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Bundesrat steht mit Hilfspaket im Gegenwind

Auch der Tourismusbranche will der Bundesrat unter die Arme greifen. Keystone

Voreilig gehandelt, mit grosser Kelle angerichtet: Von der Schweizer Presse erntet der Bundesrat für sein angekündigtes Hilfspaket, mit dem die Schweizer Exportindustrie die Frankenstärke abfedern soll, mehrheitlich Kritik.

«2 Milliarden!», ruft der Blick aus. Wer jetzt aber auf eine Schimpftirade gegen die Regierung wartet, hat sich getäuscht. «Die Währungskrise macht den Bundesrat mutig» und «Wichtiges Zeichen für den Werkplatz Schweiz»: Die Boulevardzeitung gehört zu den wenigen Stimmen aus dem Schweizer Blätterwald, welche dem Bundesrat für sein Hilfsprogramm den Rücken stärken.

Das Paket sei nicht nur inhaltlich richtig: «Es ist auch ein wichtiges psychologisches Signal: dass dieser Bundesrat sich für die Realwirtschaft einsetzt.» Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann sei als ehemaliger Maschinenindustrieller «ein bodenständiger Pragmatiker mit einer ausgeprägten Sensibilität für den Werkplatz Schweiz und den Erhalt von Jobs». Ende der Lobeshymne von Blick.

Le Temps schreibt ebenfalls von einem «starken Zeichen» des Bundesrats, das momentan vor allem psychologisch wirke. Während die Nationalbank gegen den starken Franken sehr rasch Massnahmen ergreifen könne, sei dies dem Bundesrat nicht möglich. Es sei deshalb nicht erstaunlich, dass das angekündigte Paket «keine einzige kurzfristige Massnahme» enthalte.

Auch die Tribune de Genève und 24 Heures begrüssen «die Rauchzeichen auf Papier». Es bleibe aber abzuwarten, ob die Massnahmen schnell und effizient umgesetzt werden könnten.

Wer kriegt, wer nicht? 

Kritischer tönts aus den anderen Redaktionen. «Verschiesst der Bundesrat jetzt zu viel Pulver?», fragt die Südostschweiz. Zwar litten die vom Wechselkurs abhängigen Branchen, aber der gesamten Volkswirtschaft gehe es noch gut. «Man kann sich fragen, ob es nicht besser wäre, mehr Reserven für noch schlimmere Zeiten auf der Seite zu halten», so die Südostschweiz mit mahnendem Unterton.

Zudem wäre es sehr aufwendig, bei jedem einzelnen Betrieb zu prüfen, ob er nun wegen der Frankenstärke in die Bredouille gekommen sei.

Während andere das Paket als Schnellschuss kritisieren, ruft La Liberté zu mehr Tempo auf. «Der Bundesrat hängt die Tourismusbranche und die Exportindustrie an die Sauerstoffflasche. Um Stellen zu retten, muss der Erfolg aber sofort spürbar sein», fordert die Zeitung aus Freiburg.

«Wir erleben eine Art verspätete Generalmobilmachung gegen einen spektakulären, lokalen Effekt einer globalen Krise», schreibt L’Agefi. Die Wirtschaftszeitung aus Lausanne sieht die Massnahmen in einem Zusammenhang mit dem aufkommenden Wahlherbst. «Mehrere Parteien und Regierungsmitglieder stehen unter Druck, da scheint die Solidarität zu spielen: Man denkt an fast alle.»

«Exporteure sollen zurückzahlen» 

«Umstrittener Geldsegen aus Bern», titeln Tages-Anzeiger und Bund. Sie stossen sich insbesondere daran, dass der Bundesrat betroffene Unternehmen vorübergehend von der Zahlung der Sozialabgaben befreien will.

«Warum aber soll der Bund den Unternehmen die Versicherungsbeiträge gleich schenken? Um ihnen in dieser schwierigen Zeit zu helfen, genügt es, die Beiträge aufzuschieben. Die Exporteure und Hoteliers könnten das Geld in guten Zeiten nachreichen.»

So müsse sich der Bundesrat vorwerfen lassen, er handle nach dem Motto: die Gewinne privat, die Verluste dem Staat, kritisieren Tages-Anzeiger und Bund.

Tabu-Bruch 

«Prinzipien im Wallis vergessen», schulmeistert die Neue Zürcher Zeitung und lässt eine ordnungspolitische Lektion an die Adresse der Regierung folgen: «Mit direkten Subventionen – dazu zählen auch selektive Abgabenreduktionen oder ein Steuererlass – an bestimmte Unternehmen würde der Bundesrat ein Tabu brechen. Bis anhin war die Schweiz stolz, keine Industriepolitik betreiben zu müssen.»

Was mache ein Exporteur, der die «Franken-Krise» dank einem kleinen staatlichen Zustupf und Kurzarbeit knapp überlebe, in der nächsten Krise? «Eine kluge Wirtschaftspolitik unterbindet den Strukturwandel nicht, sondern lenkt ihn in eine produktive und zukunftsfähige Richtung», erinnert die NZZ.

Die Ausführungen der freisinnigen Traditionszeitung aus Zürich bringt der Landbote auf die Kurzformel: «Bund greift in den Markt ein.»

Der Corriere del Ticino anerkennt zwar als positiv, dass der Bundesrat gehandelt habe, hebt aber ebenfalls den Warnfinger. «Es muss verhindert werden, dass die Hilfe aus Bern exzessive Formen annimmt.» Zudem müsse die Wirkung messbar sein, fordert die Zeitung aus der Südschweiz.

Am Mittwoch hat der Bundesrat, die Schweizer Regierung, im Grundsatz ein Massnahmenpaket zur Abfederung der Folgen des Frankenhochs für total 2 Milliarden Franken beschlossen.

Die Hauptstossrichtungen umfassen direkte Kostensenkungen für den Exportsektor (etwa durch die einmalige Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen), Zusatzgelder für den Tourismus sowie die Förderung von Innovation, Forschung und Infrastruktur.

Der Bundesrat will das Programm noch im Rahmen der Rechnung von 2011 finanzieren: Aufgrund einer neuen Hochrechnung erwartet die Regierung derzeit (vor Berücksichtigung des Stützprogramms) einen Rechnungsüberschuss 2011 von 2,5 Milliarden Franken statt wie bisher ein Defizit von 600 Millionen Franken.

Im Weiteren schlägt der Bundesrat eine Verschärfung des Kartellgesetzes vor mit einem grundsätzlichen Verbot von harten Kartellabsprachen sowie von Preis- und Gebietsabreden zwischen Produzenten und Händlern.

Zudem will die Regierung der Wettbewerbskommission und dem Preisüberwacher für vorerst zwei Jahre vier zusätzliche Stellen bewilligen. Diese Massnahmen sollen den Wettbewerb und damit die verstärkte Weitergabe von Wechselkursgewinnen bei den Importpreisen fördern.

Die Schweizerische Nationalbank hat am Mittwoch zur Bekämpfung des Frankenhochs eine nochmalige Erhöhung der Liquidität am Geldmarkt beschlossen.

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