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Ausweisung von Mafiosi scheitert am freien Personenverkehr

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Für die beiden mutmasslichen Mafiosi war der obligatorische Aufenthalt in Italien kurz. Nachdem ihrer Berufung stattgegeben wurde, konnten sie ungestört ins Tessin zurückkehren. Keystone / Karl Mathis

Arbeitete die Schweizer Bundespolizei nicht gründlich genug? Lag es an der Gesetzgebung? Fest steht: Die angeordnete Ausweisung zweier Mafiosi aus dem Tessin nach Italien scheiterte. Sie beriefen sich auf die Personenfreizügigkeit und konnten bleiben.

In den letzten Jahren haben mehrere Mafiosi, die sich in der Schweiz niedergelassen oder hier Zuflucht gesucht haben, Probleme mit dem Bund bekommen. So auch drei ‘Ndrangheta-Mitglieder, die 2016 im Wallis verhaftet und dann an Italien ausgeliefert wurden.

Ein weiterer Mann, ein Grenzgänger, der in den Werkstätten der Schweizerischen Bundesbahnen in Bellinzona arbeitete, vor allem aber Leiter einer ‘Ndrangheta-Zelle in der Provinz Como war, wurde für 18 Jahre aus der Schweiz verwiesen und in Italien wegen Zugehörigkeit zu einer mafiösen Vereinigung verurteilt.

Im letzteren Fall war es das erste Mal, dass eine Ausweisung wegen drohender Gefahr für die Gesellschaft ausgesprochen wurde.

Der erste Akt dieser Geschichte erfolgt im Juli 2019: Das Fedpol informiert A. und B.*, Vater und Sohn aus Kalabrien, die seit 2018 bzw. 2015 im Tessin leben, über seine Absicht, sie aus der Schweiz auszuweisen. Die Massnahme wird von 15- respektive 10-jährigen Einreiseverboten in die Schweiz begleitet.

Die Gründe für diesen Entscheid werden im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dargelegt. Swissinfo.ch hatte Einblick in offizielle italienische und vom Fedpol zur Verfügung gestellte Dokumente. Die Indizien sprechen für sich:

  • familiäre Beziehungen zu prominenten Mitgliedern der ‘Ndrangheta
  • die Tatsache, dass der Sohn “sich im Einflussbereich dieser Personen befindet und nichts getan hat, um sich diesem zu entziehen”
  • die angebliche Anwesenheit eines mutmasslichen Doppelmörders in einer von B. geführten Firma
  • und ein Strafverfahren wegen Tätlichkeiten, Drohungen und einfacher Körperverletzung.

Der Vater wird von mehreren italienischen Gerichten bis hin zum Obersten Kassationsgericht als ein prominentes und langjähriges Mitglied der Ferrazzo cosca beschrieben, eines Clans der ‘Ndrangheta. Der Gerichtshof von Crotone unterstrich seine “Gefährlichkeit für die Gesellschaft” und unterwarf ihn beispielsweise im Jahr 2005 einer besonderen Überwachungsmassnahme: Er durfte seine Wohngemeinde nicht verlassen. Solche Rayonverbote sind in Italien typischerweise den Mafiosi vorbehalten.

A. wurde mehrmals im Rahmen von Anti-Mafia-Operationen verhaftet. Neben diesen Strafregistern hat er auch mehrere Straftaten nach dem italienischen Bau- und Städtebaugesetz begangen. Diese Vorstrafen zu erwähnen hatte er in seinem Gesuch um eine Schweizer Grenzgängerbewilligung (Ausweis G) nicht für nötig erachtetet.

Ebenfalls verdächtig: Vater und Sohn führten einige “sehr wahrscheinlich fiktive” Unternehmen, was dazu beigetragen hat, ihre Verwicklung in die Angelegenheiten der kriminellen Organisation nachzuweisen. Aus dem Handelsregister des Kantons Tessin geht hervor, dass mindestens eines dieser Unternehmen für insolvent erklärt wurde; ein weiteres befindet sich in Liquidation und ein drittes hat nach einem Eigentümerwechsel vom Catering- und Lebensmittelimport-/Exportsektor in den Bau- und Stahlbetonsektor gewechselt.

An sich nichts Beunruhigendes. Aber jeder, der sich für die italienischen Mafias in der Schweiz und ihr Eindringen in sensible Wirtschaftsbereiche interessiert, weiss, dass solche Details einen kriminellen Hintergrund verschleiern.

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Bedrohung nicht klar genug

Wie ging es in Sachen Ausweisung nun aber weiter? Über ihren Anwalt wiesen A. und B. alle Anschuldigungen wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation zurück. Vor einem Jahr, am 1. Oktober 2019, wurden sie dennoch formell ausgewiesen. Ein wichtiges Detail: Die Schweizer Bundespolizei Fedpol hat die entsprechende Verfügung ohne Möglichkeit zum Aufschub erlassen.

Das ist eine häufig angewandte Vorsichtsmassnahme. Der Anwalt der beiden Männer rügt ihn als ersten Punkt in seiner Beschwerde vor Bundesverwaltungsgericht. So gewöhnlich dieses Manöver ist, es hat die Büchse der Pandora geöffnet.

A. und B. werfen dem Fedpol nämlich vor, dass es gegen die Bestimmungen des Personenfreizügigkeitsabkommens verstosse, das für sie als EU-Bürger gelte. Das Abkommen erlaube ihnen die freie Einreise in die Schweiz, es sei denn, ihre Anwesenheit stelle eine echte Gefahr für die öffentliche Ordnung dar.

Und hier liegt der wunde Punkt: Nach Ansicht der Richter des Bundesverwaltungsgerichts hat das Fedpol nicht klar angegeben, worin diese Bedrohung in der Praxis besteht. Die Verbindungen von A. und B. zur ‘Ndrangheta seien nicht explizit genug. Zudem habe es das Fedpol versäumt, seinen Entscheid zu begründen. Dieser Verfahrensfehler führt zur Nichtigkeit des angefochtenen Entscheids.

Eine Premiere

So hat das Bundesverwaltungsgericht das Fedpol am 26. Mai dieses Jahres gestoppt, während A. und B. ins Tessin zurückkehren können.

Diese Doppel-Ausweisung hätte eigentlich eine Premiere für das Fedpol sein sollen, das gestützt auf den Nationalen Aktionsplan gegen die Mafia eine Rechtsprechung zu etablieren versucht.

Mehrere Verwaltungsmassnahmen, die in diesem Plan enthalten sind, ermöglichen “eine Ausweisung oder ein Einreiseverbot und sind daher wichtige Instrumente, weil sie präventiv wirken”, erklärt Cathy Maret, Leiterin der Kommunikation beim Fedpol. Sie  gesteht jedoch, dass dies die Richter und Richterinnen manchmal nicht überzeugt.

In diesem Fall müssen die Rechtsdienste in Bern das Dossier nun neu prüfen. 

*Namen der Redaktion bekannt

Sibilla Bondolfi

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