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Erdbeben in Afghanistan: Die Helfer kämpfen gegen die Zeit

In der Nacht vom 31. August auf den 1. September wurde Afghanistan von einem zerstörerischen Erdbeben der Stärke 6 auf der Richter-Skala heimgesucht. Mehr als 6700 Häuser wurden zerstört.
In der Nacht vom 31. August auf den 1. September wurde Afghanistan von einem zerstörerischen Erdbeben der Stärke 6 auf der Richter-Skala heimgesucht. Mehr als 6700 Häuser wurden zerstört. Keystone

Das von Krisen und internationaler Isolation gebeutelte Land wurde von einem verheerenden Erdbeben erschüttert. Mit dem nahenden Winter haben humanitäre Organisationen Schwierigkeiten, die Opfer zu erreichen, und ihnen mangelt es an Mitteln.

In der Nacht vom 31. August auf den 1. September wurde Afghanistan von einem verheerenden Erdbeben getroffen. Das Beben der Stärke 6 auf der Richterskala traf vor allem abgelegene Gebiete in den Bergprovinzen im Osten des Landes.

Nach Angaben der Vereinten Nationen kamen etwa 2200 Afghaninnen und Afghanen ums Leben, 3640 weitere wurden verletzt. Die Zahl der Opfer könnte noch steigen.

Der Zugang zu den am stärksten betroffenen Gemeinden ist äusserst schwierig. Viele Wege sind unpassierbar geworden.
Der Zugang zu den am stärksten betroffenen Gemeinden ist äusserst schwierig. Viele Wege sind unpassierbar geworden. Keystone

«Der Bedarf ist enorm», stellt Achille Després, Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), fest. Er ist seit mehreren Tagen im Land.

«Die Spitäler sind überlastet und nehmen sehr schwere Fälle auf. Ich habe das im Spital von Jalalabad gesehen. Es handelt sich um sehr abgelegene Regionen, die nur schwer zu erreichen sind. Ich habe Dörfer gesehen, in denen kein einziges Haus mehr stand.»

Laut UNO hat das Erdbeben erhebliche Schäden an der Infrastruktur verursacht und Strassen, Brücken, Kliniken, Schulen sowie mehr als 6700 Häuser zerstört.

Ein Wettlauf gegen die Zeit

Die humanitären Organisationen sagen, dass sie sich in einem Wettlauf gegen die Zeit befinden, da der Winter mit seinen sehr harten Wetterbedingungen näherrückt.

«Es ist schwer zu glauben, da es aktuell noch 35 Grad heiss ist, aber in wenigen Wochen werden die Temperaturen in den Bergen sinken und dann wird es schneien», sagt Després.

Es ist jedoch äusserst schwierig, die am stärksten betroffenen Gemeinden zu erreichen. Viele Zufahrtswege sind unpassierbar geworden und die jüngsten starken Regenfälle haben den Boden instabil gemacht sowie Erdrutsche verursacht.

Hinzu kommt die Gefahr durch Antipersonenminen und andere Sprengkörper, die im Lauf der Konflikte im Boden vergraben und durch das Erdbeben verschoben wurden.

In den afghanischen Bergen haben sich Lager für Vertriebene gebildet.
In den afghanischen Bergen haben sich Lager für Vertriebene gebildet. Keystone

«In den letzten Tagen gab es weitere Nachbeben. Die Menschen sind traumatisiert. Sie haben Angst, in die Nähe ihrer ehemaligen Häuser zurückzukehren, weil sie befürchten, verschüttet zu werden», sagt Després.

Er weist darauf hin, dass sich Lager für Vertriebene gebildet haben. «Man muss ihnen Unterkünfte zur Verfügung stellen und sie mit Wasser, Lebensmitteln, mobilen Toiletten, Hygieneartikeln usw. versorgen.»

Eine ohnehin schon prekäre Lage

Der humanitäre Koordinator der Vereinten Nationen in Afghanistan, Indrika Ratwatte, sagte vor den Medien in Genf, dass diese Katastrophe «zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die afghanischen Gemeinden bereits andere Schocks zu verkraften haben».

Dazu zählen die Rückkehr von mehr als einer Million aus Pakistan und dem Iran ausgewiesener Afghanen und Afghaninnen sowie eine schlimme Dürre.

Die Vereinten Nationen haben einen Notfallplan aufgelegt, um 457’000 der 500’000 Menschen in den betroffenen Gebieten zu helfen. Der Plan, dessen Kosten bis Ende des Jahres auf rund 140 Millionen Dollar veranschlagt werden, soll deren Bedarf an Gesundheitsversorgung, Nahrung, Unterkunft und Hygiene decken.

«Die Lage ist kritisch», betonte Ratwatte und setzt sich für eine rasche Mobilisierung internationaler Geldgeber ein. «Wir befinden uns an einem Wendepunkt», fügte er hinzu.

Fehlende Finanzmittel

Afghanistan ist durch 40 Jahre Krieg verwüstet und heute von tiefer Armut geprägt. Es leidet unter den Auswirkungen des Klimawandels wie Dürren und Überschwemmungen. Zudem wurde es in den letzten Jahren von mehreren Erdbeben heimgesucht.

Während mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung, also etwa 24 Millionen Menschen, von humanitärer Hilfe abhängig ist, kann die internationale Gemeinschaft nur schwer mit der Finanzierung Schritt halten. Das führt dazu, dass Hilfsorganisationen vor Ort schliessen müssen.

«Die Budgetkürzungen waren für Afghanistan dramatisch. Wir haben mehr als 35% der Mittel verloren, die uns im letzten Jahr zur Verfügung standen”, beklagte Ratwatte und verwies auf den Wegfall der Beiträge der Vereinigten Staaten und anderer Länder. «Dies beeinträchtigt die Fähigkeit der UNO und ihrer Partner, die Gemeinden zu erreichen.»

Der von den Vereinten Nationen koordinierte humanitäre Hilfsplan für 2025 beläuft sich auf 45,5 Milliarden Dollar, ist jedoch derzeit nur zu 19% finanziert. Ende 2024 lag die Deckungsquote noch bei 50%.

Sorge um Frauen

Das Schicksal von Frauen und Mädchen in diesem Land, in dem die Taliban einen ultrakonservativen Islamismus vertreten, ist den humanitären Organisationen ein Anliegen. Sie weisen auf die Gefährdung der Frauen und Mädchen hin.

«Wir bemühen uns, in jedem Team mindestens eine Frau zu haben, aber das ist derzeit nicht immer möglich», räumte Ratwatte ein. Er verweist auf die schwierigen Einsatzbedingungen und die «Beschränkungen für weibliche Mitarbeiterinnen von NGOs und der Vereinten Nationen».

Seit ihrer Rückkehr an die Macht im August 2021 haben die Taliban die Freiheiten der afghanischen Frauen schrittweise eingeschränkt. Zunächst verwehrten sie ihnen den Zugang zu Bildung, dann die Arbeit in humanitären Organisationen.

In den konservativsten Regionen ist es undenkbar, dass sich ein männlicher humanitärer Helfer um eine Frau kümmert.

Der afghanische Rote Halbmond gibt an, 14 gemischte medizinische Teams mit etwa zwanzig Frauen in der Katastrophenregion einsetzen zu können.

«In diesen abgelegenen Bergregionen, in denen das Gelände und die sozialen Normen die Bewegungsfreiheit einschränken, sind diese Teams oft die einzige Quelle für medizinische Versorgung, die Frauen zugänglich ist», sagte Homa Nader, stellvertretende Leiterin der Delegation der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) in Afghanistan, auf einer Pressekonferenz.

Laut der New York Times Externer Linkwurden einige verletzte oder unter Trümmern begrabene Frauen von Männern nicht gerettet.

Editiert von Virginie Mangin/sj, Übertragung mit Hilfe von Deepl: Balz Rigendinger

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