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Schweizer Stimmvolk sagt zweimal Ja

Keystone

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Gunsten der Invalidenversicherung (IV) wird mit 54%, die Abschaffung der allgemeinen Volksinitiative mit 68% angenommen. Für die IV-Vorlage war es aber wegen des nötigen Ständemehrs fast bis zum Schluss eine Zitterpartie.

Weil beide Vorlagen eine Änderung der Bundesverfassung verlangten, war für ein Ja nicht nur das Stimmenmehr, sondern auch das Mehr der Stände (Kantone) nötig.

Dieses war der Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Gunsten der Invalidenversicherung fast zum Verhängnis geworden.

Lange hielten sich Ja- und Nein-Kantone die Waage und sorgten damit für Spannung an einem ansonsten eher flauen Abstimmungswochenende.

Schliesslich sprachen sich 12 der 23 Standesstimmen für die Sanierung der IV aus. Das Ständemehr kam damit mit dem knappstmöglichen Resultat zu Stande.

Die Stimmbeteiligung lag gemäss der Bundeskanzlei bei 39,7% der stimmberechtigten Bevölkerung.

Auf 7 Jahre befristet

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist auf 7 Jahre, also auf die Zeit von 2011 bis Ende 2017, befristet. Mit einer 6. IV-Revision, also einer Reihe von Massnahmen zur Ausgabensenkung, soll die Versicherung ab 2016 nachhaltig saniert werden.

Ursprünglich war vorgesehen, die Mehrwertsteuer bereits ab 1. Januar 2010 zu erhöhen.

In einer Hauruck-Übung hatte das Parlament Mitte Juni 2009 dem Druck der Wirtschaft nachgegeben und das Inkrafttreten der Mehrwertsteuer-Erhöhung um ein Jahr verschoben.

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Invaliden-Versicherung

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Invalidenversicherung (IV) ist eine obligatorische Versicherung. Sie sichert den Versicherten die Existenzgrundlage, wenn sie invalid werden. Dies geschieht mittels Eingliederungsmassnahmen oder Geldleistungen. Die IV subventioniert auch speziell eingerichtete Institutionen. Die Versicherung wird zu rund 40% von Beiträgen der Erwerbstätigen und Arbeitgeber finanziert. Der Rest stammt aus öffentlichen Geldern.

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Breite Siegerkoalition

Zu den Siegern gehören neben der Landesregierung und Behinderten-Organisationen auch die Bundesratsparteien mit Ausnahme der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Christian Levrat, Präsident der Sozialdemokratischen Partei (SP), sprach von einem Sieg der Vernunft. Die bittere Pille der Mehrwertsteuererhöhung sei der einzige Weg aus dem Finanzdilemma der IV.

Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) zeigte sich ebenfalls zufrieden und betonte gleichzeitig die Notwendigkeit, die IV nun mit der 6. Revision nachhaltig zu sanieren.

Entsprechend äusserten sich auch die Wirtschaftsverbände, die sich nach der Verschiebung der Mehrwertsteuer-Erhöhung um ein Jahr hinter die Vorlage gestellt hatten.

Toni Brunner, Präsident der SVP, die alleine gegen alle anderen Parteien und Verbände angetreten ist, bezeichnete das Abstimmungsergebnis zur IV-Zusatzfinanzierung als Achtungserfolg für die Partei, auch wenn das Ergebnis für die Partei negativ ausgefallen sei.

Regierung zufrieden

Die Annahme der Vorlage freute besonders auch den abtretenden Innenminister Pascal Couchepin, der damit seine Bundesratskarriere mit einem Abstimmungserfolg abschliessen kann.

Couchepin hatte die Vorlage stets als wichtige Wegmarke auf dem Weg zur Sanierung der in Schieflage geratenen Sozialwerke bezeichnet. “Wir konnten das Volk überzeugen”, sagte er nach der Abstimmung.

Es gehe nun in der 6. IV-Revision darum, eine Politik für die Menschen zu machen und auf einem Mittelweg zu bleiben, der die Finanzierung der IV und der anderen Sozialwerke langfristig sichere: “Wir wollen keine eiskalte Politik,” betonte Couchepin.

Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf zeigte sich erfreut über die Abschaffung der “gutgemeinten” Allgemeinen Volksinitiative. Bei ähnlichen Vorlagen solle in Zukunft vorgängig überlegt werden, ob sie überhaupt in der Praxis angewandt werden können, so Widmer-Schlumpf.

“Wir sind froh, dass wir dieses Kapitel abgeschlossen haben und nicht einen neuen Versuch unternehmen müssen, den Verfassungsartikel umzusetzen.”

Zu kompliziert

Mit der Einführung der allgemeinen Volksinitiative sollte dem Volk die Möglichkeit geboten werden, in der Form einer allgemeinen Anregung sowohl Verfassungs- wie auch Gesetzesänderungen verlangen zu können.

Bundesrat und Parlament waren aber zum Schluss gekommen, dass dieses Instrument wieder aus dem Katalog der Volksrechte gestrichen werden soll, weil für die Umsetzung keine praktikable Lösung gefunden wurde.

Die allgemeine Volksinitiative blieb toter Buchstabe und wurde nie angewendet.

Die Einführung dieses neuen Volksrechts war am 9. Februar 2003 bei der eidgenössischen Abstimmung noch mit 70,3 Prozent Ja-Stimmenanteil sowie von allen Ständen angenommen worden.

Der christlichdemokratische Nationalrat Ruedi Lustenberger, der sich als einziger Parlamentarier gegen die Abschaffung der allgemeinen Volksinitiative ausgesprochen hatte, zeigte sich enttäuscht über das klare Ja des Stimmvolks. Den Hauptgrund sieht er im flauen Abstimmungskampf.

Die Linke ist erfreut über die Abschaffung der allgemeinen Volksinitiative. Ein Volksrecht abzuschaffen sei nie angenehm, doch in diesem Fall habe das Instrument nicht angewendet werden können, sagten die Nationalräte Louis Schelbert (Grüne) und Didier Berberat (SP).

swissinfo.ch und Agenturen

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Zusatzfinanzierung-IV: 54,5%
Stände: 12 Ja, 11 Nein

Verzicht auf allgemeine Volksinitative: 67,9%
Stände: 23 Ja, 0 Nein

Stimmbeteiligung: 39,7%

15’000 Personen konnten gemäss Bundesratssprecher André Simonazzi in den Kantonen Zürich, Neuenburg und Genf elektronisch abstimmen.

In Genf waren erstmals auch die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer zur elektronischen Abstimmung zugelassen.

Sie machten die Hälfte aller Teilnehmenden beim E-Voting aus, was beweise, dass dies ein attraktives Mittel für die Auslandgemeinde sei, so Simonazzi.

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