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Das richtige Mass

Das Ehepaar Baumann, Gastschreiber der deutschsprachigen Redaktion. zvg

Wie gross muss ein Bauernbetrieb sein, um überleben zu können. Wie rationell muss er betrieben werden?

Diese Fragen beschäftigen die Landwirtschaftspolitik weltweit seit Jahren. Sie werden meistens überall gleich beantwortet: grösser und rationeller als heute!

Im Département Indre, in Zentralfrankreich, haben zehn Landwirte ihre bereits ansehnlichen Ackerbaubetriebe zu einem Grossbetrieb von 3000 Hektaren zusammengelegt und sich gleichzeitig ganz aus der eigentlichen Hofarbeit in die strategische Führung zurück gezogen.

Bauern-Verwaltungsrat

Sie bilden zusammen so etwas wie einen Verwaltungsrat, der sich wöchentlich in einem Sitzungszimmer versammelt, um alle für diese grosse Exploitation wichtigen Fragen zu diskutieren und zu entscheiden.

Auch treffen sich die Besitzer regelmässig zu Feldbegehungen, um an Ort und Stelle die notwendigen oder schon erledigten Kulturmassnahmen besichtigen zu können.

Daneben haben sie Zeit, um anderen Aktivitäten nachgehen zu können.

Denn die eigentliche Arbeit auf dem Feld wird von sieben Traktorführern und drei Chauffeuren erledigt, selbstverständlich alle mit geregelten Arbeitszeiten und mit Handy und Fahrzeugen ausgerüstet.

Gemanagt werden diese Feldarbeiter von zwei Technikern, die dem „Bauernverwaltungsrat» direkt unterstellt und verantwortlich sind. Diese Techniker, die selber auch nicht Hand anlegen und nur vom Büro aus bauern, sind also die operative Leitung des Unternehmens.

Denn es hat sich bald gezeigt, dass nicht jeder der zehn bisherigen Bauern auch noch ein wenig befehlen kann. Darum haben sie sich darauf geeinigt, dass ausschliesslich die Techniker den Leuten auf dem Feld Befehle erteilen dürfen.

Ein moderner Grossbetrieb

Aus ursprünglich zehn vielseitigen Familienbetrieben mit ein bis zwei Arbeitskräften und dezentralen Entscheidungsstrukturen entstand ein Grossbetrieb mit zehn Feldarbeitern ohne Entscheidungsbefugnis, zwei Technikern plus Sekretariatspersonal für die operative Leitung und eine zehnköpfige Bauernkommission die ausschliesslich für strategische Fragen zuständig ist.

Die organisatorisch zusammengelegten zehn Höfe liegen im Umkreis von 30 km. Um die logistischen Probleme der vielen Materialverschiebungen zwischen den Ländereien lösen zu können, mussten Lastwagen angeschafft werden.

Dazu kommt ein moderner, neuer Maschinenpark mit grossen Traktoren, Mähdreschern, Bodenbearbeitungsgeräten usw.

Arbeitsteilung

Neu bei diesem Betrieb ist vor allem die extreme Arbeitsteilung: hier nur noch Traktorfahren, da nur noch Büro- und Kopfarbeit.
Im industriellen Gemüsebau zeichnen sich ähnliche Entwicklungen ab.

Ganze Landstriche werden dafür unter Plasticplanen gelegt. Die arbeitsintensive Pflanz- und Erntearbeit wird an billige, schlecht qualifizierte Lohnarbeiter abgetreten. Geleitet werden solche Unternehmen von der Stadt aus.

Keine Spur mehr von bäuerlicher, naturnaher, vielseitiger Arbeit mit Pflanzen und Tieren in einer reizvollen Landschaft.

Die Sinnfrage

Ist diese arbeitsteilige Grosslandwirtschaft wirklich wünschbar? Muss die Rationalisierung wirklich so weit getrieben werden, dass die Einen nur noch manuell und die Anderen nur geistig arbeiten?

Der Bauernberuf hatte bisher den Vorteil, dass er sehr vielseitig ist. Hand- und Kopfarbeit, Tätigkeiten in der freien Natur und im Stall, planen und ausführen lösen sich regelmässig ab.

Strategiefragen lassen sich sehr gut während dem Traktorfahren wälzen. Andererseits gibt es nach anstrengender Büroarbeit nichts Schöneres, als wieder mal aufs Feld zu fahren, um den Kopf etwas durchzulüften.

Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn einige Kleinbauern ihren Milchviehbestand zusammenlegen, um kostengünstig einen neuen Gemeinschaftsstall realisieren zu können. Dies ist eben auch hier eine Frage des (menschlichen) Masses.

Die industrielle, grossflächige, einseitige Produktion von Nahrungsmitteln an Stelle des angepassten, kleinräumigen, ganzheitlichen Anbaus von Lebensmitteln auf bäuerlichen Familienbetrieben mit abwechslungsreichen, vielseitigen Tätigkeiten ist nicht zukunftsfähig.

Beispiel DDR

Das hat sich schon vor dreissig Jahren in der damaligen DDR gezeigt. Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, sogennante LPGs umfassten schon damals mehrere tausend Hektaren, und sind, wie man heute weiss, samt und sonders, wenn auch aus verschiedenen Gründen, gescheitert.

Langfristig wird nur eine Landwirtschaft die Kopf, Hand und Herz verbindet und vernünftige Dimensionen hat, erfolgreich sein können. Strategische Entscheide, die auf dem Acker getroffen werden, müssen nicht zum vornherein schlechter sein, als die im Büro gefällten!

Grösser ist nicht immer besser. Das ist in Frankreich nicht anders als in der Schweiz.

Ruedi und Stephanie Baumann

Die Meinung des Autorenpaars muss nicht mit jener von swissinfo übereinstimmen.

Stephanie Baumann, Jahrgang 1951, war Berner Kantonsrätin und Nationalrätin für die Sozialdemokraten. Zudem amtete sie als Verwaltungsrats-Präsidentin des Berner Inselspitals.

Ruedi Baumann, Jahrgang 1947, ist gelernter Bauer und Agronom. Er war Gemeinderat, Kantonsrat, Nationalrat und Präsident der Grünen Partei Schweiz.

Stefanie und Ruedi Baumann haben zwei Söhne. Die Familie bewirtschaftete 28 Jahre lang einen Bauernbetrieb in Suberg, im Berner Seeland, bevor sie im Jahr 2003 nach Frankreich auswanderte.

Heute leben die Baumanns in der Gascogne, 100 km westlich von Toulouse, und sind als Biobauern auf ihrem eigenen Hof tätig.

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