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Das Coronavirus hat dem Glarner Textildruck den Rest gegeben

Das Glarner Tüechli - in Zeiten der Corona-Pandemie ein schmucker Mundschutz. KEYSTONE/CHRISTIAN BEUTLER sda-ats

(Keystone-SDA) Schon lange wegen der Billigkonkurrenz aus dem Ausland unter Druck, hat das Coronavirus dem Glarner Textildruck den Todesstoss versetzt. Die Pandemie beendete eine Epoche von 280 Jahren, die den Kanton prägte und die Bevölkerung zu Pionieren machte.

Die Hiobsbotschaften kamen diesen Frühling Schlag auf Schlag. Zuerst informierte die Textilfabrik Jenny Fabrics in Ziegelbrücke, eine Weberei, sie stelle den Betrieb nach 186 Jahren Ende August ein. Dann ging die Mitloedi Textildruck in den Konkurs. Das wirtschaftliche Umfeld für die produzierende Schweizer Seidenindustrie sei “brutal”, schrieb die Geschäftsleitung.

Im Hochpreisland Schweiz ist das Geschäft mit Textilien schwierig geworden. Die Margen sind knapp, und Aufträge für die Grundauslastung wandern nach Asien ab. Sie führe seit drei Jahren einen Überlebenskampf, schrieb die Mitloedi Textildruck. Die Covid-19-Krise habe den Auftragseingang zusammenbrechen lassen.

Der Konkurs der Mitloedi Textildruck kostet 35 Arbeitsplätze. Es wurde eine Ausproduktion bis Ende August unter dem Namen Altra Management organisiert. In der Textilfabrik Jenny Fabrics verlieren 96 Angestellte ihre Arbeit. Die Geschäftsleitung gab an, einen Sozialplan auszuarbeiten und die Mitarbeitenden korrekt zu verabschieden.

Es begann 1740 in Glarus

Mit dem Verschwinden der letzten beiden industriellen Textilunternehmen geht im Glarnerland nach 280 Jahren eine Epoche des Textildrucks zu Ende. Sie begann 1740 mit der ersten Textildruckerei im Hauptort Glarus, die von Johann Heinrich Streiff errichtet wurde.

Die Stoffindustrie umfasste Spinnereien, Webereien sowie den Textildruck. Sie kam von Westen, von Frankreich her, in den Gebirgskanton. Mülhausen (Mulhouse) im Elsass war ein Zentrum für bedruckte Stoffe. Es bestanden aber auch Verbindungen von Glarus zu Textilhäusern in St. Gallen, Zürich, Basel und im Thurgau.

“Ein ungeheurer Mut”

Textilien wurden hergestellt oder bedruckt, weil die Bedingungen im engen Tal stimmten. Es waren Arbeitskräfte vorhanden sowie genügend Quellen, deren Wasser für die Spülbäder gebraucht wurde.

Es herrschte viel Unternehmergeist im Tal, wie Bettina Giersberg, Direktorin des Museums des Landes Glarus in Näfels, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA betonte. “Ungeheuren Mut” hätten jene Leute gehabt, die ins Geschäft mit den Textilien eingestiegen seien.

Die Hochblüte erlebte die Stoffindustrie von 1850 bis 1860. 21 Fabriken standen im Tal. Das Glarnerland als erstes industrielles Zentrum der Schweiz war in der Produktion und im Verkauf verbunden mit der ganzen Welt, belieferte Grosshändler im Osmanischen Reich, in Italien und Südostasien.

6000 Personen bei einer Gesamtbevölkerung von 21’000 arbeiteten in der Textilindustrie – Männer, Frauen und Kinder. Die Bedingungen waren hart. In den Fabriken war es stickig-heiss, es wurde mit Farben und Säuren gearbeitet, Dämpfe wurden eingeatmet.

Pioniere an der Landsgemeinde

Der erste Streik 1837 und immer wieder Eingaben an die Landsgemeinde führten 1848 zum Erlass des ersten Fabrikgesetzes nicht nur in der Schweiz, sondern auch auf dem europäischen Festland. Die demokratische Institution der Landsgemeinde machte es möglich.

Verboten wurde damals, dass Kinder unter 12 Jahren in den Fabriken arbeiteten. Ausserdem wurde der 13-Stunden-Arbeitstag eingeführt. Inspektoren überprüften die Einhaltung des Gesetzes, das in den Folgejahren wiederholt revidiert und mit dem Verbot der Nacht- und Sonntagsarbeit sowie der Kinderarbeit ergänzt wurde.

Neue Verwendung für das Glarner Tüechli

Jenny, Trümpi, Streiff, Tschudi oder Balmer heissen bekannte Familien, die mit Textilien Geschäfte machten. Sie sorgten dafür, dass ein gewisser Wohlstand im Tal Einzug hielt.

Zeugen dieser industriellen Vergangenheit sind noch präsent. Zu sehen sind Villen, gebaut von Textilunternehmern oftmals auf kleinen Anhöhen, aber auch leer stehende Fabrikhallen und die sogenannten “Hänggitürme”, an und in denen Stoffe getrocknet wurden.

Das bekannte Glarner Tüechli ist somit nicht das einzige Überbleibsel. Es kam aber unverhofft zu neuem Verwendungszweck: als schicker Mundschutz in Zeiten der Corona-Pandemie.

Museumsdirektorin Giersberg kuratiert im Dachgeschoss des Freulerpalastes in Näfels eine neue Dauerausstellung zur Geschichte des Glarner Textildrucks. Sie hat einen Tipp, wie die Villen der Textilbarone und die Fabrikgebäude, die meist nahe am Ufer der Linth stehen, erkundet werden können: auf einer ganz normalen Zugfahrt von Ziegelbrücke nach Linthal zuhinterst im Glarnerland.

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

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