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Vom Hufschmied zum Zahnarzt

Hausbesuch des Zahnarztes, Litographie 1843, nach Zeichnung von Adolphe Bayot. akg images

Noch bis ins 18. Jahrhundert rissen Hufschmiede oder Barbiere mit gewaltigen Zangen eiternde Zähne aus dem Kiefer. Heute geht es beim Zahnarzt sanfter zu, die Angst vor ihm ist aber geblieben. Eine Ausstellung in Zürich zeigt die Geschichte der Zahnmedizin.

“Ist das Zähneziehen bei Ihnen schmerzlos?”, fragt der Patient. “Meistens”, brummt der Zahnarzt, “bisher habe ich mir nur einmal das Handgelenk ausgerenkt.” So einer der uralten, aber immer noch gängigen Zahnarztwitze, der die Ängste und Vorbehalte gegenüber diesem Berufsstand zeigt.

Vom ersten Milchzahn bis zu den “Dritten”: Unsere Zähne begleiten uns ein Leben lang. Wir benutzen sie täglich zum Essen, zum Sprechen, beim Lächeln, als Werkzeuge oder, oft mit Glitzerstein versehen, als Schmuckstück. Ihre Pflege lernen wir von Kindsbeinen an.

Auch wenn sich heute eine umfassende Mundhygiene etabliert hat, bleibt Karies immer noch eine häufige Krankheit. Der Gang zum Zahnarzt ist uns vertraut – dennoch empfinden fast alle Menschen Angst vor ihm und kennen das flaue Gefühl, wenn das Geräusch des Bohrers ertönt.

Die Ausstellung im Medizinhistorischen Museum der Universität Zürich “Mit Biss – Geschichten zur Zahnmedizin” stellt alltagskulturelle Erfahrungen in einen Zusammenhang mit historischen Entwicklungen in der Zahnmedizin.

Gemischte Besucherklientel

“Die Idee der Ausstellung stammt von den beiden Ausstellungsmachern Ronny Trachsel und Beate Schappach”, sagt Margrit Wyder gegenüber swissinfo.ch. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Medizinhistorischen Institut der Universität Zürich und zuständig für Sonderausstellungen.

Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung, die seit Ende Oktober bis Frühling 2011 gezeigt wird, seien sehr gemischt. In den Schulferien kämen eher Familien mit Kindern. Auch einzelne Schulklassen gehörten zu den Besuchern.

Das Hauptinteresse liege aber bei den Fachleuten, so Wyder. “Es kommen ganze Zahnarztpraxen, die vor ihrem Weihnachtsessen gerne noch ein wenig Informationen haben wollen.”

Zahnarzt in Kunst, Witz und Karikatur

“Schmerzhafte Zahnbehandlungen waren ein beliebtes Sujet in der bildenden Kunst”, liest man in der Ausstellung. “Diese Darstellungen brutaler Behandlungsmethoden und körperlicher Leiden prägen die Vorstellung von historischen Zahnbehandlungen bis heute.”

Auch in Karikaturen und Witzen ist der Zahnarzt ein Dauerthema. “Während vieler Jahrhunderte war die schmerzhafte Zahnextraktion ein Hauptmotiv. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts kamen die nicht weniger angstbesetzten Behandlungsmethoden mittels Bohrer und Zahnfüllungen hinzu – und mit ihnen auch die Angst vor Betäubungsspritzen.” Zangen, Bohrer und Spritzen seien oft übergross als Folterinstrumente dargestellt.

“Herr Doktor, kann es sein, dass Sie mir eben drei gesunde Zähne gezogen haben?”, fragt die Patientin. Darauf der Zahnarzt: “Nein, ein schlechter war auf jeden Fall dabei.” Die Schuld an der Angst wird dem Zahnarzt zugeschoben und lässt ihn als rücksichtslos, ja sadistisch erscheinen.

Die Honorarfrage bildet in der Zahnarzt-Satire bis heute ein zentrales Motiv: “Herr Doktor, ich kann mit der neuen Prothese nicht beissen”, beklagt sich der Patient. Der Zahnarzt: “Kein Problem. Wenn Sie meine Rechnung bezahlt haben, haben Sie sowieso nichts mehr zum Beissen.”

Universität Zürich als weltweite Vorreiterin

Bei der Behandlung von Zahnerkrankungen stand während vieler Epochen das Ziehen oder Ausbrechen kranker Zähne im Vordergrund. Historische Zangen, Zahnschlüssel und Haken veranschaulichen diese eher unzarten Methoden der Zahnextraktion. Entfernte und ausgefallene Zähne wurden jedoch schon in früheren Jahrhunderten durch Teilprothesen und künstliche Gebisse ersetzt.

Die Techniken und Instrumente für den Zahnerhalt (Bohren, Zahnfüllungen, Wurzelbehandlungen) sind demgegenüber erst seit etwas mehr als 100 Jahren gebräuchlich.

In den USA entstanden in den 1840er-Jahren die ersten Colleges für Zahnmedizin, die auch Doktortitel verliehen. Zahlreiche Schweizer Zahnärzte erwarben dort ihre Kenntnisse und Fertigkeiten. In der Schweiz wurde 1888 eine akademische Ausbildung als Bedingung für die Ausübung des Zahnarztberufes gesetzlich verankert. Die Universität Zürich bot 1914 als erste staatliche Institution der Welt eine Promotion zum “Dr.med.dent.” an.

Die “Zahntanten”

1901 litten von knapp 2000 Kindern in Zürich fast 90% unter Karies. Infolge der Karies-Ausbreitung gründete man 1908 in Zürich und Luzern die ersten Schulzahnkliniken, nach dem Vorbild der ersten europäischen Schulzahnklinik in Strassburg. Die Gratis-Untersuchung und -Behandlung steht seither allen Kindern und Jugendlichen offen.

In den 1950er- und 60er-Jahren wurde die Schulzahnpflege ausgebaut. Ab 1961 brachten Zahnpflegeinstruktorinnen den Kindern in der Schule regelmässig Zähneputzen und gesunde Ernährung bei. Als “Zahntanten” waren zumeist Hausfrauen in Teilzeit angestellt.

Schönheitschirurgie en vogue

In der Schweiz sei eine Klientel vorhanden, die gerne auch Neuigkeiten ausprobiere, sagt Margrit Wyder. Implantate als Zahnersatz seien in der Schweiz sehr en vogue. “Das ist etwas teurer, aber dafür hat man das Gefühl, dass dies haltbarer sei. Wer’s jedoch billig haben will, der geht nach Ungarn oder nach Deutschland.”

Heute gehe die Entwicklung auch in Richtung kosmetische Eingriffe. Das Problem der Karies sei bei den meisten Leuten nicht mehr akut, deshalb sei es verständlich, dass sich die Zahnärzte “andere Felder” suchten. Die Schönheitschirurgie sei in der Medizin ein Bereich, der heute immer mehr Zulauf finde. Und so werde das auch bei den Zähnen sein.

“Für uns moderne Menschen ist das Aussehen sehr wichtig, das spielt sogar eine Rolle, wenn man einen Job sucht. Deshalb ist das eine Entwicklung, die sich gar nicht aufhalten lässt. Man kann höchstens schauen, dass die Auswüchse etwas gedämpft werden”, so Margrit Wyder.

Die Sonderausstellung “Mit Biss – Geschichten zur Zahnmedizin” im Medizinhistorischen Museum der Universität Zürich dauert vom 28. Oktober 2010 bis Frühling 2011.

Das Ausstellungsbüro Palma3 hat in Zusammenarbeit mit dem Medizinhistorischen Institut und Museum der Universität Zürich die drei Themenbereiche der Ausstellung “Angst und Schmerz”, “Zahnmedizin” und “Mundhygiene” erarbeitet.

Diese vermitteln einen Einblick in Geschichten rund um die Zahnmedizin und Mundhygiene, in denen auch die Sichtweise der Patientinnen und Patienten nicht zu kurz kommt.

1886 organisierten sich die Zahnärzte im ‘Verein Schweizer Zahnärzte’, später in der ‘Schweizerischen Odontologischen Gesellschaft’ und heute in der ‘Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft’.

Die Schweizer Zahnmedizin verfügt bis heute über separate Berufsverbände ausserhalb der ärztlichen Standesorganisationen.

Die zahnmedizinischen Behandlungen werden in der Schweiz im Unterschied zu anderen Ländern nicht durch das staatliche Krankenkassenmodell abgedeckt.

Zürich

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