
«Dann hat mir der Fahrer in den Schritt gefasst»
Sie wollten nur sicher nach Hause – doch für viele Frauen endete der Heimweg im Taxi mit Belästigungen oder Übergriffen. 17 Betroffene erzählen, was ihnen passiert ist. Die Dunkelziffer ist hoch, Schutzmechanismen greifen selten.
«Nimm ein Taxi, dann kommst du sicher nach Hause», heisst es oft. Ein sicherer Heimweg – dafür gaben uns unsere Eltern Geld mit in den Ausgang.
Doch diese vermeintliche Sicherheit entpuppt sich für viele Frauen als trügerisch: Gerade der Weg mit dem Taxi, Uber oder Bolt ist für viele kein sicherer Nachhauseweg – und das viel häufiger, als man denkt.
Im März 2025 wurde ein Taxifahrer in Dielsdorf verurteilt. Der Vorwurf: Schändung seines weiblichen Fahrgastes. Das war kein Einzelfall.
Belästigung auf Bestellung
Die Geschichten ähneln einander. Viele betroffene Frauen erzählen von anzüglichen Kommentaren, aufdringlichen Fragen («Wohnst du alleine?», «Hast du einen Freund?») und körperlichen Übergriffen.
Einige wurden von den Fahrern zu Kussversuchen gedrängt, anderen wurde zwischen die Beine gefasst. Manche wurden nach ihrer Adresse ausgefragt – und leben seither mit dem mulmigen Gefühl, dass der potenzielle Täter jederzeit zurückkommen könnte.

Selina erinnert sich: Nach dem Ausgang brachte der Fahrer zuerst ihre Freundin nach Hause. Als sie alleine im Taxi sass, fing der Fahrer an, sie mit intimen Fragen zu bedrängen.
Schliesslich schlug er vor, gemeinsam zur Tankstelle zu fahren, um Drinks zu holen – «er wisse ja jetzt, wo sie wohne». Selina bekam Angst. Sie schaffte es, auszusteigen und rannte in ihre Wohnung. Noch Tage später fühlte sie sich bedroht.
Das Gefühl des Ausgeliefertseins
«Dieses Ausgeliefertsein, das – vielleicht betrunkene – Passagierinnen im Taxi haben, ist vergleichbar mit einem Aufwachraum im Spital», sagt Anwältin Lea Herzig. Man sei dann speziell vulnerabel und dem Taxifahrer ähnlich ausgeliefert wie dem Spitalpersonal.
«Und dann hat er mir in den Schritt gegriffen.»
Maike, 42, hat einen Übergriff durch einen Taxifahrer in Zürich erlebt
Dieses Gefühl kennen die Betroffenen. Maike, 42 Jahre alt, berichtet von einem Übergriff durch einen Taxifahrer in Zürich.
Nach dem Ausgang habe sie sicher nach Hause kommen wollen und sei deshalb in ein Taxi gestiegen.
«Der Fahrer hat mir Komplimente zu meinem Aussehen gemacht und mir signalisiert, dass das seine letzte Fahrt heute sei.»
Beim Bezahlen der Taxifahrt sei es dann zum Übergriff gekommen: «Er hat sich umgedreht und mich zuerst am Bein berührt. Und dann hat er mir in den Schritt gegriffen.» Daraufhin sei sie schnell ausgestiegen und sehr aufgebracht in ihr Haus hineingegangen.

Heute ärgere sich Maike noch, dass sie den Vorfall nicht angezeigt habe. Sie habe noch daran gedacht, sich das Nummernschild des Autos merken zu wollen, schaffte dies aber nicht.
«Jetzt weiss der, wo ich wohne»
Eine Angst, die immer wieder ausgesprochen wird: dass die übergriffigen Fahrer nach den Fahrten die Adressen der Fahrgäste kennen. Die 23-jährige Luna aus Zürich wollte ebenfalls nach dem Ausgang nach Hause, mit einem Uber-Fahrer.
Als sie zu Hause ankamen, habe ihr der Fahrer die Hand auf das Bein gelegt und ihr signalisiert, sie könne die Fahrt auch mit Sex «bezahlen».
Sie sagt: «Ich bin aus dem Auto ins Haus gerannt, habe alle Vorhänge zugezogen und gehofft, dass er wegfährt.» Ihr sei nur ein Gedanke durch den Kopf gegangen: «Scheisse, der weiss jetzt, wo ich wohne.»
Zahlen zu sexualisierter Gewalt in der Schweiz
Ende März 2025 ist die neue Kriminalstatistik des Bundesamtes für Statistik erschienen: Es gab im Jahr 2024 insgesamt 9386 erfasste Straftaten gegen die sexuelle Integrität. Das sind 10 Prozent mehr als im Vorjahr.
Fälle, die sich in Taxis oder Fahrdiensten ereignen, sind schwierig zu erfassen. Laut des Bundesamts für Statistik wurden zwischen 2020 und 2024 insgesamt 43 Fälle sexualisierter Gewalt mit der Örtlichkeit «Taxi» erfasst.
Diese Zahl sei laut BFS aber zweifelhaft: Viele Straftaten werden mit unterschiedlichen Örtlichkeiten – wie z.B. «Fahrzeug» – erfasst. Und: Es handelt sich nur um polizeilich angezeigte Fälle. Die Dunkelziffer dürfte laut BFS enorm sein.
Quelle: Bundesamt für Statistik BFS
Ein Alltagsproblem, das kaum jemand benennt
17 Frauen berichten uns von ihren Erfahrungen. Sie erzählen von Situationen, in denen sie sich hilflos, eingeschüchtert oder ausgeliefert fühlten.
Viele von ihnen haben nie Anzeige erstattet oder eine Meldung beim Fahrdienst gemacht – aus Scham, aus Angst, aus Resignation. Eine der Betroffenen, die 32-jährige Nina, formuliert es so: «Belästigung ist einfach Alltag.»
Die hohe Dunkelziffer
Laut Expertinnen wie Anwältinnen und Opferberater sei das Dunkelfeld bei sexualisierter Gewalt gross. Dadurch lassen sich belastbare Daten schwer erheben. Viele Betroffene melden Vorfälle wie Belästigungen und Übergriffe nicht. Das führt laut Prof. Dr. Nora Markwalder dazu, dass es eine verzerrte Wahrnehmung über die tatsächliche Häufigkeit von diesen Fällen gibt.
Sie forscht zum Dunkelfeld an der Universität St. Gallen. 2022 erschien die letzte Dunkelfeld-Forschung, laut der Frauen zwischen 18 und 34 Jahren besonders häufig von sexuellen Übergriffen betroffen sind – meistens in Form von unerwünschten Annäherungen, anstössigen Bemerkungen oder körperlicher Belästigung.
Quelle: «Crime Survey 2022», Kompetenzzentrum für Strafrecht und Kriminologie, Universität St. Gallen
Die Übergriffe haben konkrete Folgen: Viele der Betroffenen fahren heute kaum noch ohne Begleitung Taxi. Sie meiden Fahrdienste, reduzieren ihren Alkoholkonsum oder versuchen, sich stets in Gruppen zu organisieren. «Heute fahre ich ausschliesslich mit Taxifahrerinnen nach Hause», sagt die 34-jährige Luzia aus St. Gallen.
Eine andere Betroffene, die 35-jährige Ada aus Bern, hat sich einen bestimmten Fahrer ausgesucht – ihren «Taxifahrer des Vertrauens», bei dem sie sich sicherer fühlte – bis auch dieser begann, sie sexuell zu bedrängen. «Ich fühlte mich machtlos und unsicher», sagt sie.
So reagieren Taxi-Unternehmen
Taxiunternehmen und Fahrdienste betonen ihre oberste Priorität: Sicherheit. Vor allem Fahrdienste wie Uber und Bolt verweisen auf technische Schutzfunktionen wie Live-Standortfreigabe, Notruf-Schaltfläche und Identitätsprüfungen.
Uber hat Regeln für ihre Fahrer, die sogenannten «Community Guidelines»: Uber verfolge eine Nulltoleranzpolitik gegenüber sexueller Belästigung und Übergriffen. Dazu gehören unter anderem unerwünschte Annäherungen, anzügliche Kommentare oder Flirten.
Will man als Betroffene von Belästigungen den Fahrer in der Uber-App melden, steht die Melde-Kategorie «sexuelle Belästigung» allerdings nicht zur Verfügung.
Auf Fragen nach konkreten Konsequenzen für übergriffige Fahrer, fehlender Rückmeldung an Betroffene oder dem systemischen Ausmass solcher Fälle geht Uber nicht direkt ein.
Auch die Nachfrage nach der fehlenden Meldeoption für sexuelle Belästigung bleibt unbeantwortet. Stattdessen werden technische Sicherheitsfunktionen betont und auf interne Meldeprozesse verwiesen.
Kantonale Regelungen für Taxifahrer
Für Taxifahrer und Taxifahrerinnen gibt es in der Schweiz Vorgaben und Kontrollen, die kantonal geregelt werden. In den meisten Kantonen müssen die Fahrer eine Prüfung ablegen, sie werden polizeilich registriert und sie reichen einen aktuellen Strafregisterauszug ein, der teilweise alle fünf Jahre erneuert werden muss.
Quellen: Kantonspolizei Bern, Kantonspolizei Basel, Kantonspolizei Schaffhausen, Kantonspolizei St. Gallen, Kantonspolizei Graubünden, Amt für Mobilität Zürich
Mehrere angefragte Taxi-Unternehmen in Schweizer Städten betonen, dass es in ihren Betrieben keine oder kaum bekannte Fälle sexualisierter Gewalt durch Fahrer gäbe.
Als Sicherheitsproblem sehen viele weniger die traditionellen Taxi-Unternehmen, sondern vor allem App-basierte Fahrdienste wie Uber oder Bolt – dort fehle es an Kontrolle, Ausbildung und klarer Verantwortung.
Um die Sicherheit zu gewährleisten, setzen die Taxi-Unternehmen auf polizeilich registrierte und geschulte Fahrer, GPS-Überwachung, identifizierbare Fahrzeuge und interne Kontrollprozesse.
Sicherheitslücke erst nach Kritik erkannt
Patrick Frei, Geschäftsführer von Bolt Schweiz, erklärt, dass es bei Bolt keine spezifischen Verhaltensregeln für die Fahrer gäbe. Man setze auf «Menschenkenntnis».
Dass sich zuvor straffällig gewordene Fahrer bei Bolt registrieren können, das könne man laut Patrick Frei nicht ausschliessen: Bolt führe keine detaillierten Backgroundchecks ihrer Fahrer durch.

Mittlerweile habe Bolt neu eine Kontrolle des Strafregisters geplant: «Derzeit führen wir für alle Fahrer, die die Plattform in der Schweiz nutzen, eine Überprüfung des Strafregisters ein.» Wann diese Praktik eingeführt werde, ist noch unklar.

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