerats gescheitert. Fehr hofft, dass Verteidigungsminister Schmid daraus die richtigen Folgerungen zieht: «Dass er mit der SP und den Mitte-Parteien die Armeepolitik entwickeln muss.»
Offiziersgesellschaft ist entsetzt
Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) zeigt sich über das Scheitern des Rüstungsprogramms entsetzt. Sie kritisiert in ihrer Medienmitteilung aber auch das VBS.
Die Parlamentsmehrheit habe das Feld den Gegnern von Auslandeinsätzen und Armeeabschaffern überlassen, ohne Rücksicht auf die hohe Zustimmung des Volkes zur Armee XXI und das eigene Armeeleitbild, kritisierte die SOG.
Da letzteres weiterhin massgebend sei, erwarte die Gesellschaft vom Bundesrat nun ein neues Rüstungsprogramm, das auf klar definierten Leistungsaufträgen basiere und die daraus für die Armee wesentlichen Beschaffungen wie das Leitsystem für den F/A-18 oder Laserschuss-Simulatoren enthalte.
swissinfo und Agenturen
Einigungskonferenzen gibt es seit 1902. Sie werden einberufen, wenn es nach drei Beratungen zwischen den Räten immer noch Divergenzen gibt.
Nur selten scheitert eine Vorlage nach der Einigungskonferenz.
Vor dem Rüstungsprogramm 2004 scheiterten die Krankenversicherungs-Gesetz-Revision im Dezember 2003 und eine Vorlage im Jahr 1961.
Rüstungsprogramm 2004:
Luftraumüberwachungs- und Einsatzleitsystem Florako: 268 Mio. Fr.
Betriebsstoff-Betankungs-Container: 11 Mio. Fr.
Ballistischer Helm: 35 Mio. Fr.
Genie- und Minenräumpanzer: 129 Mio. Fr.
Transportflugzeug: 109 Mio. Fr.
Simulationsunterstützung für Gefechtsübungen: 95 Mio. Fr.
Ursprünglicher Gesamtkredit: 647 Mio. Fr.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch