Die Genfer Kardone – ein Gemüse mit Charakter
Die Festtage am Jahresende markieren den grossen Auftritt der Genfer Kardone. Ein Ruhm, der sich allerdings fast ausschliesslich auf die Region beschränkt. Denn obwohl das Gemüse historisch wie gastronomisch eine Besonderheit ist, bleibt es eine lokale Grösse.
Gibt es ein typisch schweizerisches Weihnachtsgericht? Eine einfache Antwort darauf gibt es kaum – zu vielfältig sind die Traditionen, und der globalisierte Truthahn hat sich längst auch in der Schweiz durchgesetzt. In Genf dagegen ist die Sache klar: Hier gehört die Kardone untrennbar zur Festtagszeit.
Die Kardone ist ein distelartiges Gemüse, verwandt mit der Artischocke, bei dem die fleischigen, gebleichten Blattstiele gegessen werden; sie schmecken ähnlich wie Artischocken, man kennt es auch unter dem Namen Cardy oder Kardy.
Mitgebracht von protestantischen Flüchtlingen
Die Kardone stammt aus dem Mittelmeerraum und war bereits den Griechen und Römern bekannt. Damals galt sie sogar als Delikatesse. Auch aus den neolithischen PfahlbautenExterner Link der Schweiz sind frühe Sorten nachgewiesen. Bereits im 16. Jahrhundert soll sie in Genf auf den Tisch gekommen sein.
Die Sorte, die heute als typisch gilt – die «silberne, stachelige Kardone von Plainpalais» – wurde jedoch erst später heimisch. Wie die Artischocke gelangte sie Ende des 17. Jahrhunderts nach Genf – im Gepäck der Hugenotten, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahr 1685 vor religiöser Verfolgung flohen.
Die Genfer Kardone geht mutmasslich auf den besonders stacheligen «Cardon de Tours» zurück. «Die Produktion ist eng mit dem Aufbau des Genfer Gemüseanbaus durch aus Frankreich geflüchtete Protestanten verknüpft», hält das Kulinarische Erbe der SchweizExterner Link fest.
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«Die Cervelat ist das Schweizer Produkt par excellence»
Heute ist die Kardone in Europa kaum noch anzutreffen. Nur im Kanton Genf und vereinzelt im angrenzenden Waadtland wird noch eine stachelige Sorte kultiviert.
Aufwendiger Anbau, ungewöhnliche Pflanze
Dass die stachelige Kardone so selten geblieben ist, liegt vor allem an seiner arbeitsintensiven Produktion. Da wären zunächst die Stacheln, die die Ernte und Verarbeitung zu einem heiklen Unterfangen machen. Wer je versucht hat, einen Kaktus umzutopfen, ahnt, worum es geht.
Zudem benötigt die Verwandte von Artischocke und Topinambur viel Platz. Die Pflanzen wachsen zu ausladenden Horsten, erreichen eine Höhe von bis zu zwei Metern und breiten sich einen Meter im Durchmesser aus.
Vor allem aber verlangen Anbau, Ernte und Verarbeitung viel Aufmerksamkeit. Besonders zeitaufwendig ist das «Bleichen» der Pflanzen – ein Verfahren, bei dem den Pflanzen Licht entzogen wird, die Photosynthese gestoppt wird und die essbaren Teile somit zarter und weniger bitter werden. Bei Endivien, Lauch oder Spargel ist dieser Vorgang einfacher: Ein kleiner Erdwall genügt. Bei der grossgewachsenen Kardone funktioniert das nicht.
Finish in der Finsternis
Um die Pflanzen vor Licht zu schützen, werden sie auf den Feldern mit schwarzen Plastikfolien ummantelt. Alternativ kommt eine traditionelle Methode zum Einsatz: Die Kardonen werden mitsamt Wurzelballen ausgegraben und im dunklen Kellerboden neu eingepflanzt. Dort stehen sie drei Wochen lang in engen Reihen – abgeschirmt von jeder Lichtquelle.
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Bevor die Kardonen verkauft werden können, folgt ein weiterer arbeitsintensiver Schritt. Die grünen, stacheligen Blätter werden entfernt, sodass die fleischigen Rippen, die sogenannten «Cardes», die an breite Stiele erinnern, übrig bleiben.
Die Genfer Kardone wird im Winter frisch auf lokalen Märkten angeboten oder das ganze Jahr über in Einmachgläsern. Nach sorgfältigem Reinigen, Schälen und Kochen werden die Rippen meist als Gratin serviert.
«Der Cardon-Gratin ist – zusammen mit Birnenrissoles – ein unverzichtbarer Bestandteil der Genfer Weihnachtstradition. Der Grossteil der Jahresproduktion wird zu diesem Anlass und in den Wochen davor und danach verzehrt», schreibt das Kulinarische Erbe der Schweiz.
Ob aufgrund seiner Geschichte, seiner Seltenheit oder seines aufwendigen Anbaus: Die Genfer Stachel-Kardone ist zu einem starken Symbol regionaler Identität geworden. Im Jahr 2003 erhielt sie als erstes Schweizer Gemüse eine geschützte Ursprungsbezeichnung (AOP), was einen Meilenstein für die lokale Esskultur darstellt.
Rares, lokales Produkt
«Die Kardone verdient es, auch über die Kantonsgrenzen hinaus die feinsten Gaumen zu erfreuen», findet die Genfer Gemüseproduzentenvereinigung. In der Praxis bleibt dies jedoch Wunschdenken, denn die Jahresproduktion umfasst nur wenige Dutzend Tonnen – die Stachel-Kardone bleibt ein rares, zutiefst lokales Produkt.
Wer sie probieren möchte, reist am besten direkt an das Ende des Genfersees. Oder er pflanzt sie im eigenen Garten. Aber Vorsicht: Die Stacheln sind nicht zu unterschätzen!
Editiert von Samuel Jaberg. Übersetzt mithilfe von KI: Balz Rigendinger
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