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Wie KI die Überwachung aktiver Vulkane revolutioniert

Luftaufnahme einer Vulkaninsel
Luftaufnahme des Grossen Kraters der Insel Vulcano im Äolischen Archipel. Der Krater ist ein geschlossenes «Pfropfsystem», das diesen Ort besonders interessant für die wissenschaftliche Forschung macht. Douglas Stumpp

Ein Team der Universität Genf hat mit künstlicher Intelligenz eine 3D-Darstellung des Inneren einer Vulkaninsel nördlich von Sizilien erstellt – ein Meilenstein im Risikomanagement.

Seit 2021 erlebt Vulcano, die nördlichste Insel des Äolischen Archipels vor der Küste Siziliens, einen touristischen Aufschwung. Wer die Insel schon einmal besucht hat, weiss, dass sie unter den Vulkaninseln nördlich von Messina den besten Zugang zu ihrem Hauptkrater bietet.

In knapp einer Stunde Fussmarsch zwischen Ginsterbüschen, Vulkanfelsen und Lavasand erreicht man den Gran Cratere, eine riesige Senke mit einem Durchmesser von etwa 500 Metern.

Daraus steigen zahlreiche Öffnungen mit Dampffahnen auf. Diese so genannten Fumarole sind die einzigen sichtbaren Zeichen einer unter den Füssen der Besucherinnen und Besucher brodelnden Welt.

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Ein Foto, ein Moment, um die Landschaft auf sich wirken zu lassen: Vom Gipfel aus kann man den Archipel in seiner ganzen Pracht bewundern – mit den Inseln Stromboli, Alicudi, Filicudi, Lipari und Salina im Vordergrund.

Dann geht es zurück zum Meer, und man nimmt dieses Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens mit, das man hat, wenn man den Krater eines aktiven Vulkans gesehen hat.

Eine Frau steht auf einem Vulkankraterrand und blickt auf das Meer und andere Inseln
Der Gipfel des Vulkans bietet atemberaubende Ausblicke auf den Äolischen Archipel. Matteo Martelli

Ein brodelnder Untergrund

«Fumarolen sind der oberste Teil eines strukturierten Hydrauliksystems, das eine Tiefe von bis zu zehn Kilometern erreichen kann», sagt Matteo Lupi, ausserordentlicher Professor am Departement für Geowissenschaften der Universität Genf.

«Sie sind der Gradmesser eines Vulkans und beschreiben dessen Zustand, beispielsweise durch eine mehr oder weniger hohe Konzentration von flüssigem CO₂, das in Gegenwart von Magma freigesetzt wird.»

Neben der Analyse der Fumarolen nutzt die Vulkanüberwachung seismische Signale, die in unmittelbarer Nähe der Oberfläche erfasst werden. Auch wenn einige Arbeiten die innere Struktur im grossen Massstab definiert haben, ist es nur wenigen gelungen, die tieferen Dynamiken zu erforschen.

Eine von der Universität Genf in Zusammenarbeit mit dem italienischen Nationalinstitut für Geophysik und VulkanologieExterner Link (INGV) erstellte 3D-Kartierung liefert nun ein beispielloses Bild vom Inneren eines Vulkans.

«Die verwendete Technologie (eine Tomografie, Anm. d. Red.) ist seit Anfang der 2000er-Jahre verfügbar. Die eigentliche Neuheit ist die Verwendung einer so grossen Anzahl von Sensoren und die Verarbeitung der Daten mit künstlicher Intelligenz», sagt Lupi, der diese Arbeit geleitet hat.

Zum Vergleich führt der Forscher aus: «Wir erleben hier einen Übergang vom Ultraschall zur Magnetresonanztomografie»: Hochauflösende Bilder können bisher unbekannte Details aus den Tiefen der Erde enthüllen.

Was macht die Insel Vulcano besonders?

Seit Ende September 2021 gibt es auf der Insel eindeutige Anzeichen für ein Erwachen des Vulkans, das mit der Bewegung von Magma und Gas im Untergrund zusammenhängt.

«Wir wurden vom INGV in Catania benachrichtigt. Wir haben unseren Transporter beladen und waren innerhalb von drei Tagen vor Ort, um unsere Instrumente in einer vulkanischen Umgebung zu testen.» Das Ziel von Lupi und seinem Team war, zu verstehen, was das Erwachen eines Vulkans auslöst.

Die ursprünglich für die kostengünstige geothermische Prospektion entwickelte Methode wurde bereits in verschiedenen Gegenden der Schweiz angewendet, darunter auch im Kanton Tessin. Auf diese wartete nun eine Anwendung in zugänglicher vulkanischer Umgebung.

Vor Ort installierten die Forschenden fast 200 spezielle, hochmoderne Sensoren, «seismische Knoten» genannt, die einen Monat lang die natürlichen Bodenvibrationen über einen breiten Frequenzbereich aufzeichneten.

Es ist beispielsweise bekannt, dass sich bestimmte Wellen – so genannte sekundäre seismische Wellen – langsam ausbreiten, wenn sie flüssigkeitsreiche Gebiete durchqueren. Dadurch kann Magma im Gestein sichtbar gemacht werden.

Grafischer Querschnitt durch einen Vulkan
Ein vertikaler Schnitt durch das 3D-Modell mit den jeweiligen S-Wellen-Geschwindigkeiten. Universität Genf

Anschliessend wurde diese riesige Datenmenge vom Supercomputer Yggdrasil der Universität Genf verarbeitet. Dieser war zuvor mit einer grossen Menge ähnlicher Daten aus aller Welt trainiert worden. Ohne künstliche Intelligenz wäre es unmöglich gewesen, diese Ergebnisse in so kurzer Zeit zu erzielen.

Professor Lupi betont, dass diese innovative Technik auf die Genialität von Douglas Stumpp zurückgeht, Doktorand am Departement für Geowissenschaften und Hauptautor der Studie.

Eine Revolution im Risikomanagement

Die ersten Analysen im Fall von Vulcano haben gezeigt, dass die Flanke des Vulkans in Richtung Lipari abrutscht und Risse aufweist, die mit unter Druck stehenden Flüssigkeiten gefüllt sind.

«Wenn man versteht, wo das System am fragilsten ist, kann man die Risikozonen im Fall eines Ausbruchs präziser identifizieren und die Evakuierungen besser koordinieren», sagt Lupi.

«Im konkreten Fall von Vulcano wissen wir heute, dass die Ebene der Insel relativ sicher ist, während der Hafenbereich und das Campinggebiet unbedingt gemieden werden sollten.»

Blick auf eine Landschaft im Morgengrauen
Der untere Teil der Insel Vulcano im Morgengrauen. Matteo Martelli

Steht ein Ausbruch bevor?

Eine präzise Vorhersage des Ausbruchs des Vulkans Vulcano ist derzeit noch nicht möglich. Das neue, revolutionäre Modell ermöglicht jedoch eine genaue Überwachung der Aktivität.

«Man kann sich das wie eine Art Zeitraffer vorstellen: Wir machen heute ein Foto, ein weiteres in einem Monat, und bei auftretenden Deformationen können wir die Überwachung intensivieren, um Veränderungen im hydraulischen System zu verstehen – mit anderen Worten: um herauszufinden, wo der nächste Ausbruch stattfinden wird», so Lupi.

Sicher ist: «Vulcano ist ein aktiver Vulkan. Sein letzter Ausbruch ereignete sich zwischen 1888 und 1890. Ein weiterer könnte in geologisch kurzer Zeit stattfinden.»

Die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichte StudieExterner Link gibt dank künstlicher Intelligenz neue Hoffnung für die über 800 Millionen Menschen, die in der Nähe der 1500 aktiven Vulkane der Erde leben.

In Zukunft könnten solche Werkzeuge für die globale Vorhersage vulkanischer Aktivitäten von entscheidender Bedeutung sein – zusammen mit dynamischen und anpassungsfähigen Evakuierungsplänen.

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Übertragung aus dem Italienischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub

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