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Schweizer Abenteurer am Baikalsee

Daniel Lehmann in seinem Segler der 'Nite'-Klasse. swissinfo.ch

Der Westschweizer Daniel Lehmann hat es als erster geschafft, den 31'000 Quadratkilometern grossen Baikalsee auf einem Eissegler zu überqueren.

Unser Korrespondent Gregor Sonderegger hat den Abenteurer auf seiner einwöchigen Reise begleitet.

Diesen Traum wollte sich Daniel Lehmann schon lange erfüllen: Das unendliche Eis des Baikalsees mit seinem Eissegelboot zu überqueren.

Viele haben es schon versucht, aber bisher mussten alle wieder umkehren. Für den 63jährigen Hotelier aus Le Pont am Lac de Joux gab es keine Alternative: «Wir müssen es schaffen.»

Und dies mit riesigem Aufwand: Eine Crew des russischen Ministeriums für Notfallsituationen begleitet uns mit drei Schneefahrzeugen und drei Schlitten mit über einer Tonne Material: Zelte, Essen, 600 Liter Benzin. Wir werden eine Woche von der Zivilisation abgeschnitten sein. Alles muss mitgenommen werden.

Tag 1: Wo ist der Wind?

Am Sonntag, den 30. März ist es soweit. Die Schlitten sind gepackt, die ganze Crew wartet in Listvianka am südlichen Ende des Baikalsees voller Ungeduld: Daniel Lehmann und seine beiden russischen Freunde auf ihren Eissegelbooten, die drei professionellen Retter vom Ministerium und ein Begleiter der Agentur, die alles für Daniel organisiert hatte.

Natürlich muss in Russland mit Wodka auf die Expedition angestossen werden. Doch der Wodka hilft nicht, kein Wind. Es bleibt uns nichts anderes übrig: Die Boote müssen von den russischen Schneefahrzeugen, den «Buranen», abgeschleppt werden.

Die «Burane» sind so etwas wie Schneemotorräder, die einen Höllenlärm machen, ständig kaputtgehen, aber auch leicht repariert werden können. Sie sind deshalb ideal für unsere Expedition, obwohl sie sehr schwer zu fahren sind.

Schon nach den ersten Kilometern zeigt sich: Dies wird keine leichte Tour. Wir kommen nur langsam voran, alle paar Kilometer riesige Eisbrüche oder Stellen, wo das Eis sehr dünn ist. Wir müssen die Boote tragen und die Burane mit einem Höllentempo übersetzen, damit sie nicht versinken oder stecken bleiben.

Das Eis des Baikalsees ist nicht ungefährlich, jedes Jahr versinken Dutzende von Fahrzeugen. Das weiss auch Michail Margatsch vom Ministerium für Notfallsituationen, und so hat er grossen Respekt: «Gleich hier in der Nähe versank letztes Jahr ein Auto im Wasser. Zwei Menschen starben, eine junge Frau und ein Mann. Die Frau konnten wir aus 200 Metern Tiefe bergen, den Mann haben wir bis heute nicht gefunden.»

Trotz des langsamen Tempos kommen wir am Abend an unserem ersten Etappenziel an, einem Fischer- und Jägerhaus 80 km von Listvianka entfernt.

Tag 2: Mit Windkraft

Daniel Lehmann ist aufgeregt: endlich Wind. Die Jägerin, die uns in der Nacht beherbergt hat, will unbedingt einmal im Boot von Daniel sitzen. «Super, so was wäre toll für mich.» Doch dann geht es ab, endlich mit Windkraft.

Unsere Begleiter vom Ministerium für Notfallsituationen versuchen wie abgemacht per Funk die Zentrale zu erreichen, ohne Erfolg. Wir sind weit weg von jeder Zivilisation.

Das letzte Stück gegen Abend müssen die drei Eissegler wieder abgeschleppt werden. Dabei geht der Eissegler von Alexander Kopilov ein erstes Mal kaputt: Der Motorschlitten übersieht einen Eisbruch, Alexander Kopilov rast hinein, das Boot bricht auseinander.

«Kein Problem, das kriegen wir hin», sagt Alexander Kopilov. Und mit einem Band und etwas Fantasie geht das Boot wieder auf Kurs. Daniel ist beeindruckt: «Die Russen sind unglaubliche Improvisations-Talente: Gib ihnen zwei Schrauben und sie bauen dir ein Haus.»

Am Abend ist Daniel Lehmann völlig durchfroren, und ausgerechnet heute werden wir auf dem Eis übernachten. Unser Zelt hat zum Glück für Daniel einen Ofen. Auf 1,40 Meter dickem Eis verbringen wir die Nacht.

Tag 3: Gegen Abend Action

Schon fast ein vertrautes Bild: Unsere Begleiter versuchen die Zentrale zu erreichen, als Antwort hören wir nur ein Pfeifen. Auch der Mast des Segelbootes hilft nicht als Antenne.

Daniel Lehmann und seine beiden russischen Kollegen segeln los. Alexander Kopilov und Daniel Lehmann sind seit fünf Jahren sehr eng befreundet, beides begeisterte Eissegler. «Alexander ist für mich so etwas wie ein grosser Bernhardiner», schmunzelt Daniel Lehmann, «er hilft mir, wo er kann, übersetzt für mich, da ich kein Russisch verstehe und führt mich durch die schwierigen Stellen im Eis.»

Alexander (oder Sascha) Kopilov sagt dazu: «Daniel ist für mich wie ein jüngerer Bruder, dem ich beistehen muss, und wenn ich Daniel besuche, dann bin ich sein jüngerer Bruder.»

Gegenseitiger Respekt und gegenseitiges Vertrauen sind sehr wichtig bei so einer Expedition. Denn die Eissegler sind manchmal Dutzende von Kilometern von den Begleitfahrzeugen entfernt. Da müssen sich Daniel und Sascha aufeinander verlassen können.

Bei der Insel Olchon kurz vor unserem Etappenziel bläst der Wind heftig. Da können sich unsere Eissegler nicht mehr halten, ab geht die Post.

Tag 4: Der Traum wird wahr

Starker Wind, strahlender Sonnenschein und fast ebenes schwarzes Eis. «Black ice is beautiful!!», jubelt Daniel, und los geht’s. Bei solchen Verhältnissen können die Eissegelboote bis zu 140 Stundenkilometer erreichen. «Es ist einfach traumhaft, aber man muss auch sehr vorsichtig sein. Hier gibt es sehr viele Eisblöcke und bei solchen Beschleunigungen passieren die schlimmsten Unfälle.»

Tag 5: Die Expedition bleibt stecken

Ratlose Gesichter bei unseren Eisseglern. Je weiter wir nach Norden vorstossen, desto dicker wird die Schneedecke und desto weniger Wind weht.

Daniel Lehmann hat extra Skis aus der Schweiz mitgebracht, denn auch das Abschleppen wir immer schwieriger, die Kufen des Eisseglers bleiben im tiefen Schnee stecken.

Nachdem die Skis montiert sind, geht es voran. Wir schaffen es gerade noch bis zu unserem nächsten Etappenziel. Doch das Benzin wird knapp, wir müssen dringend Nachschub organisieren.

Am Abend übernachten wir bei Fischern. Heftige Diskussionen. Wie soll es weitergehen? Schaffen wir das letzte Stück? Daniel will weitermachen. «Wir müssen ans Ziel kommen, auch wenn wir vielleicht etwas länger brauchen.»

Ein Lichtblick: Die Funkverbindung klappt, wir verabreden, dass wir beim nächsten Etappenziel unsere Kanister nachfüllen können.

Tag 6: Müssen wir umkehren?

An Segeln ist jetzt nicht mehr zu denken, ein Ski nach dem anderen geht kaputt. Der Schnee wird immer dicker. Jetzt bleiben sogar unsere Schneefahrzeuge, die Burane stecken. Alexander Kopilovs Segelboot geht völlig kaputt und muss auf den Schlitten gepackt werden.

Gegen Abend geht nichts mehr. Die Burane laufen sich heiss und kommen nicht mehr aus dem Schnee. Auch Daniel Lehmann ist ratlos: «Ich weiss auch nicht mehr weiter. Vielleicht müssen wir jetzt sogar einen Helikopter bestellen, denn auch das Benzin ist jetzt knapp.»

Doch als am Abend die Schneedecke schliesslich etwas gefriert, schaffen wir es mit Mühe zu unserem letzten Etappenziel vor Severobaikalsk. Wir sind rund 120 Kilometer vor dem Ziel.

Tag 7: Mit letzter Kraft

Lehmanns Freund Alexander Kopilov hat die rettende Idee. Aus einem Stück Gummischlauch konstruiert er Stossdämpfer, die verhindern, dass die Skis kaputtgehen. Unsere Begleiter beweisen ihr Können und schaffen es, durch dichten Schnee und Eisbrüche voranzukommen.

Um 16.30 Uhr ist es geschafft: Nach 600 Kilometern sind wir am Ziel in Severobaikals. Daniel Lehmann ist überglücklich: «Wir haben es geschafft, das Ziel ist erreicht. Dass es aber so schwierig sein wird, hätte ich nie erwartet.» Und ab geht’s in die russische Sauna, die Banja. Der Dreck von sieben Tagen muss weg.

swissinfo, Gregor Sonderegger, Moskau

Der Baikalsee ist der tiefste See der Welt und gilt als das grösste Süsswasser-Reservoir. Jedes Jahr gefriert der See für einige Monate zu.

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