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Spannungen mit jüdischen Gästen in Davos: ein Erklärungsversuch

Zwei Menschen im Schnee
Davos hat sich sowohl im Winter als auch im Sommer zu einem beliebten Reiseziel für orthodoxe jüdische Gäste entwickelt. Davos.ch

In der weltbekannten Wintersportdestination Davos ist es in den letzten Jahren immer wieder zu Spannungen zwischen Einheimischen und orthodoxen jüdischen Feriengästen gekommen. Was ist der Grund dafür?

Das Hotel-Restaurant an der Bergstation Pischa in Davos geriet diese Woche in die internationalen Schlagzeilen. Es hatte ein Schild in hebräischer Sprache angebracht. Darauf war zu lesen, dass keine Schlitten und Skis mehr an jüdische Gäste vermietet würden.

Der Restaurantbesitzer entschuldigte sich für die Formulierung und erklärte gegenüber der Zeitung BlickExterner Link und anderen Schweizer Medien, dass der Entscheid nichts mit dem Glauben oder persönlichen Vorlieben zu tun habe, sondern mit Sicherheitsbedenken und dem Ärger, wenn Gäste in Turnschuhen Ausrüstung ausleihen und dann Schlitten auf der Piste stehen lassen würden.

Die Davoser Behörden haben bereits im letzten Herbst eine Taskforce eingesetzt, die sich mit den wiederholt aufgetretenen Problemen zwischen der Bevölkerung und Tourismusbetrieben einerseits und jüdischen Gästen andererseits befasst.

Aufgrund des jüngsten, gravierenden Vorfalls soll nun Michael Ambühl, der ehemalige Schweizer Spitzendiplomat, zwischen den beteiligten Gruppen vermitteln.

Die Davoser Tourismusorganisation hofft, dass Ambühl mit seiner grossen Expertise als Vermittler in Konfliktfällen in den Verhandlungen mit den Beteiligten “glaubwürdige Massnahmen” ausarbeiten könne, wie Direktor Reto Branschi gemäss swiss txt sagte.

“Wir wollen das Risiko nicht mehr tragen, dass irgendwann einer dieser Gäste einen schweren Unfall baut und uns dafür zur Rechenschaft zieht”, sagt Ruedi Pfiffner, Inhaber des Bergstation-Restaurants Pischa, gegenüber Blick.

Der Aushang wurde schliesslich entfernt und durch ein Schild in deutscher Sprache ersetzt, das nicht spezifisch jüdische Gäste anspricht, sondern generell darauf hinweist, dass für den Verleih von Sportgeräten geeignete Winterkleidung und -schuhe erforderlich seien.

Doch der Schaden war angerichtet. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund bezeichnete das Schild als diskriminierendExterner Link und kündigte an, rechtliche Schritte zu prüfen. Auch die Polizei des Kantons Graubünden hat von Amts wegen Ermittlungen aufgenommen.

Der Vorfall an der Bergstation Pischa ist kein Einzelfall, und solche Konfrontationen sind nicht neu. Die Spannungen zwischen der Davoser Bevölkerung und den jüdisch-orthodoxen Gästen schwelen seit Jahren.

Letztes Jahr sprach der Geschäftsleiter von Davos Klosters Tourismus sogar von einem Siedepunkt in Davos. Was ist los?

Warum Davos?

Davos ist seit Jahrzehnten ein beliebtes Ferienziel für orthodoxe Jüdinnen und Juden. Man schätzt, dass in der Hochsaison im Sommer etwa 3000 bis 4000 Jüdisch-Orthodoxe in Davos Ferien machen – einer Stadt mit 11’000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Zum Vergleich: In der Schweiz mit ihren neun Millionen Menschen leben rund 18’000 jüdischen GlaubensExterner Link.

Historikerinnen und Historikern zufolge kamen die ersten jüdischen Gäste um 1870 nach Davos. Damals wurde der Alpenkurort als Zentrum für die Behandlung von Lungenkranken bekannt.

Um die Jahrhundertwende entstanden orthodox geführte Gästehäuser, und 1919 wurde in Davos das jüdische Sanatorium Etania eröffnet.

Dieses wurde im Jahr 2000 zwar geschlossen, vor kurzem aber in eine Jugendherberge umgewandelt, die speziell auf die Bedürfnisse jüdischer Gäste ausgerichtet ist.

In den letzten zwanzig Jahren haben Mitglieder der jüdischen Gemeinde in der Schweiz dazu beigetragen, die Infrastruktur in Davos aufzubauen, darunter eine Synagoge in einem ehemaligen Spital.

In den Sommermonaten werden mehrere Hotels von jüdischen Familien betrieben, die koschere Küche, Gebetsräume und andere Unterkünfte anbieten.

Die Supermärkte im Ort verkaufen koschere Lebensmittel. Bekannte Rabbiner aus Israel, Antwerpen und New York sind hier zu Gast, was weitere Gäste aus dem Ausland anzieht.

Zwar sind auch andere Bergdestinationen wie St. Moritz und Crans Montana bei jüdischen Touristinnen und Touristen beliebt, doch ist dies auch eine Frage von Angebot und Nachfrage.

“Orte, die Einrichtungen [für solche Gäste] anbieten, haben mehr jüdische Gäste”, schreibt Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen GemeindebundsExterner Link (SIG), SWI swissinfo.ch per E-Mail.

Samuel Rosenast, Pressesprecher von Davos Klosters Tourismus, teilt SWI swissinfo.ch mit, dass sie keine speziellen Dienstleistungen für jüdische Gäste anbieten würden. “Unser Angebot ist für alle Gäste gleich. Wir unterscheiden nicht nach Herkunft, Religion oder Kultur.” Die spezifischen Dienstleistungen würden von privaten Anbietern erbracht.

Davos habe in den letzten Jahren sein koscheres Angebot ausgebaut, und die Freizeitmöglichkeiten in der Region seien zu einem wichtigen Verkaufsargument für jüdische Familien geworden, sagt Kreutner. Die Zahl der ausländischen Gäste hat stetig zugenommen, darunter Reisende aus Grossbritannien, Belgien, den USA und Israel.

Siedepunkt?

Seit immer mehr orthodoxe jüdische Gäste in Davos Ferien machen, gibt es Spannungen mit der einheimischen Bevölkerung. Es kursieren Berichte von Einheimischen, die sich über jüdische Gäste beschweren, die ihren Müll wegwerfen oder auf Plätzen picknicken, die für Restaurantgäste reserviert sind.

Einige Reaktionen gingen sogar noch weiter. Im Jahr 2017 sorgte ein Hotel in Arosa, drei Zugstunden von Davos entfernt, für Aufregung, weil es explizit jüdische Gäste auf einem Schild aufforderte, vor dem Schwimmen zu duschen. Das hatte eine offizielle Beschwerde des israelischen Aussenministeriums zur Folge.

2019 beschwerten sich einige Einheimische über eine Prozession von 2000 Jüdisch-Orthodoxen, die an einer Tora-Einweihungsfeier durch die Strassen von Davos teilnahmen.

Letztes Jahr goss der Geschäftsleiter von Davos Klosters Tourismus, Reto Branschi, Öl ins Feuer, als er sich in einem Interview über das Verhalten der jüdischen Gäste beklagte und erklärte, dass sich einige Leute nicht respektvoll verhalten würden.

Kreutner sagt, es gebe zwar vereinzelte antisemitische Vorfälle, “aber die meisten so genannten Probleme sind auf Missverständnisse oder Unkenntnis der anderen Kultur zurückzuführen”.

Im vergangenen Jahr sagte Jehuda Spielman, ein orthodoxer Jude, der im Zürcher Stadtrat sitzt, gegenüber dem Tages-AnzeigerExterner Link, ein Teil des Problems bestehe darin, dass das Verhalten einzelner Gäste dazu benutzt werde, eine ganze Gruppe zu verallgemeinern. Da orthodoxe Jüdinnen und Juden durch ihre Kleidung auffallen, kann dies zu Diskriminierungen führen.

Kreutner will Davos nicht pauschal kritisieren. “Einige Anbieter von Hotels, Geschäften und Mietwohnungen heissen die Gäste herzlich willkommen. Aber es gibt natürlich auch andere, die eine ganz andere Haltung gegenüber jüdischen Gästen haben”, fügt er hinzu.

Dem jüdischen Interesse an Davos hat das aber keinen Abbruch getan. “Der jüdische Tourismus in Davos nimmt seit Jahren zu”, sagt er gegenüber SWI. “Die überwiegende Mehrheit der Gäste nimmt keine solchen Probleme wahr.”

Spannungen abbauen

Das bedeutet nicht, dass es keine Sorgen gäbe und nicht notwendig wäre, Spannungen abzubauen.

Der SIG initiierte vor einigen Jahren das Projekt “Likrat Public Dialogue”Externer Link, das Seminare, Workshops und Informationsbroschüren für lokale Hotels, Unternehmen und jüdische Gäste umfasste.

Junge Jüdinnen und Juden besuchten auch verschiedene Bergdörfer, um zwischen Einheimischen und jüdisch-orthodoxen Gästen zu vermitteln.

Mehr

Im vergangenen August hat Davos Klosters Tourismus seine Teilnahme am Dialogprojekt einseitig beendetExterner Link, was Kreutner vom SIG bedauert. Laut Medienberichten fühlte sich das Tourismusbüro von der Mediation nicht ernstgenommen.

“Hier läuft offensichtlich etwas schief”, sagt Kreutner. “Ein Umdenken ist nötig.”

Editiert von Reto Gysi von Wartburg/avma, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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