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Das IntelliBike ist tot, es lebe das IntelliBike

IntelliBike 2001: Mit über 100 Sachen durch das Outback. Spirit of Bike

Das futuristische und spektakuläre IntelliBike des Schweizer Teams "Spirit of Bike" aus dem Jahr 2001 steht still, und das für immer.

Die Schöpfer der High-Tech-“Waffe” monieren, dass der Markt für Fahrräder mit Elektro-Hilfsmotor (E-Bikes) zusammengebrochen sei – wegen des tiefen Benzinpreises.

Das futuristische E-Bike (Fahrrad mit zusätzlichem Elektromotor) hatte eigentlich alles, um zu einer grossen Schweizer Erfolgsstory in der Entwicklung für nachhaltige Mobilitätsformen zu werden. Mit IntelliBike hatte das Ingenieurs-Team “Spirit of Bike” nichts weniger als die Krone aller bisherigen Schöpfung für muskelgetriebene Zweiräder zum Ziel.

Die Tüftler der Bieler Hochschule für Technik und Architektur (HTA) erreichten es: Der Mix aus High-Tech, Innovation, Interdisziplinarität, Nachhaltigkeit, Lifestyle und professioneller Kommunikation rückte das Gefährt im November 2001 an der World Solar Challenge ins Scheinwerferlicht.

Mit einem 66er-Schnitt durchs Outback

Spirit of Bike war das einzige Team, das in Australien mit Fahrrädern antrat. Wie die zehn Schweizer Radlerinnen und Radler den Kontinent in einem pannenlosen “Husarenritt” in nur fünf Tagen und drei Stunden durchquerten, liess Fachwelt und Öffentlichkeit aufhorchen.

Als die Schweizer in Adelaide über die Ziellinie fuhren, hatten sie die 3025 Kilometer auf dem Stuart Highway mit einer Durchschnitts-Geschwindigkeit von 66 km/h zurückgelegt und unterwegs einen Topspeed von über 100 km/h erreicht. Das rief nach Rock ‘n Roll statt Peter Hinnens “Mir si mit em Velo da.”

Zu optimistische Markteinschätzung

Doch die Begeisterung allein reichte nicht aus, den Spirit of Bike von Australien aus in die Welt zu tragen. Im Gegenteil: Das Projekt IntelliBike kam quasi von 100 auf Null zum Stehen. Was löste diese Vollbremsung aus? “Der Markt für E-Bikes ist völlig zusammengebrochen”, konstatiert August Pfluger, der “Vater” der IntelliBike-Idee. “Sämtliche Entwicklungen der Branche in den letzten 5 bis 7 Jahre hatten einzig auf dem Prinzip Hoffnung gegründet.”

Der Kommunikations-Profi und profunde Kenner der E-Bike-Branche wollte mit der Technologie- und Kommunikations-Plattform IntelliBike “eine nachhaltige Mobilität promoten”. Für die Realisierung holte er sich die innovativsten Köpfe mit dem grössten Know-how an Bord, die es in der Branche gab: Die Professoren Andrea Vezzini und Heiri Schwarzenbach, beide von der HTA Biel, Ersteren als Gesamtleiter, Letzteren als Verantwortlichen für die Technik.

“Aufhören wie Sportler”

Sowohl für den Kommunikator Pfluger als auch für den Techniker Schwarzenbach ist IntelliBike somit Geschichte. Und wird es “in der Form, so wie es war”, für immer bleiben.

Schwarzenbach rekapituliert: “Als wir in Adelaide ankamen, war es für uns vorbei, und das war auch gut so. Wir konnten wie ein Sportler auf dem Höhepunkt aufhören.” Damit war die Mission für ihn erfüllt, zumindest fast: “Wir haben die technischen Prinzipien entwickelt und müssten noch Feinarbeit zur Serienreife leisten. Aber solange der Benzinpreis auf einem derart tiefen Niveau ist, können wir das marktwirtschaftlich vergessen.”

Daraus resultiere ein allgemeiner Stillstand in der Solarfahrzeug-Entwicklung. So sei beispielsweise das holländische Siegerfahrzeug von 2001 mit einem Solarmobil-Motor der Ingenieurschule Biel aus dem Jahr 1993 unterwegs gewesen. “Der Wettbewerb hat industriell keine Bedeutung mehr”, analysiert Schwarzenbach den Ist-Zustand. Die HTA Biel werde sich deshalb künftig nicht mehr in eigener Regie an der World Solar Challenge beteiligen.

Blick zurück ohne Zorn

Aber rückwärtsgerichtete Larmoyanz ist nicht das Ding der Forscherseele Schwarzenbachs. “IntelliBike war ein Extremprojekt, und als solches für uns der absolute Idealfall, weil wir kompromisslos und in kürzester Zeit entwickeln konnten.” Die Erbauer hatten das IntelliBike als Gesamtpaket immer als reines Experimental-Fahrzeug gesehen.

Gebote von Interessenten bis 50’000 Franken für eines der insgesamt fünf hergestellten Geschosse wurden deshalb dankend abgelehnt. Eine Kommerzialisierung hatte lediglich für einzelne Komponenten zur Debatte gestanden.

Erinnerung im Büro

Vom “ausgeweideten” IntelliBike in seinem Büro hat Schwarzenbach bereits den Bogen zur nächsten Entwicklungsstufe gespannt. “Die verwendeten Lithium-Polymer-Batterien sind für einen Langzeit-Betrieb noch nicht ausgereift. Deshalb setzen wir jetzt unsere Ressourcen vor allem im verwandten Bereich der Brennstoffzellen-Entwicklung ein.” Angestrebt würden Kleinstzellen für Laptops bis hin zu Batterien für Fahrzeuge, beispielsweise für das Bieler Elektromobil SAM.

“Ein Segment der Entwicklung ist auch die Leistungsgrösse für den Betrieb eines Fahrrades”, sagt Schwarzenbach weiter. “Und da wird es einen direkten Anknüpfungspunkt zum IntelliBike geben, denn vom Volumen her passt die Brennstoffzelle perfekt in das Bike.” Resultate stellt er für 2004 und 2005 in Aussicht.

Quasi in der Schublade auf Abruf bereit sind Radnabenmotor und Motorensteuerung aus dem IntelliBike. “Beides ist problemlos für die Serie adaptierbar. Für den hiesigen Einsatz im Geschwindigkeits-Bereich von 30 Stundenkilometern und mit Steigungen müsste allerdings ein Getriebe eingebaut werden”, so der Techniker. Das wäre aber sowohl vom Gewicht als auch von den Kosten her kein Problem.

“Jedes Projekt hat seinen Zyklus”

Auch Pfluger hat sich durch die Einbremsung des IntelliBikes nicht den Schneid abkaufen lassen. “Projekte haben ihre Zyklen, sind mal vorbei und abgeschlossen”, resümiert er. Und es schwingt auch Erleichterung mit. Nach Australien sei bei ihm nämlich die Luft buchstäblich draussen gewesen.

“Das Projekt lief zwei Jahre lang am Limit. Für sämtliche Probleme mussten wir immer innert kürzester Zeit Lösungen finden.” Und um das Budget von gut einer Million Franken zusammenzukriegen, hatte er über 1000 Telefongespräche führen und Hunderte von Mails schreiben müssen.

Ein nach Australien ins Auge gefasster Stundenweltrekord-Versuch mit den beiden Schweizer Cracks Thomas Frischknecht und Nicole Brändli musste Pfluger schweren Herzens fallen lassen. Die 500’000 Franken, die das Unternehmen verschlungen hätte, vermochte er nicht mehr aufzutreiben.

Doch blitzt bei ihm plötzlich wieder die alte Begeisterung für “sein Kind” auf: “Das Projekt war der Hammer, weil es Sport, Technologie und Nachhaltigkeit verlinkte. Wir konnten zeigen, dass Technologie ’geil’ sein kann.”

swissinfo, Renat Künzi

Die ehemalige Ingenieurschule Biel (heute HTA) war ein Kompetenzzentrum für den Solarmobil-Bau.
Spirit of Biel gewann 1990 die World Solar Challenge, 1987 und 1993 gab es zweite Plätze.
Anfang 90er Jahre fuhr die Spirit of Biel mehrere Weltrekorde.
Der tiefe Benzinpreis verhinderte den Durchbruch der Solarfahrzeuge.
Die HTA Biel ist heute ein Kompetenzzentrum für die Entwicklung der zukunftsträchtigen Brennstoffzelle.

IntelliBike war ein rollendes interdisziplinäres Labor für die Bereiche Ingenieurswesen, Elektrotechnik, Informatik, Aerodynamik und Werkstoff-Entwicklung.

Ein von einer Lithium-Polymer-Batterie angetriebener Radnabenmotor unterstützte die Fahrer.

Die Batterien wurden mit Strom aus Solarzellen aufgeladen, die auf einem Begleitfahrzeug waren.

Sensoren “lasen” die momentane Leistungsfähigkeit der Fahrer sowie das Profil der Strasse.

Dank einer Steuerung unterstützte der Motor die Fahrer immer optimal (“intelligente” Technologie).

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