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Die Ruhe vor dem Sturm in Wien

König Fussball ist auch im Wiener Burgtheater eingezogen. Keystone

Die "EUROphorie" steigt. Vor dem ersten Euro-Spiel in Österreich herrscht in der Finalstadt Wien eine seltsam ruhige Stimmung aus Spannung, Vorfreude und Angst. "Fussball, Kultur und Konzerte" lautet die Devise.

Die rotweissroten Fähnchen auf den Autos flattern hoffnungsfroh im Wiener Frühsommerwind und werden stündlich mehr. Per Ministererlass wurden sie für den Zeitraum der Euro 08 für Personenwagen gestattet, denn sonst ist die Beflaggung nur Staatskarossen vorbehalten.

“Wir sind bereit!” erklärt der österreichische Teamchef Josef Hickersberger, der seine Nationalelf aufgestellt und mit relativ respektablem Erfolg – zuletzt gegen Nigeria (1:1) und Malta (5:1) – erprobt hat.

Es ist wie im Lotto. Obwohl die Chancen denkbar gering sind, hofft jeder auf sein Glück. So steht es mit den Gefühlen der Österreicher gegenüber ihrer EM-Mannschaft. Während die Schweizer mit einiger Berechtigung auf ein “Wunder” hoffen können, ist es für Österreich schon ein Wunder “mit dabei” zu sein, was es als Gastgeberland zusammen mit der Schweiz naturgemäss ist.

Nachdem sämtliche Promis und Halbpromis der Nation ihre Prognosen zur EM und zum Nationalteam abgegeben haben, freut man sich darauf erleichtert aufatmen zu können, wenn es endlich losgeht.

“Fetznlaberl” oder “Wuchtl”

Eine Riesenchance für den österreichischen Fussball ist es allemal, denn wie heisst es so schön: “Man wächst mit seinen Aufgaben.” “Fetznlaberl” oder “Wuchtl” nennt man das runde Leder in Wien. Kurioserweise bedeutet “Wuchtl” auch unglaubwürdige Geschichte oder Scherz… Ob da ein gewisser Herr Sigmund Freud eine Erklärung dafür gehabt hätte? Scherzhaft mit der Euro 08 nimmt es auch die Radio “Ö3-Wuchteln” – Aktion mit Plakaten und Aufklebern wie “Opernball statt Fussball” und “Dafür können wir Schifahren”.

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer machte bereits im Sommer 2007 Stimmung für die EM: “Wir wollen die Euro 2008 zu einem grossen Fest machen.” Österreich solle sich dabei auch als Land des Charmes und der sportlichen Leistungsfähigkeit präsentieren. Dieser Tage fand sich der Kanzler in der einladenden “Swiss Beach” – der Schweizer Fanzone am Donaukanal – ein und lobte die “unkomplizierte und professionelle Zusammenarbeit” mit der Schweiz.

“Fussballfieber!” – Emotionen in der Gemeinschaft erleben

Eine aktuelle Studie der Universität Wien zeigt, dass obwohl nur 40% der Österreicher sich für Fussball interessieren, 77%t die EM Spiele verfolgen werden. Dabei soll das Erleben von Emotionen in der Gemeinschaft eine grosse Rolle spielen. Und Angst? Sagen wir mal, Befürchtungen. Vor einem Verkehrschaos, überfüllten Verkehrsmitteln, einem Müllproblem, Lärm und Ausschreitungen von angetrunkenen Fussballfans und Randalierern. Die schönen Gartenanlagen und Bäume rund um das Rathaus werden wohl mehr zertrampelt und sonst was, als bewundert werden… Doch die sprichwörtliche Wiener Contenance verheisst: “Wird schon net so schlimm werden mit den Hooligans” und “Schaun ma (=wir) mal”.

Urlaubs- und Strassensperre

Die österreichische Polizei hat über 27’000 Einsatzkräfte eine Urlaubssperre verhängt und sich 1121 Mann Verstärkung aus allen EM-Teilnehmerländern geholt. Man versichert, die Fanmeile – auf der sich immerhin bis zu 75’000 Personen gleichzeitig tummeln – in wenigen Minuten räumen zu können.

Die berühmte Wiener Ringstrasse ist bis zum 4. Juli teilweise gesperrt und wurde zur Fanzone Wien erklärt. Auf zehn riesigen LED – Bildschirmen werden dort die Spiele übertragen, und das Wiener Burgtheater spielt statt Shakespeare Fussball im Megakino. Gastronomisch wird es den Fans in Wien an nichts fehlen: Bier und Gespritzter, Wiener Schnitzel, Würstel, Apfelstrudel und Sachertorte.

Mit dem Fussball rollt der Euro

Laut Wirtschaftsminister Martin Bartenstein wird die Wertschöpfung der EM für Österreich rund 629 Mio. Euro betragen. Der nachhaltige Werbeeffekt für den Tourismus soll eine Viertel Mrd. Euro bringen. Bis zu 10 Milliarden TV – Zuseher werden weltweit die Euro 08 verfolgen! In den Regalen der Supermärkte ist es wie zu Weihnachten. Nur, dass statt dem Weihnachtsmann das Eurologo von jedem zweiten Bier, Joghurt oder Pommes Chips-Packerl lacht.

Hat Österreich Chancen auf den Aufstieg ins Viertelfinale? In einem Punkt sind sich alle einig: Ob die Nationalelf gleich oder ein bisschen später rausfliegt – mit der Euro 08 hat Österreich schon gewonnen. Also wünschen wir “unseren Schweizer Freunden” – wie Kanzler Alfred Gusenbauer die Schweizer Co-Gastgeber bezeichnete – und uns Österreichern eine Super-EM und einfach “guten Fussball!”

swissinfo, Karin Wolfsbauer, Wien

In Österreich finden 16 EM–Spiele in den Stadien in Wien, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt und das Euro 08-Finale in Wien statt.

Die Fanzone Wien zwischen Heldenplatz und Rathaus umfasst ein Areal von 100’000 m2 und bietet Platz für 75′ 000 Fans.

Der Mega Bildschirm vor dem Wiener Rathaus ist 70 m2 gross.

Die “Swiss Beach” in der Hermann-Strandbar bietet Platz für 2000 Personen.

Österreich erwartet 1 Million Übernachtungen.

Erwartete Wertschöpfung: 629 Mio. Euro.

Die Euro 08 schafft 10’000 neue Jobs, davon 6000 nachhaltig.

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