
Genf spürt Trump: Die neue Weltordnung schlägt durch

Sechs Monate nachdem die Trump-Regierung die US-Auslandshilfe eingefroren hat und inmitten globaler Kürzungen bei den Budgets für internationale Zusammenarbeit ist Genf mit einer neuen Realität konfrontiert: Der Druck auf vielen Ebenen nimmt zu.
«Das ist nicht nur eine vorübergehende Störung», sagt Yannick Roulin, Direktor des Centre d’Accueil de la Genève International (CAGI). «Es ist ein grosser Umbruch. Wir stehen nicht vor einer kleinen Krise, sondern vor einem langfristigen Paradigmenwechsel.»
Kaum vereidigt, kündigte die Regierung von US-Präsident Donald Trump eine 83-prozentige Kürzung des Auslandshilfebudgets des Landes von 71,9 Milliarden Dollar (63,4 Milliarden Franken) an. Diese Kürzung wirkte sich auf die Finanzierung von Hilfsprojekten weltweit aus, auch in Genf. Hunderte von NGOs sind hier ansässig, viele von ihnen sind finanziell von den USA abhängig. Diese sind der grösste öffentliche Geldgeber für in Genf ansässige Organisationen und stellen über ein Viertel (26,3%) aller Spenden.
Trumps Entscheid ist kein Einzelfall. Er ist Teil eines weltweit zu beobachtenden Rückzugs aus der internationalen Hilfe. Grund dafür sind unter anderem steigende Schulden und die Notwendigkeit der Länder, Geld für die Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben zu finden. Das Vereinigte Königreich, der zweitgrösste öffentliche Geldgeber in Genf, kürzte kürzlich sein Budget für Entwicklungshilfe um 40%, während die Schweiz ihre eigenen Beiträge um 5,6% reduzierte.

2500 verlorene Arbeitsplätze
Roulin schätzt, dass mehr als 2500 Stellen in den internationalen Organisationen in Genf abgebaut wurden oder bald abgebaut werden sollen. Diese Organisationen beschäftigten 2024 insgesamt 28’962 Personen. Die Kürzungen umfassen nicht erneuerte Verträge, ausgesetzte Anstellungen und direkte Entlassungen. Kürzungen bei NGOs, die im letzten Jahr 3436 Angestellte beschäftigen, sind in dieser Zahl nicht berücksichtigt, da ihre Daten schwieriger zu quantifizieren sind.
Zu den betroffenen Organisationen gehören das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR und andere spezialisierte UNO-Organisationen. Einige von ihnen beginnen nun, ihre Aktivitäten zu restrukturieren oder in Länder mit niedrigeren Kosten zu verlegen.
«Es herrscht eine harte Konkurrenz», sagt Roulin. «Länder wie Ruanda, Kenia, Katar oder sogar EU-Staaten wie Ungarn oder Spanien bieten sich aktiv als neue Standorte an.»

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Das internationale Genf in Zahlen
Auch NGOs, die oft sowohl auf US-amerikanische als auch auf europäische Gelder angewiesen sind, sind am Sparen. «Viele reduzieren ihre Aktivitäten, bauen Personal ab und vermieten Büroräume unter», sagt Roulin. «Einige haben einfach bestimmte Aktivitäten in Genf eingestellt.»
Trotzdem wurden bislang noch keine grösseren Schliessungen von NGOs bestätigt.
Auswirkungen auf Genfs Immobilien- und Gastgewerbe
Gemäss dem Geneva Real Estate Outlook 2025 von Wüest Partner, einer Immobilienberatung mit Sitz in Zürich, bewohnen internationale Mitarbeitende derzeit über 9500 Wohnungen im Kanton, für die sie fast doppelt so viel Miete zahlen wie eine durchschnittliche Person. In einem Szenario, in dem 20% von ihnen Genf verlassen würden, könnten bis zu 2500 Wohnungen frei werden. Expert:innen betonen jedoch, dass dies immer noch nicht ausreichen würde, um die chronische Wohnungsknappheit in Genf zu beheben.
Christophe Aumeunier, Generalsekretär der Genfer Immobilienkammer, warnt: «Aus Sicht der Immobilienbranche mögen 2000 bis 2500 leerstehende Wohnungen viel erscheinen, aber Genf würde 10’000 weitere Einheiten brauchen, um den Wohnungsmarkt wieder ins Gleichgewicht zu bringen.»
Bei den Hotels zeigt eine von Genève Tourisme durchgeführte Umfrage, dass bei 37% von ihnen knapp jede zehnte Buchung auf internationale Organisationen anfällt. Fast die Hälfte (49%) erwartet dieses und nächstes Jahr einen Rückgang der entsprechenden Reservationen um 10% bis 40%. Adrien Genier, Direktor von Genève Tourisme, sagt: «Im Mai wurde ein Nettorückgang der Übernachtungen um über 6% verzeichnet. Wir sind sehr vorsichtig, was die bevorstehende Herbstsaison zwischen September und November angeht.»
Anpassung an eine sich verändernde Welt
Um Genf bei der Entwicklung zu unterstützen, richteten der Kanton und die Fondation Wilsdorf, eine in Genf ansässige Stiftung mit Fokus auf Sozialhilfe, die Fondation pour l’Adaptation de la Genève Internationale (FAGI) ein. Sie wurde mit 50 Millionen Schweizer Franken ausgestattet, um zu helfen, dass «sich das internationale Genf in diesem neuen Kontext weiterentwickelt», sagt Martine Brunschwig Graf, Leiterin von FAGI.
«Es geht nicht darum, verlorene US-Subventionen zu ersetzen», sagt sie. «Wir wollen Projekte finanzieren, die Restrukturierung, Innovation und gemeinsame Infrastruktur ermöglichen.»

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Das Internationale Genf
Zu den Prioritäten gehören Kostenteilung zwischen Organisationen, digitale Transformation (zum Beispiel zentralisierte Konferenztools, KI-gestützte Arbeitsabläufe) und sicherzustellen, dass Länder mit niedrigem Einkommen weiter an globalen Foren teilnehmen können.
Um den Schlag für entlassene internationale Mitarbeitende zu mildern, organisierten CAGI, die Schweizer Regierung und der Kanton letzten Juni eine spezielle Veranstaltung, um den Schweizer Arbeitsmarkt und Möglichkeiten zur Neuorientierung vorzustellen. Über 1200 Personen nahmen daran teil. «Das sind hochqualifizierte Fachkräfte, die oft seit Jahren hier leben», sagt Roulin. «Wir wollen ihnen helfen, hier zu bleiben, und sie mit den Bedürfnissen des Privatsektors zusammenbringen.»
Genfs Rolle inmitten wechselnder geopolitischer Prioritäten
Trotz der Krise bleiben die Expert:innen, mit denen Swissinfo gesprochen hat, optimistisch. «Genf wird wichtig bleiben», sagt Roulin. «Seine Stärke liegt im dichten Ökosystem von Akteuren, die sektorübergreifend arbeiten – Menschenrechte, Gesundheit, Handel, Umwelt. Es gibt keine andere Stadt wie diese.»
Vincent Subilia, Direktor der Genfer Handelskammer, betont, dass Genf kürzlich Gastgeberin für Handelsgespräche zwischen China und den USA sowie für Atomgespräche zwischen Europa und Iran war und dass der französische Präsident Emmanuel Macron Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in Genf unterstützt. «Genfs DNA ist immer noch stark, und alle haben verstanden, dass sie verteidigt werden muss», sagt Subilia.
Dennoch ist der Druck real. «Viele Mitgliedstaaten verschieben ihre Prioritäten, sie geben mehr für Verteidigung und weniger für Hilfe aus», sagt Roulin. «Der Multilateralismus wird schwächer.»
Subilia weigert sich, alarmistisch zu sein, räumt jedoch ein, dass «wir derzeit die Erosion eines Modells erleben, das wir für selbstverständlich gehalten haben».
Die nächsten Monate werden entscheidend sein. FAGI hat gerade ihre Website lanciert, auf der NGOs ihre Projekte teilen können. Die Stadt setzt ihre internationale Kampagne fort, um wichtige Organisationen zu halten.
Wie Graf von FAGI es ausdrückt: «Man kann den Wandel nicht aufhalten. Aber man kann ihn gestalten. Das ist jetzt unsere Aufgabe.»
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Editiert von Imogen Foulkes/vm/gw; Übertragung aus dem Englischen: Claire Micallef

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